Aufruf am Gedenktag: Verbrannte Bücher neu entdecken

30.1.2017, 06:00 Uhr
Aufruf am Gedenktag: Verbrannte Bücher neu entdecken

© Foto: Jansen

Seit 1996 wird am 27. Januar – dem Tag der Befreiung der Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz – der Opfer des NS-Regimes gedacht. Lehrerin Ulrike Deawin-Spindler hatte zusammen mit ihren Schülern sich für diesen Tag mit der „Bücherverbrennung“ im Mai 1933 auseinandergesetzt.

Studienrat Stefan Regenfuß vertrat sie an diesem Abend und erläuterte die Intension: „Wir wollen an Schriftsteller erinnern, die weitgehend unbekannt sind, weil ihre Bücher verboten waren und verbrannt wurden“.

Unbekannte Portraits

Jeder Besucher erhielt beim Empfang einen Button mit dem Porträt eines Schriftstellers und stellte sich die Frage: Wer ist das? Es waren nicht die Konterfeis von Bertolt Brecht oder Lion Feuchtwanger, die im Kanon der deutschen Literaturgeschichte präsent sind, sondern Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die durch das Veröffentlichungsverbot in Vergessenheit geraten sind. Wer kennt heute noch Irmgard Keun oder Hermann Essig?

Der stellvertretende Leiter des Stadtmuseums, Christian Hoyer, erläuterte den historischen Hintergrund. Vorbild für die Bücherverbrennung von 1933 war das Wartburgfest von 1817. Damals verbrannten Studenten Altpapierballen, beschriftet mit den Titeln von Büchern, die von Gegnern der burschenschaftlichen Einheitsbewegung verfasst worden waren.

„Lebender Leichnam“

Am 10. Mai 1933 brannten auf dem Berliner Opernplatz unter dem Motto „Wider den undeutschen Geist“ unter anderem Bücher von Arnold Zweig, Carl von Ossietzky, Jakob Wassermann und auch Erich Kästner. Er war wohl der Einzige der vielen Autoren, der zusehen musste wie seine Bücher in Flammen aufgingen. „Man ist ein lebender Leichnam“, so fasste er seine Empfindungen zusammen. Er blieb in Deutschland und veröffentlichte weiterhin unter Pseudonym.

Oskar Maria Grafs Bücher wurden zunächst nicht verbrannt, aber 1934 wurden seine Bücher bei einer eigens für ihn angesetzten Bücherverbrennung in der Münchener Universität ein Opfer der Flammen. Er war einer der „verbrannten Autoren“ den Marco Schaub vorstellte. Er wurde ausgebürgert und floh 1938 über die Niederlande in die USA, wo er 1967 starb. Lisa Petukov gab einen Einblick in sein literarisches Schaffen und las eine Passage aus seinen Kalendergeschichten.

Heute vergessen

Den größtenteils vergessenen Schriftsteller Hermann Essig stellte Teresa Schüler vor. Er ist zwar bereits 1918 gestorben, aber das hinderte die Nationalsozialisten nicht daran, seinen satirischen Schlüsselroman „Der Taifun“ zu verbrennen. Ronja Dittner las Passagen daraus vor.

Die einzige Schriftstellerin Irmgard Keun porträtierte Katharina Siebekke-Yrisarry. Keun war eine äußerst erfolgreiche Autorin, die mit „Das kunstseidene Mädchen“ einen Verkaufserfolg erzielte. Die Nazis erkannten darin aber antideutsche Tendenzen, und auch die Beschreibung des Alltags in Nazi-Deutschland in ihrem Roman „Nach Mitternacht“ missfiel den Nationalsozialisten und führte zu einem Verbot ihrer Schriften.

Julia Bürkel und Katharina Siebekke-Yrisarry gaben Leseproben aus diesen Werken. Nach dem Krieg konnte sie literarisch nicht mehr Fuß fassen. Auch die Werke des letzten, von Christoph Gabler vorgestellten Literaten, B. Traven waren von 1933 bis 1945 verboten. Seine Ansichten waren den Nationalsozialisten zu revolutionär.

Episoden vorgelesen

Sein wirklicher Name ist weiterhin ein Geheimnis, man vermutet, es könnte sich um Otto Feige handeln. Insgesamt zwölf Romane hat er verfasst, daneben viele Erzählungen in Form von Abenteuergeschichten. Aus den „Meistererzählungen“ las Klara Mennerat eine Episode vor um einen Einblick in das literarische Werk zu geben.

Im Vorfeld zur Veranstaltung hatten sich die Schüler Gedanken über Zensur in der heutigen Zeit gemacht. In vielen Ländern der Welt wie etwa Nordkorea, Südafrika, China, der Türkei oder Russland sind Presse- und Meinungsfreiheit nicht mehr gegeben oder in Gefahr.

Durch Umfragen bei Passanten, beim Personal in der Stadtbücherei und bei Buchhandlungen erkundigten sie sich nach dem Bekanntheitsgrad der „verbrannten Autoren“. Wenige Namen, wie etwa Erich Kästner oder Stefan Zweig, waren den meisten Menschen bekannt, aber die meisten der im Nationalsozialismus verbotenen Autoren waren unbekannt und vergessen.

Deshalb kam der der Aufruf von Stefan Regenfuß: „Entdecken Sie die Autoren wieder, sie haben es alle verdient“.

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