Serbische Familie fand im Polsinger Pfarrhaus Zuflucht

12.8.2016, 17:16 Uhr
Serbische Familie fand im Polsinger Pfarrhaus Zuflucht

© Erich Neidhardt

Die serbische Familie hatte massive Gewalterfahrungen gemacht und sich deshalb vor etwa vier Jahren entschlossen, ihrem Heimatland den Rücken zu kehren. „Alle waren schwer traumatisiert“, beschreibt der Polsinger Pfarrer Christof Meißner den seelischen Zustand der Betroffenen, der sich übrigens auch in Deutschland nicht wesentlich bessern sollte. Ein zunehmendes Problem war für die Flüchtlingsfamilie die ethnisch und konfessionell motivierte massive Gewalt, die in Serbien zum Alltag gehört, und die immer wiederkehrenden Übergriffe, die sie schmerzlich auch am eigenen Leib verspüren mussten. Die Schwierigkeiten wurden noch dadurch verstärkt, dass der Vater ein serbisch-orthodoxer Christ ist, während die Mutter dem Volk der Roma angehört und Muslimin ist. Dies führte dazu, dass der Mann bei der Heirat von seiner Familie unwiederbringlich verstoßen und persönlich massiv gekränkt wurde, weil er eine Frau anderen Glaubens zu seiner gemacht hatte.

Bevor die serbische Familie nach Deutschland kam, hatte sie bereits eine längere Odyssee hinter sich. Damals noch zu dritt — die Tochter kam in Franken zur Welt —, führte der Weg zunächst nach Schweden und Norwegen. Die Hoffnung, hier als Asylsuchende anerkannt zu werden, erfüllte sich allerdings nicht und die Familie wurde unter Staatsgewalt abgeschoben. Die darauffolgende Station war Deutschland, wo Vater, Mutter und Tochter nach einem kurzen Aufenthalt in Zirndorf rund drei Jahre lang in Heidenheim im Hahnenkamm untergebracht waren.

„Ganz viel versucht“

Doch auch in der Bundesrepublik eröffnete sich keine dauerhafte Perspektive. Der Asylantrag der serbischen Familie wurde 2013 abgelehnt, die daraufhin Einspruch gegen die drohende Abschiebung einlegte. „Sie hat in Deutschland ganz viel versucht und verschiedene Stellen für Flüchtlingshilfe kontaktiert“, weiß Pfarrer Meißner. Mit dem Ziel, als Asylanten anerkannt zu werden, wurden unter anderem zwei psychologische Gutachten erstellt, in denen die traumatischen Erfahrungen beschrieben sind. Um den Anerkennungsstatus zu bekommen, begab sich die Frau bei einer Würzburger Psychologin in Therapie.

Allerdings nicht mit dem erhofften Erfolg: Im Februar dieses Jahres wurde dann offenbar, dass alles ausgereizt war und die Familie nicht länger bleiben konnte. Sie stand nun vor der Alternative, entweder freiwillig auszureisen oder abgeschoben zu werden. Letzteres hätte allerdings bedeutet, dass die Eltern und die beiden Kinder zunächst in ein Rückführungslager in Bamberg gebracht worden wären. Dieses ist nicht nur in kirchlichen Kreisen für die sehr negative und belastende Stimmung bekannt, die dort herrscht. „Auch hätte sich eine Familie wie diese, die gemischtreligiös ist, in dem Umfeld garantiert fürchten müssen“, weiß Pfarrer Meißner — eine schmerzliche Erfahrung, die der Familie bereits während ihrer Zeit in Heidenheim nicht erspart blieb.

Bereits vor ihrem Aufenthalt in Polsingen hatte die Flüchtlingsfamilie mit Unterstützung einer Erlanger Anwaltskanzlei beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage eingereicht mit dem Ziel, nicht nach Bamberg zu müssen und wenigstens für ein Jahr den Aufenthaltsstatus zu erhalten. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Mutter ihre begonnene Therapie abschließen kann. Der Klageerfolg blieb allerdings aus. Das Gesuch wurde vom zuständigen Richter abgelehnt. Er vertrat die Auffassung, dass die serbische Familie keinen Rechtsanspruch hat, in Deutschland zu bleiben.

