Begegnung mit „unserer Frau in Nahost“

17.11.2014, 09:00 Uhr
Begegnung mit „unserer Frau in Nahost“

© Ralf Rödel

„Haben Sie denn keine Angst?“ wollte ein älterer Herr am Ende wissen, als sie, noch lange umringt von interessierten Diskutanten, auch von ihren Arbeitsbedingungen berichtete. „Doch, immer“, gestand sie ein, unermüdlich noch Fragen beantwortend.

Von dieser Seite ihrer Arbeit indes war während ihres einstündigen Vortrags, dem sich ein lebhafter Fragenteil anschloss, weniger die Rede. „Abenddämmerung im Morgenland?“ lautete das komplexe Thema, schwerlich mit einfachen Antworten zu bedienen und dessen Brisanz sich beim Engagement der Referentin noch gar nicht so abgesehen hatte.

Begegnung mit „unserer Frau in Nahost“

© Ralf Rödel

Doch seither hat sich die Situation in Syrien und im Irak radikal verändert. Die Terrorgruppe „IS“, deren Brutalität und Bestialität keine Grenzen zu kennen scheint, gesponsert von konservativen Kräften reicher Ölstaaten im arabischen Raum, angeführt unter anderem von Ex-Militärs des Saddam-Regimes, durch Legionärssold für junge Männer, sogar für Familien attraktiv, registrieren Europäer zusehends als Bedrohung.

Dass der sogenannte „Islamische Staat“ ein Weltreich errichten könnte, dies hält die promovierte Politologin Antonia Rados, Jahrgang 1953, indes nicht für möglich.

Sie verdeutlichte die Ursprünge der Terrormiliz aus dem Widerstand tief religiöser sunnitischer Moslems mit dem Zentrum in Falludscha gegen die US-Besetzung des Irak seit 2003. In Gefängnissen wie Abu Ghreib formierten sich die Messallianzen zwischen Ex-Militärs des Saddam-Regimes und Selbstmordattentätern.

„Das heilige Buch des Koran und die gemeinsame Sprach Arabisch, Familienclans von bis zu einer Million Mitglieder und massive Korruption, jahrzehntelange Macht alter Männer gegenüber junger Bevölkerung“, machte die Journalistin die Randbedingungen des Gebiets von Marokko bis zum Iran klar. Und vor allem: Die zentralen wirtschaftlichen und sozialen Probleme. In diesen Ländern existiert faktisch keine funktionierende Ökonomie: „Es gibt keine Wirtschaft, also keine Hoffnung.“

Auch der arabische Frühling, auf den der Westen große Erwartungen zur Demokratie setzte, ein „Frühling“, in Gang gesetzt durch Handy, Internet („auch eine große Verwirrungsmaschine“, so Rados) und Satellitenfernsehen, beförderte bekanntermaßen muslimische Kräfte an die Macht. Sie ziehen ihre Kraft aus der jahrhundertelangen Verwurzelung der Bevölkerung in der islamischen Religion, führte die Journalistin aus.

Für Europa und die westliche Welt blieben nur realpolitische Strategien des Raushaltens und der Versuch, Verbündete zu gewinnen, etwa die Türkei oder den Iran als zentrale Zukunfts-Spieler in dieser Region – „auch wenn sie nicht lupenreine Demokratien sind“, wie Rados ausführte: Denn „die alte Stabilität wird nicht mehr zurückkehren. Es wird auch einen Flüchtlingsstrom geben, den wir kaum kontrollieren können.“ Die Vorausschau für das Morgenland fasste die politische Journalistin in ein im Orient geläufiges Zitat: „Erfahrene Propheten warten die Ereignisse einfach ab.“

Eine Vielzahl von Fragen und Meinungsäußerungen war anschließend aus dem ausverkauften Auditorium mit 440 geladenen Zuhörern zu hören. Sei es zu den Wirkungen westlicher Waffenlieferungen, zu Propagandamethoden via sozialer Netzwerke, den Widersprüchen westlicher Politik, der im Nahen Osten offenbar untergeordneten Rolle des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Ausführungen von Karl-Dieter Reinartz, Vorsitzender des Spix-Vereins, beantwortete die Wahl-Pariserin charmant: „Das nächste Mal halten wir den Vortrag gemeinsam.“ Amüsierter Applaus.

Reinhard Lugschi, Vorstandsvorsitzender der öffentlich-rechtlichen Kreissparkasse und mit Thomas Pickel Leiter der Bank, dankte mit Lob und Blumen. Das bisher größte Publikum beim alljährlichen Sparkassen-Forum honorierte die Begegnung mit starkem Beifall. Eine Frau schien im kleinen Kreis um die Referentin für viele zu sprechen: „Also wie Sie das geschafft haben, in dieser Männerwelt...“

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