Brexit-Trip ins Ungewisse: "Enttäuscht und verärgert"

19.1.2019, 07:00 Uhr
Das bereits berühmte Brexit-Wandbild des unbekannten Streetart-Künstlers Banksy in Dover zeigt einen Mann, der die EU-Flagge mit einem Hammer entfernt. Foto: Gareth Fuller/PA Wire/dpa

Das bereits berühmte Brexit-Wandbild des unbekannten Streetart-Künstlers Banksy in Dover zeigt einen Mann, der die EU-Flagge mit einem Hammer entfernt. Foto: Gareth Fuller/PA Wire/dpa

Ich arbeite nun schon seit 25 Jahren hier in Newcastle upon Tyne in England im National Health Service (NHS) als Speech and Language Therapist, also Logopädin. Als Deutsche habe ich eigentlich noch kein einziges Mal irgendwelche Animositäten diesbezüglich erlebt, weder mit Kollegen, noch mit Patienten.

Ich sehe England/Newcastle (etwa 240 000 Einwohner) nun schon seit vielen Jahren als meine neue Heimat mit Mann und Familie, Freunden, Arbeit etc. Meine Kinder (21 und 15 Jahre), die deutsches und britisches Bürgerrecht haben sind ,Geordies’ (so nennt man die Newcastler), aber fühlen sich und haben sich immer als Europäer gefühlt.

Ja, das Land ist gespalten. Dies wird von Tag zu Tag "sichtbarer". Man unterscheidet nun nicht nur zwischen Arbeiter- und Mittelstand, sondern eben zwischen "Remainers" und "Brexiteers".

Frauke Bürk (M.) mit Familie am Strand bei Newcastle/Tyne im Winter. Die junge Generation fühlt sich wegen des Brexits in ihren Möglichkeiten beengt.Foto: Bürk

Frauke Bürk (M.) mit Familie am Strand bei Newcastle/Tyne im Winter. Die junge Generation fühlt sich wegen des Brexits in ihren Möglichkeiten beengt.Foto: Bürk © F.:

Ich hatte Großbritannien (GB) immer als weltoffenes, kulturell vielfältiges und gastfreundschaftliches Land erlebt, aber nun bin ich sehr von dem Land enttäuscht.

Und so geht es sowohl meinem Mann, der Brite ist, wie auch vielen unserer britischen Freunde und so vielen Menschen hier. Ja, natürlich sind dies die ,Remainer’, die plötzlich das Gefühl haben, dass dies nicht das Land ist, auf das sie stolz waren, Teil davon zu sein.

Nun hört man regelmäßig von ausländerfeindlichem Verhalten von Bürgern (u. a. Proteste, Demonstrationen, Beschwerden, "die Ausländer nehmen Arbeitsplätze weg").

Im direkten Umgang mit Freunden und Kollegen habe ich soweit keinen Unterschied für mich persönlich erfahren, aber das Klima im Land hat sich merkbar verändert.

Ich fühle mich seit 25 Jahren das erste Mal als "Fremde", bin eben "Nicht-Britin", was früher nie eine Rolle spielte und ich mir nie Gedanken diesbezüglich gemacht hatte. Ein gewisses Misstrauen liegt nun in der Luft – ja auf beiden Seiten von ,Brexiteers’ und ,Remainers’.

Gefühl von "schutzlos"

Auch unsere Kinder machen sich jetzt Sorgen und können das Resultat des Referendums nicht so ganz nachvollziehen. Sie sehen ihre Möglichkeiten in der Zukunft als eingeschränkter, trotz beider Nationalitäten: reduzierte Weltoffenheit, kulturelle Einschränkungen, Engstirnigkeit.

Auch sie fühlen eine gewisse Enttäuschung. Mal ganz abgesehen von Urlauben auf dem europäischen Kontinent, die sicherlich teurer werden, umständlicher bezüglich Einreise etc. Aber auch das Thema Auslandsstudium beschäftigt die jungen Leute.

Persönlich bin ich sehr enttäuscht, verärgert, verunsichert, leichter verwundbar, wenn es einfacher für meine Familie und mich wäre, würden wir einen Umzug nach Deutschland ernsthafter verfolgen. Es ist die Ungewissheit persönlich für meine Familie und mich, die mich und uns beschäftigt. Ich habe England/Great Britain als bisher offenes Land erlebt und wie gesagt, habe es seit einigen Jahren als meine Heimat angesehen.

Aber jetzt fühle ich mich etwas "schutzlos" als Bürger zweiter Klasse. Viele EU-Bürger finden sich nun in Situationen wieder, von denen die Regierung versprochen hatte, dass es nie dazu kommen würde.

In den Zeitungen liest man Geschichten von EU-Bürgern, die ein "ausländerfeindliches Umfeld" ("hostile environment") erleben. EU-Bürger, die Angst um die Verlängerung von Mietverträgen haben, Leute die befristete Arbeitsverträge haben. Die Regierung hat vieles versprochen, aber nichts ist garantiert und die Menschen sind verunsichert.

Es wird uns EU-Bürgern "versichert", dass wir nach wie vor nach dem Brexit in Großbritannien arbeiten können, aber die genauen rechtlichen Details diesbezüglich sind eben soweit noch nicht genau klar.

Man hört und liest von vielen Unternehmen, die planen, bestimmte Betriebsteile in andere Länder zu verlegen. Hier im Nordosten Englands mit ohnehin schon hoher Arbeitslosigkeit ist Nissan ein großer Arbeitgeber. Aber die Zukunft ist sehr ungewiss und die Menschen hier haben Angst um ihren Arbeitsplatz.

Eines der wichtigsten Bedenken im Bezug auf den Austritt der EU ist für mich vor allem die Sicherheit, die Stabilität und der Frieden, den wir in Europa seit über 50 Jahren haben. Der Austritt aus der EU kann diese Stabilität meines Erachtens nach sehr gefährden. Denn es geht hier nicht nur darum, was Großbritannien verlieren kann durch den Austritt aus der EU, sondern auch darum, was das für den Rest der Europäischen Union bedeuten kann.

Wenn es tatsächlich zu dem Austritt aus der EU kommen wird, werde ich wohl den Einbürgerungstest machen, der hier übrigens um die 2000 britische Pfund kostet, was sich auch nicht jeder leisten kann.

Finanziell wird sich der Austritt aus der EU schon bemerkbar machen und der Wert von Immobilien, zum Beispiel von unserem Haus wird sicherlich fallen.

Ansonsten wird sich für mich persönlich direkt wahrscheinlich nicht sehr viel verändern, abgesehen von den bisher erwähnten Bedenken.

Ob es ein erneutes Referendum geben wird, ist sehr schwer zu sagen. Die Situation ist unglaublich komplex. Jeden Tag verändert sich die Lage auf ein Neues, aber ein zweites Referendum ist möglich.

Alle, inklusive Politiker, wissen was sie nicht wollen, aber keiner kann sagen, was sie wollen. In den nächsten Tagen werden wir sehen, was der nächste Schritt auf der Brexit-Reise sein wird.

Keine Kommentare