Arme auf der Schattenseite

16.1.2017, 17:05 Uhr
Arme auf der Schattenseite

Denkwürdiges Erlebnis beim Einkaufen für den VdK-Kreisvorsitzenden Karl-Heinz Bauer. „Eine Bäckerei-Kundin wollte zehn Semmeln von gestern.“ Ungerührt griff die Verkäuferin ins Fach mit den frischen Brötchen und gab ihr zehn Stück zum absoluten Dumpingpreis von 50 Cent. Bauers Spende zum großzügigen Begleichen der Einkaufszeche lehnte die Verkäuferin mit Herz aber ab.

„Es gibt Menschen, die sitzen zu dieser Zeit im Winter im Anorak in der Wohnung, weil sie die Heizung nicht bezahlen können“, weiß Bauer. Er kennt Fälle von Landkreis-Bewohnern, die sich keine Busfahrkarte kaufen können, oder seit Jahren nicht im Kino waren. Bauer: „Eine Frau hat zu mir gesagt: Statt ins Kino zu gehen schaue ich mir die Schaufenster an.“

Für Bedürftige wie sie wurden im vergangenen Herbst von der Volkshochschule in Erlangen eine Reihe kostenloser Filme gezeigt und „eine Tasse Kaffee“ dazu gereicht. Jetzt soll das Projekt auf den ganzen Landkreis ausgedehnt werden. Alleine aus seiner Firma, einem internationalen Erlanger Großkonzern, kennt Bauer vier Fälle aus dem vergangenen Jahr, wo Arbeitnehmer wegen gesundheitlicher Probleme die Stelle aufgeben mussten und schließlich Privatinsolvenz angemeldet haben.

Immer wieder führt der VdK Auseinandersetzungen mit dem medizinischen Dienst der Krankenkassen, oder direkt mit den Versicherungen, weil Patienten nicht das gewünschte und für sie nötige Medikament erhalten. „Wenn ein Hausarzt ein Rezept ausstellt, gibt es unangenehme Nachfragen.“ Wenn das identische Medikament direkt vom Kardiologen verordnet wurde, blieben diese kritischen Nachfragen der Krankenkasse aus.

Kasse lehnt ab

Andere Patienten seien nach schriftlichen Anträgen an die Krankenkasse telefonisch abgewimmelt worden. Erst wenn die Versicherten auf einem einklagbaren, schriftlichen Bescheid bestanden hätten, sei die Entscheidung doch noch zu ihren Gunsten ausgefallen.

Für die im Landkreis zuständige Leiterin der Caritas-Sozialberatung, Verena Zepter, ist klar: „Je reicher eine Region, umso schwieriger ist es, dort arm zu sein.“ Schuld an diesem Umstand sei auch der eklatante Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Von den rund 200 Klienten für eine persönliche Beratung in Herzogenaurach im vergangenen Jahr beziehe mehr als die Hälfte staatliche Transferleistungen wie ALG II oder Grundsicherung, „wenn die Rente nicht reicht“. Auch Schwerbehinderte gehören zu dieser Gruppe. Vor zehn Jahren war „nur“ jeder Dritte Ratsuchende auf finanzielle Hilfe angewiesen.

Heute sei die wirtschaftliche Situation von über der Hälfte der Hilfesuchenden mehr als trist. Der Monatsverdienst liege definitiv unter der Armutsgrenze von 1090 Euro pro Monat. Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung sowie Krankheit nannte sie als Hauptgründe, weshalb es Menschen finanziell schlecht gehe. Frauen hätten generell ein höheres Armutsrisiko. „Wer lange Zeit nur 40 oder 50 Prozent in Teilzeit gearbeitet hat, dem fehlt das Geld später in der Rente, oder auch bei Scheidungen.“

Zepter sieht eine deutliche Zunahme von Verschuldungsfällen wegen teurer Handy-Verträge. Manche Familien leiden auch unmittelbar an Sparmaßnahmen heimischer Großfirmen. „Als Schaeffler das erste Mal Kurzarbeit hatte, kam zu uns eine Klientel, die nie zuvor da war.“ Manche hatten Einkommenseinbußen von 30 Prozent.

Regelmäßig hilft die Sozialberatung beim Formularkrieg rund um die Sozialleistungen. Viele scheitern beim Ausfüllen des 16-seitigen Antrages auf Arbeitslosengeld, wissen nichts von einer GEZ-Gebührenbefreiung oder haben kein Geld für die Medikamenten-Zuzahlungen.

Permanent hat der Arbeitslosenberater Bernd Schnackig mit der dramatischen Situation im Niedriglohnsektor zu tun. „In der Leiharbeit wird selten ein Stundenlohn von zehn Euro erreicht.“ Oft lag im vergangenen Jahr der Stundenlohn nur knapp über dem Mindestlohn von 8,50 Euro.

Gerade Arbeitnehmer in der Gastronomie und im Handel würden oft in solchen prekären Beschäftigungsverhältnissen landen.

„Tränen in den Augen“

Manchmal werde im Internet ein Stundentarif inseriert, der im konkreten Vorstellungsgespräch nicht eingehalten werde. „Da treibt es einem die Tränen in die Augen“, empört sich Schnackig.

Die Arbeitnehmer müssten körperlich schwere Arbeit leisten und jederzeit flexibel sein — als Dank würden sie von ihren Arbeitgebern mit mickrigen Löhnen abgespeist. Von der guten Wirtschaftskonjunktur profitiere nur die „obere“ Gruppe der Beschäftigten. Also Arbeitnehmer aus Technologie- oder IT-Branche.

Das Nachsehen hätten beispielsweise Zimmermädchen. „Es gibt nur 2,70 Euro pro Hotelzimmer.“ Mehr als zehn Minuten dürfe eine Reinigungskraft nicht für ein Gästezimmer brauchen. Keine großen Sprünge machen können auch die Putzfrauen in Schulhäusern: 9,30 Euro pro Stunde ist das übliche Stundensalär.

Und dennoch sind die Stelleninhaberinnen — meist Frauen — froh über solche schlecht dotierten Jobs. Sonst winkt für viele das ALG II: nur 409 Euro pro Monat.

Die Caritas-Beratung hilft auch bei Problemen mit Formularen: Telefon (0 91 32) 6 39 15.

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