Andrei Iwanowitsch sagt Ja zum Leben

28.3.2018, 14:00 Uhr
Andrei Iwanowitsch sagt Ja zum Leben

© Hannes Farlock

Andrei Iwanowitsch verzaubert die Menschen, auch wenn er das gar nicht will. "Es ist wie Magie", sagt Hannes Farlock, "wer ihn trifft, merkt sehr schnell, was er für ein toller, fröhlicher Mensch ist." Den 36-Jährigen, der aus Höchstadt stammt, begeistert das so sehr, dass er sich entscheidet, einen Film über seinen guten Freund zu drehen. Andrei Iwanowitsch ist einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald. Er wohnt in Minsk in Weißrussland und steht trotz seines Alters von 92 Jahren noch geistig und körperlich mitten im Leben.

Wodka und Wurst

Dieses Leben zu zeigen, darum geht es Hannes Farlock in der Dokumentation "Ja, Andrei Iwanowitsch". Der Regisseur hebt nicht den Zeigefinger, er zeichnet Schicksalslinien nach. "Wir begleiten Andrei über fast drei Jahre mit der Kamera, ernten mit ihm Honig auf seiner Datscha, sitzen mit seiner Nachbarin bei Wodka und Wurststullen beisammen, fahren mit ihm und seinem besten Freund Albert Albertowitsch zum 70. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds nach Weimar."

Kennengelernt haben sich die beiden Freunde in Minsk. Hannes Farlock war gerade wegen eines Jobs aus Deutschland nach Belarus gezogen. In seiner Freizeit engagierte er sich in der Geschichtswerkstatt Minsk, die Überlebende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unterstützt. Nach dem Abitur in Höchstadt war ihm beim Zivildienst im polnischen Krakau Erinnerungsarbeit zum Anliegen geworden. Weil Andrei Iwanowitsch sich auf eine Reise nach Deutschland vorbereitete, lernten die Männer zusammen Deutsch und freundeten sich an. "Je besser wir uns über die Jahre kennenlernten, je mehr er von sich, seinem Leben, seinen Ansichten preisgab, desto mehr faszinierte er mich. Irgendwann begriff ich es als Verpflichtung, Notwendigkeit und großartige Chance, etwas davon festzuhalten." Zumal es bald wirklich keine Zeitzeugen mehr gibt und Farlock befürchtet, dass es dann — beim aktuellen Erstarken des Rechtspopulismus — heißen könnte: "Ach, das war doch alles gar nicht so schlimm."

Andrei Iwanowitsch sagt Ja zum Leben

© Hannes Farlock

Andrei Iwanowitsch ist 15 Jahre alt, als seine Stiefmutter bei einem heftigen deutschen Angriff stirbt und er als Ältester für das Überleben seiner Geschwister verantwortlich ist. Soldaten greifen ihn auf und lassen ihn deportieren. Nach einer Zeit als Zwangsarbeiter gerät er in die Hölle von Buchenwald und bleibt ein Jahr lang im Konzentrationslager, bis die US-Armee es im April 1945 befreit. Er hat überlebt. Und er gibt auch dann nicht auf, als in der Zeit nach dem Krieg einer nach dem anderen seiner Familienangehörigen stirbt.

Bester Kameramann

Der Film kontrastiert die lebensbejahende Art, wie er seinen Alltag meistert mit seiner tragischen Lebensgeschichte. Der Film begleitet seinen Helden in unzähligen Alltagssituationen und zeigt wie er mit sich mit einer minimalen Rente und zusätzlichen Nachtdiensten im Alter von über 90 Jahren über Wasser hält — unter anderem, in dem er von dem lebt, was er in seinem Garten anbaut.

Das Filmteam ist auch dabei, als Iwanowitsch Martin Schulz trifft, damals noch Präsident des Europäischen Parlaments. Es ist eine Szene, die Andreis Lebensmut weiter bestärkt. "Er spricht heute noch davon, dass die beiden ausgemacht haben, sie sehen sich in fünf Jahren wieder", erzählt Hannes Farlock. Überhaupt: Das Ja zum Leben, das sein Freund in die Welt ruft, beeindruckt den Regisseur immer wieder.

Und nicht nur ihn. Durch ein Dokumentarfilm-Projekt mit dem belarussischen Fernsehen hatte Farlock Dzianis Sakalouski kennengelernt, der 2016 zum besten Kameramann in Belarus gewählt wurde. Bei einem Treffen mit Andrei Iwanowitsch sprang der Funke zwischen Kameramann und Filmheld ebenfalls sofort über, kurz darauf begannen die Dreharbeiten.

Andrei Iwanowitsch sagt Ja zum Leben

© Farlock

Bis dahin hatte Farlock in Dokumentationen des belarussichen Fernsehens vor der Kamera gestanden, jetzt entstand sein erster eigener Dokumentarfilm — in der Freizeit. Farlock arbeitet unter anderem als Informationstechnologe und bei der Industrie- und Handelskammer.

Eines wird ihm bei den Dreharbeiten in dieser Zeit bewusst: "So einen außergewöhnlichen Menschen hatten wir zuvor noch nie getroffen. Ein Mensch, der sich im Alter von 92 Jahren jeden Tag beharrlich dem Fremdsprachenstudium widmet, sich und seine Freunde mit Gemüse und Obst selbst versorgt und mit seiner Freundin ein aktives Liebesleben pflegt."

Der Film kann nicht beantworten ob Andrei Iwanowitsch wegen oder trotz seiner tragischen Lebensgeschichte der geworden ist, der er ist. Er aber zeigt jemanden, dem sein tragisches Schicksal und seine bis heute schwierigen Lebensumstände nicht die Würde und Lebensfreude nehmen konnten, der sich und seinen Glauben an das Gute in der Welt niemals aufgegeben hat.

Gefeierte Veteranen

Abgesehen von Andreis inneren Konflikten zeigt der Film einen äußeren Missstand: Die unwürdige Lage ehemaliger Zwangsarbeiter in seinem Heimatland im Kontrast zu den Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Wer an der Front gekämpft hat, ist für immer ein Held. Der Überlebende eines Konzentrationslagers ist vom gesellschaftlichen Ansehen her ein Niemand.

"Ich wollte keinen düsteren und belehrenden Film machen, es sollte etwas sein, was Andreis heiterem Geist und munterem Lebenseifer entsprach." Farlock hat es sich im Leben zum Ziel gemacht, zwischen Menschen zu vermitteln. Wie ginge das besser als mit einem, der die anderen verzaubern kann, einfach nur indem sie seinen Lebenseifer im Alltag erleben?

Die Vorpremiere steigt in Farlocks Heimatstadt Höchstadt am Sonntag, 8. April, um 17 Uhr, im Versammlungsraum der Fortuna Kulturfabrik. Veranstalter ist der Freundeskreis Höchstadt-Krasnogorsk. Der Eintritt ist frei, Regisseur und Hauptdarsteller sind anwesend und stehen nach der Vorstellung für Fragen zur Verfügung.

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