Teilhabe und Förderung müssen kein Gegensatz sein

19.12.2014, 07:00 Uhr
Teilhabe und Förderung müssen kein Gegensatz sein

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Doch was heißt das? Sollte ein geistig behindertes Kind auf eine Regelschule gehen? Oder profitiert es doch mehr von der intensiven Betreuung am Förderzentrum? Wie sieht es mit lernschwachen Schülern aus, mit hochintelligenten Autisten, mit Seh- oder Hörgeschädigten? Keine Patentrezepte, aber guten Rat für Eltern und Lehrer hat die „Beratungsstelle Inklusion“, die es seit diesem Schuljahr am Staatlichen Schulamt in Weißenburg gibt.

Das Berater-Trio hat keine leichte Aufgabe. Denn laut bayerischem Unterrichtsgesetz ist das Einbeziehen von Förderschülern in den regulären Unterricht mittlerweile kein  Sonderfall mehr, sondern „Aufgabe aller Schulen“. Umgekehrt bedeutet das, dass „sonderpädagogischer Förderbedarf nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schulart begründet“. Die Schulwahl liegt letztlich bei den Eltern. Doch die brauchen eine Entscheidungsgrundlage. Und die Lehrer, in deren Klassen plötzlich ganz unterschiedliche Kinder sitzen, muss ebenfalls jemand schulen.

Dafür sind Tanja Zeiner, Grit Landwehr und Robert Stumpe da. Zeiner ist Schulpsychologin und Beratungsrektorin in Markt Berolzheim, Landwehr Konrektorin der Weißenburger Römerbrunnenschule und Stumpe Lehrer am Sonderpädagogischen Förderzentrum in Gunzenhausen. Landwehr und Stumpe  sind außerdem im mobilen sonderpädagogischen Dienst (MSD) tätig. Ihre Aufgaben: den Förderbedarf betroffener Kinder zu diagnostizieren, die Eltern unabhängig und vertraulich zu beraten, Ansprechpartner und Schnupperbesuche zu vermitteln sowie die Lehrer fortzubilden und im Unterricht zu unterstützen.

Die Möglichkeiten sind vielfältig. Neben den Förderschulen gibt es Häuser mit „Inklusionsprofil“, Kooperations- und Partnerklassen sowie die Einzelinklusion an Regelschulen. Der Unterschied zwischen Kooperations- und Partnerklassen ist, dass in ersteren mehrere behinderte Kinder gemeinsam mit den Regelschülern unterrichtet werden, während Partnerklassen komplett aus Förderschülern samt eigenem Lehrer bestehen. Mit den Regelklassen teilen sie sich nur bestimmte Fächer wie Kunst oder Musik.

Partnerklasse oder Profilschule?

Neun Kooperationsklassen gibt es aktuell im Landkreis. Sie erhalten wöchentlich drei bis vier Stunden Unterstützung vom MSD. An Schulen mit Einzelinklusion sind es zwei. Die einzige Partnerklasse des Landkreises ist die der Römerbrunnenschule an der Grundschule Pfofeld-Theilenhofen – laut Schulamtsdirektor Hermann Balk wegen des Nebeneinanders von Einbindung und Förderung „eigentlich die Idealform der Inklusion“. Ähnlich aufgestellt sind die insgesamt zehn Förderschulklassen unter den Dächern der der Grundschule Süd und der Stephani-Schule in Gunzenhausen sowie der Grundschule in Treuchtlingen. Hier hängt der Grad des Miteinanders allerdings stark davon ab, ob sich Schulleitung und Lehrer als Partner oder nur als Gastgeber und Gast verstehen.

Profilschulen haben sich wiederum bewusst für die Inklusion als Schwerpunkt entschieden. Die einzige im Landkreis befindet sich in Markt Berolzheim. Sie profitiert mit jeweils bis zu 13 Wochenstunden an Grund- und Mittelschule am meisten von der Begleitung durch den MSD.

Problematisch wird es, wenn „schwierige“ Schüler die Regelklassen stören oder bremsen und die „normalen“ Lehrer mit der Zusatzaufgabe überfordert sind. Ebenso nützt es den Inklusionsschülern nichts, wenn sie im Unterricht nicht mithalten können. „Inklusion  muss dem Kind dienen, nicht den Eltern“, betont Landrat Gerhard Wägemann. Laut Beraterin Grit Landwehr entscheidet sich deshalb etwa die Hälfte der Eltern bewusst für die Förderschule.

„Die Inklusion steht bei uns noch ganz am Anfang“, weiß auch Robert Stumpe. Zwar räumen alle drei Berater ein, dass der Aufwand manchmal unverhältnismäßig sei, wo doch auch viele nichtbehinderte Kinder die Förderung nötig hätten. „Aber Inklusion muss irgendwo beginnen und braucht anfangs noch Unterstützungssysteme“, ist Grit Landwehr überzeugt. Zudem profitieren laut Tanja Zeiner beide Seiten von einem gelungenen Miteinander: Die Förderschüler durch Teilhabe und Perspektiven, ihre nichtbehinderten Kameraden durch „soziales Lernen“.

„Baff, wie gut das funktioniert“

So ist Schulamtschef Balk, in dessen Haus sich die Beratungsstelle befindet, nach den ersten Monaten bereits „total baff, wie gut das funktioniert“. Drei Familien, deren behinderte Kinder vor der Einschulung standen, habe das Team Schnupper-Schulbesuche ermöglicht. Für ältere Schüler stellen die Berater Kontakte zur Arbeitswelt her. Und auch für Kinder mit Migrationshintergrund, die an der Sprachbarriere scheitern, sucht das Team maßgeschneiderte Lösungen.

Die können Inklusionsklasse, Förderschule oder auch Hausunterricht heißen. „Ich bin froh, dass es beide Systeme gibt“, unterstreicht Hermann Balk. Denn gerade die Möglichkeit, selbst über Schulart und -ort zu bestimmen, ist für Behinderte und ihre Familien ebenfalls ein Schritt hin zur Teilhabe auf Augenhöhe.

Zu erreichen ist die Inklusionsberatungsstelle unter Telefon 09141/855821 oder E-Mail inklusion@landkreis-­wug.de. Weitere Informationen gibt es online unter www.schulamt-wug.de.

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