Sozialarbeiter knüpfte Kontakt

Doch wie kam es zu dem Kirchenasyl? Ein Sozialarbeiter der Diakonie hatte in Heidenheim Kontakt zu der Familie sowie zur Kirchengemeinde und zu Dekan Klaus Kuhn. Wissend, dass in Polsingen das Pfarrhaus leersteht, ging Letzterer auf Pfarrer Meißner zu und fragte, ob hier nicht Asyl gewährt werden könnte. „Danach musste alles ganz schnell entschieden werden“, erinnert sich der Polsinger Ortsgeistliche, denn schon fünf Tage nach der Anfrage Kuhns am 1. Februar drohte der Umverteilungstermin nach Bamberg. Der Dekan und der Sozialarbeiter schilderten Christof Meißner und dem Kirchenvorstand den Fall und stießen bei den Verantwortlichen mit der Bitte, Kirchenasyl zu gewähren, auf offene Ohren. Das Ziel war, die Familie übergangsweise aufzunehmen, bis der Fall gerichtlich entschieden ist, und ihr den Weg nach Bamberg zu ersparen.

Pfarrer Meißner und der Kirchenvorstand setzten während des Kirchenasyls allerhand Hebel in Bewegung, um die Familie in der Bundesrepublik zu behalten. „Wie wir die Familie in ihrer Gesamtheit wahrgenommen haben, waren wir überzeugt, dass sie in Deutschland bleiben soll“, so Meißner. Nicht zuletzt zeichnete sich der Sohn für ein Kind mit Migrationhintergrund durch hervorragende schulische Leistungen aus und spricht sehr gut Deutsch, hätte hierzulande also sehr gute Perspektiven. Auch präsentierten sich Vater und Mutter als sehr ordentliche Leute, die das Pfarrhaus und das dazugehörige Grundstück bestens pflegten. Pfarrer Meißner bedauert es, dass das Ziel, der Familie durch das Kirchenasyl einen Aufenthalt in Deutschland wenigstens so lange zu gewähren, bis die Trauma-Therapie der Mutter abgeschlossen ist, infolge des negativen Gerichtsurteils und weiterer rechtlicher Regelungen nicht erreicht werden konnte. „Es ging nicht anders: die Familie musste zurück in ihr Heimatland“, sagte er in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Sie sei da zwar gut angekommen und habe eine vorübergehende Bleibe bei einer befreundeten Familie gefunden, müsse aber in dem Land, in dem sie schlimme Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen machen musste, wieder neu beginnen. Dies sei mit Sicherheit nicht einfach, weil die Mutter nach wie vor eine muslimische Roma ist und der Vater serbisch-orthodoxer Christ. Meißner hofft, dass die in Polsingen gemachten Erfahrungen für die Familie eine Motivation sind, auch Durststrecken durchzustehen.

Am Ende resigniert

Um nicht abgeschoben zu werden, entschied sich die Familie während des Kirchenasyls dafür, freiwillig Deutschland zu verlassen. Dieser Entschluss, weiß Pfarrer Meißner, fiel auch „ein Stück weit aus Resignation, etwas in Deutschland noch länger hinzuziehen, was keinen Erfolg hat“. Weil sie sich in ein Kirchenasyl begeben hat, darf sie nicht mit einer Arbeitserlaubnis in die Bundesrepublik zurückkommen. Eine Einreise wird in Zukunft allenfalls mit einem befristeten Touristenvisum möglich sein.

Pfarrer Meißner ist dankbar für alle Unterstützung, die die Flüchtlingsfamilie während ihrer Zeit im Polsinger Pfarrhaus erfahren durfte. Viele Helferinnen und Helfer aus der Kirchengemeinde Polsingen sowie von benachbarten Gemeinden haben die vier nach seinen Worten „mit großem Engagement und großer Hilfsbereitschaft begleitet und betreut“. Eine staatliche Unterstützung gab es während der Zeit in Polsingen nicht. Durch zahlreiche und oft üppige Spenden konnte man der Familie aber nicht nur gut über die viereinhalb Monate helfen, sondern ihr nun auch eine Starthilfe in Höhe von 3000 Euro mit auf den Weg geben. Insgesamt waren es über 7000 Euro, die seitens der Kirchengemeinde und der Bevölkerung während des Kirchenasyls gegeben wurden.

„Der Vater der Flüchtlingsfamilie hat sich bei mir immer wieder sehr herzlich für alle Hilfe bedankt“, erinnert sich Pfarrer Meißner. Auch habe er oft gesagt, dass ihn die offene Art sehr berührt hat, mit der er und die Seinen aufgenommen wurden. „Ich denke, ich kann im Namen aller Helferinnen und Helfer sprechen: Wir haben die vierköpfige Familie sehr gerne bei uns aufgenommen, sie ist uns ans Herz gewachsen und wir haben sie nicht leichten Herzens gehen lassen“, so der Geistliche. Es sei ein Kraftakt gewesen, doch man habe es gemeinsam geschafft. „Wir haben einer Familie in Not geholfen, das macht mich froh und stolz“, so Pfarrer Meißner rückblickend. Der Polsinger Ortspfarrer hofft, dass sich auch in Zukunft Menschen finden, die bereit sind, anderen in Not zu helfen und ihnen offen und liebevoll zu begegnen.

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