Junge Gunzenhäuserin hilft gestrandeten Meeressäugern

12.2.2017, 17:29 Uhr
Junge Gunzenhäuserin hilft gestrandeten Meeressäugern

© privat

Es ist Spätsommer in Neuseeland, das aus zwei großen Inseln besteht. Auf der Südinsel sind die Tage hell und die Nächte ziemlich kühl. Tagsüber herrscht sommerliches Treiben an den Stränden, gerade an der beliebten und berühmten Golden Bay ganz im Norden der Südinsel. Am äußersten Ende befindet sich die Landzunge Farewell Spit, ein Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung und ein bekanntes Vogelschutzgebiet. Die Landzunge ist unglaubliche 35 Kilometer lang, wächst jedes Jahr weiter hinaus ins Meer und besteht hauptsächlich aus mächtigen Dünen.

Auf der Nordseite befindet sich der freie Ozean, wo lange Wellen heranrollen und der Wind ewig tost. Sozusagen auf der „Rückseite“, im Süden, gibt es den ganz anderen Bereich mit geringem Wellenschlag und weniger Wind, ausgeprägten Gezeiten und bei Ebbe freiliegender Salzmarsch. Diese Ecke galt schon immer als „Walfalle“. Zuletzt war das im Februar 2015 der Fall, als hier rund 200 Grindwale strandeten, von denen die meisten starben.

Größer und gefährlicher

Die Gegend erinnert ein wenig an Sylt, wo die Meeresströmungen stark ausgeprägt sind und in endloser Folge Sand angespült wird, der die schmale Insel im Norden in Form eines Sandhakens größer werden lässt. Auf der einen Seite freies Meer, auf der anderen eine sehr interessante und ökologisch wertvolle Wattlandschaft. Dabei ist in Neuseeland die Natur in jeder Hinsicht größer, beeindruckender und gefährlicher als in Mitteleuropa.

Vor allem ist das Farewell Spit abgelegen. Es führt nur eine einzige Straße dorthin, dann ist Sackgasse mit einem kleinen Parkplatz, einem Café mit schöner Aussicht und einem vier Kilometer langen Wanderweg am Ufer, der dem Spaziergänger einen ersten Eindruck von diesem Naturwunder vermittelt. Auf die eigentliche Landzunge darf man nur in geführten Gruppen und muss sich vorher anmelden. Die in Neuseeland allmächtige Umweltschutzbehörde, das Departement of Conservation (D. O. C.) wacht streng darüber, dass das Spit unberührt bleibt.

Helfer dringend gesucht

Im Hinterland der Golden Bay, sehr abgelegen – was die Neuseeländer schätzen —, stieg letzte Woche ein mehrtägiges Musikfestival. Unter den freiwilligen Helfern, die die Organisatoren unterstützten, war die 22-jährige Jule Dressler, eine Gunzenhäuserin, die normalerweise in Bamberg studiert, sich aber eine längere Auszeit gönnt und seit Oktober ausgiebig Neuseeland kennen lernt.

Junge Gunzenhäuserin hilft gestrandeten Meeressäugern

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Das geschieht in Form von Work and Travel und bedeutet, dass die jungen Menschen aus aller Welt ein Visum für ein Jahr bekommen, arbeiten dürfen (und müssen, um über die Runden zu kommen) und sich Jobs in der Landwirtschaft, Gastronomie oder im Fremdenverkehr suchen. Das Festival war ebenso schön wie anstrengend. Jule landete danach per Zufall im kleinen Ort Takaka und wollte eigentlich nur einen Platz auf dem bereits überlaufenen Campingplatz bekommen und ihre Kleidung waschen. Dann aber ging es wie ein Lauffeuer herum, dass am Spit ein Whale Stranding stattgefunden habe und Helfer willkommen seien und dringend gebraucht würden.

Viele junge Leute machten sich direkt Richtung Norden auf. Sie erlebten dort, an einem der vielen neuseeländischen Enden der Welt, die typische Mischung aus Zielstrebigkeit, Engagement und lockerem Umgangston. Alle Volunteers wurden registriert und eingewiesen, was sie zu tun hatten. Das reichte vom Dienst am Parkplatz, der für so viel Verkehr gar nicht ausgelegt ist, bis zum eigentlichen Bemühen um die Rettung der Grindwale.

Über 400 erwachsene und Jungtiere befanden sich dort im seichten Wasser oder waren bereits ans Ufer gespült worden. Das Stranding war über Nacht erfolgt. Als die Helfer eintrafen, waren viele Tiere schon tot, andere am Verenden. Unter Führung von D. O. C.-Mitarbeitern und erfahrenen „Walrettern“ versuchte die buntgemischte Helfertruppe, die noch lebenden Wale kühl und feucht zu halten, damit sie eine Chance hatten, bei Flut ins freie Wasser zu gelangen. Die Tiere bekamen nasse Laken auf die Haut und wurden immer wieder mit Wasser übergossen.

