5700 Kilometer in vier Wochen

18.10.2016, 17:53 Uhr
5700 Kilometer in vier Wochen

© Foto: privat

Die Vorgaben seiner abenteuerlichen Fahrten sind stets die gleichen: Der 48-Jährige ist alleine unterwegs („Ich kann diese Strapazen niemandem zumuten“), sein Gefährt ist ein 28 Jahre altes italienisches Colnago-Fahrrad („Der Ferrari unter den Rennmaschinen“), das kilometermäßig inzwischen viermal den Erdumfang (42 000 Kilometer) umrundet hat. Und in der Tasche auf dem Gepäckständer befinden sich lediglich wenige unverzichtbare Werkzeuge, der Notschlafsack und ein paar Wechselklamotten („Eine lange Hose für den Besuch heiliger Stätten“). Für die Verpflegung reichen ihm zwei Trinkflaschen, die allerdings gerade auf Wüstenstrecken immer rechtzeitig nachgefüllt werden müssen, und die Angebote der Stände entlang der Straßen, also vor allem Obst, Käse oder Fladenbrot.

Apropos Straßen: In vielen Ländern darf auf Autobahnen geradelt werden, sodass man sich häufig in Begleitung der motorisierten Welt bewegt und deshalb an bestimmten Haltestellen nicht nur mit Proviant, sondern auch mit wichtigen Verkehrsnachrichten versorgt wird. „Die regelmäßige Kommunikation ist eine der elementaren Voraussetzungen für ein solches Unternehmen“, so Heinrich Bickel. „Denn wenn man sich unzureichend informiert, kann es dazu führen, dass große Umwege in Kauf genommen werden müssen und wertvolle Zeit ver-loren geht.“

Freilich war diesmal die Konversation bisweilen recht mühsam, weil sich in Regionen wie den Kaukasus-Republiken kaum Menschen finden lassen, die genügend Englisch verstehen, sodass oft das „Radebrechen“ mit Händen und Füßen sowie flüchtige schriftliche Skizzen als letzter Ausweg dienten. Vor allem auf dem Lande existieren dort nur die kyrillischen Schriftzeichen, die mit der einfachen europäischen Straßenkarte des Buttenheimers nicht kompatibel waren. „Der Trick, sich am ersten Buchstaben zu orientieren, klappt nicht immer“, gesteht der „Globebiker“ freimütig.

Andererseits, und diese Erfahrung machte er schon bei früheren Reisen, gaben sich die Menschen alle Mühe, ihm zu helfen. Geduldig lauschten sie seinen Fragen und Erklärungen, um ihm zwischendurch sogar Essen und Trinken zu kredenzen. Außerdem gewährten sie einige Male kostenloses Nachtquartier, als der Radler vergeblich nach einer kommerziellen Unter-kunft suchte.

In den ehemaligen Ländern der UdSSR nächtigte der überzeugte Individualtourist bevorzugt in so genannten Gostinicas, in öffentlichen, recht billigen Gemeindebauten, wo man natürlich oft auf gewohnten Komfort verzichten muss. In einer solchen Herberge westlich von Charkow erlebte er heuer erstmals eine gefährliche Situation, als man ihn nachts zu überfallen versuchte. Zum Glück roch er den Braten rechtzeitig, sodass er durch lautes Rufen und Klopfen seine Umgebung wach rütteln und den Täter vertreiben konnte.

„Eine Ausnahme“, beteuert der erste Vorsitzende des Fördervereins Herzogenaurach-Voropajewo (Weißrussland), denn bisher hätten ihn der gesunde Menschenverstand und eine Art angeborener „Mutterwitz“ vor jeglichem Schaden bewahrt. Selbst als er in Tschetschenien, kurz vor Grosny, von drei Pistoleros ins Fadenkreuz genommen wurde, bereinigte er die Situation mit natürlichem Charme, sodass sich die Revolver-Männer sogar mit ihm fotografieren ließen. Recht wohl war dem überzeugten Pazifisten beim Hantieren mit den geladenen Colts allerdings nicht.

An einer Grenzstation von Polen zur Ukraine, die unverständlicherweise für Fußgänger und Radfahrer gesperrt war, gelang es ihm, die Kontrollposten beider Länder zu überzeugen, dass eine Person plus Drahtesel im Pkw nicht zu den beiden „verbotenen Gruppen“ gehören. Und als der uralte Chevrolet des hilfsbereiten ukrainischen „Komplizen“ kurz vor der Demarkationslinie den Geist aufgab, schob Bickel das Auto inklusive Besitzer und Colnago-Fahrrad auf die andere Seite. Eine Hand wäscht schließlich die andere, und das Grenz-problem war somit für alle Beteiligten zufriedenstellend gelöst.

Trotz durchschnittlicher Tagesrouten von 220 Kilometern hatte der am Weltgeschehen interessierte Reisende Gelegenheit, verschiedene berühmte Orte zu besichtigen, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt: Den Majdan in Kiew, wo die bewusst erhaltenen Pflasteraufmalungen verdeutlichen, wie viele Opfer es bei den damaligen Unruhen gegeben hat. Oder den Donbass mit den zahlreichen Militärkonvois, die daran erinnern, wie brisant heute noch die Lage in der Ost-Ukraine ist.

Sehr aufgewühlt fühlte sich Heinrich Bickel nach dem Besuch der Stadt Beslan in Nordossetien, in der 2004 ein russisches Kommando die Geiselnahme von mehr als 1000 überwiegend jungen Menschen durch tschetschenische Terroristen blutig beendete. „Die Bilder der Schülerinnen und Schüler, ihre Stofftiere oder Wasserflaschen in der jetzt leer stehenden Turnhalle haben mich fassungslos gemacht und zu Tränen gerührt, zumal ich nachher auf dem Friedhof der Mutter eines der getöteten Kinder begegnete“, erzählt Bickel.

Im russischen Rostow am Don, einer der Austragungsorte der nächsten Fußball-WM, konnte er sich über die Bautätigkeiten am neuen Stadion informieren. Von Sotschi aus besuchte er die nahen Wettkampfstätten der Olympischen Winterspiele 2014, und in Georgiens Hauptstadt Tiflis gönnte er sich einen Extra-Ruhetag, um die Attraktionen dieser Stadt genießen zu können.

Auch sein diesjähriger Zielort, das aserbaidschanische Baku am Kaspischen Meer, beeindruckte den Mann aus Buttenheim, besonders die sehenswerte Altstadt mit ihren engen Gas-sen und Sandsteinfassaden, wo der motorisierte Verkehr allein den Einwohnern erlaubt ist. Nicht nur der zahlreichen Touristen und der westlichen Konsumtempel wegen („von Hilton über Armani bis Tiffany“) fühlte sich der weit Gereiste fast schon wieder zu Hause, im vertrauten Alltag. Auch hinsichtlich der Mode und des Freizeitverhaltens entdeckte Bickel Parallelen: Denn im Gegensatz zum übrigen Land trugen die Frauen dieser Metropole kurze Röcke und es wurde vielerorts Alkohol ausgeschenkt.

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