Hilflos am Strand

Grindwale gelten als relativ klein, doch Jule staunte, um welch mächtige Tiere es sich handelt. Sie können bis zu drei Tonnen schwer werden. Man leidet mit ihnen, wenn sie mit ihrem großen Gewicht hilflos am Strand liegen oder im Flachwasser treiben. Sie reagieren auf die Umwelt, werden unruhig, wenn die Flut kommt. Jules Team hatte unter anderem mit einem Muttertier und ihrem Kalb zu tun. „Die Haut fühlt sich an wie Leder, und der ganze Körper erscheint wie ein einziger fester Muskel“, erzählt die 22-Jährige.

Die Tiere lassen sich optisch leicht voneinander unterscheiden. Besonders empfindlich ist ihre Finne, sie darf bei den Rettungsbemühungen keinesfalls verletzt werden. Jule hatte keinen Neoprenanzug, arbeitete deshalb im flachen Wasser, das „richtig kalt“ ist. Wer nicht mehr konnte, machte eine Pause. Die Verantwortlichen äußerten ihre Dankbarkeit für jede Hilfe, da wurde niemand zurechtgewiesen oder erntete böse Blicke, wenn er sich vom Freiwilligendienst zurückzog.

Haie werden angelockt

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Mutter und Kalb wurden bei steigendem Wasserstand ins Meer zurückgeleitet. Eine Menschenkette im Wasser wies ihnen und anderen Walen den Weg. Ob damit ihr Überleben gesichert ist, muss offen bleiben. Andere Tiere wurden zunächst gerettet und strandeten erneut. Man vermutet, dass sie beim Leittier der Gruppe bleiben wollten, und dieses Tier lag längst tot am Ufer.

Die Helfer mussten berücksichtigen, dass ein Tiersterben stets andere Tiere anlockt und zum Fressen einlädt. Haie und Rochen hatten mit ihren feinen Sinnesorganen die Kadaver bemerkt und wollten sich an ihnen gütlich tun. Deshalb zogen sich die Helfer bei höchster Flut zurück. Was mit den vielen toten Grindwalen geschieht? Die Neuseeländer setzten einen Apparat ein, der sie an Land zieht, wo sie dann im Sand vergraben werden können.

Jule war zwei Tage am Farewell Spit, die Nacht verbrachte sie in einem Wohnmobil. Ein Farmer hatte spontan zwei große Grundstücke zur Verfügung gestellt. Dort entstand ganz schnell ein großer Parkplatz und eine nicht minder große Zelt- und Wohnmobilstadt.

Zurück in Takaka, zerbricht sie sich wie viele andere den Kopf darüber, warum es immer wieder zum Stranden von Walen kommt. Selbst die Wissenschaft kann nichts Genaues sagen. Da ist von einer grassierenden Krankheit, ungewöhnlich hohen Wassertemperaturen und einem gestörten Echolot-System der Tiere die Rede. Angeblich wirken sich seismologische Untersuchungen vor der Küste negativ aus.

Um Schutz sehr bemüht

Doch nicht nur Jule glaubt, dass das Rätsel weiterhin ungelöst bleibt. Gerade Neuseeland bemüht sich in unglaublicher Weise, die Meerestiere zu schützen. Ansehen und staunen, das geht, alles andere ist absolut verboten. So geht es beispielsweise in dem Städtchen Kaikoura zu, ebenfalls auf der Südinsel gelegen, das viele Touristen anzieht, die mit dem Boot hinausfahren und darauf hoffen, Wale und andere Meeresbewohner zu sichten. Wegen des schweren Erdbebens im November konnte Jule damals nicht nach Kaikoura gelangen, das Whale Watching fiel zu ihrem großen Bedauern aus. Nun erlebte sie an der Golden Bay sozusagen ein Whale Touching, doch ein Gefühl der Zufriedenheit kann sich nicht einstellen, da für die meisten Tiere Hilfe nicht mehr möglich war.

Natur kann grausam sein

Damit nicht genug: Nach den aufwühlenden Tagen am Spit schreckte eine neue Hiobsbotschaft das normalerweise fröhliche Völkchen in Takaka und an anderen Orten dieser wunderschönen Gegend auf. Ebenfalls an der Golden Bay wurde ein weiteres Stranden von Walen gemeldet. Diesmal ist sogar von bis zu 200 Tieren die Rede, berichtet Jule per Telefon. Natur kann grausam sein. Diese Erfahrung wird die Studentin nach Deutschland mitnehmen, wenn sie in einigen Monaten zurückkommt.

Ihr nächstes Ziel ist Christchurch, die größte Stadt auf der Südinsel, deren Zentrum 2011 von einem Erdbeben fast vollständig zerstört wurde. In Neuseeland ist man halt an den Naturgewalten näher dran.

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