Geschichte hautnah

1.12.2007, 00:00 Uhr
Geschichte hautnah

Der alte Hut als Kopfbedeckung ist ein Muss, wenn Sebastian Herderich den ausgetretenen Wiesenweg von seiner Wohnung oberhalb von Reichmannsdorf hinauf geht, um sich nach dem jüdischen Friedhof umzusehen. Dort wird der 82-Jährige auch in Zukunft noch vorbeischauen, auch wenn er dieser Tage von Bürgermeister Georg Zipfel und seinem Stellvertreter Reinhold Hofmann und von der jüdischen Kultusgemeinde in München aus seinem Ehrenamt verabschiedet wurde.

50 Jahre lang bemühte sich der alleine im «Kellerhaus» wohnende Mann mit Hut und Stock um die Pflege des Judenfriedhofes mit seinen rund 30 Grabstätten - und er erinnert sich gerne, wie er zu diesem Ehrenamt gekommen ist. Es war im Herbst 1957, als die Ortspolizei zum wiederholten Male bei Herderich anklopfte und mit einem Schreiben, das vom Bürgermeister abgestempelt war, danach fragte, ob er sich nicht um den seinerzeit in erbärmlichen Zustand befindlichen Friedhof kümmern möchte. Es liege doch nahe, da er nur 200 Meter zu der Ruhestätte habe.

Hederich hat dann nachgegeben und sich an die Arbeit gemacht. Dabei befasste sich der rüstige Rentner natürlich auch mit der Geschichte der Juden in Reichmannsdorf. Nicht nur Herderich tat dies, auch der Heimatforscher Johann Fleischmann aus Mühlhausen. Von Fleischmann besitzt Herderich auch zwei minutiös recherchierte Bücher mit dem Titel «Mesusa», in denen er immer wieder blättert.

Ganz genau weiß Hederich nun nicht mehr, welches das letzte Grab ist. Doch es müsste ein Grabstein sein aus dem Jahre 1920, der auf ein junges Leben hinweist, das schon mit zwölf Jahren ausgelöscht wurde. 1920 wohlgemerkt. «Da hatte der Hitler noch nichts zu sagen». Zu Zeiten der Machtergreifung 1933 lebte in Reichmannsdorf nur noch eine Familie. Siegesmund und Hanna-Shara («die haben wir immer Hannchen genannt») Hirnheimer hießen sie. Auch die letzte jüdische Familie, die in Reichmannsdorf einen Kurzwaren- und Lebensmittelladen hatte, floh 1938 in Richtung Amerika. «Angekommen sind die dort mit ihrem vielen Schmuck und ihrem Geld nie.» Am jüdischen Friedhof erinnert nur noch ein bemooster Grabstein an deren Eltern.

Völlig verwüstet

Herderich richtete den im Zweiten Weltkrieg «völlig verwüsteten» Friedhof wieder her. Schlicht, denn an den vermoosten Grabsteinen darf keine Hand angelegt werden. Man könnte den anfälligen Sandstein beschädigen und die hebräische Schrift völlig vernichten. Sowieso musste der Friedhofpfleger jede Veränderung melden, «auch wenn ein Ast von den Bäumen auf die Steine gefallen war». Die jüdische Kultusgemeinde in München bekam die vierteljährlichen Zustandsberichte. Da stehe dann, sagt Herderich, der in Reichmannsdorf besser bekannt ist als «Der Klaa-Bastel», dass das Gras gemäht wurde, Grabsteine aufgerichtet und befestigt wurden, die Umgebung gerodet wurde. «1957 war der Judenfriedhof eine einzige Wildnis.» Von einer Sandsteinmauer umgeben und einem abgeschlossenen Eisentor geschützt, bleibt der Friedhof ein Mahnmal und weckt Erinnerungen an das Miteinander mit jüdischen Mitbürgern.

«Der Laubhaufen vor dem Eisentor, der muss noch weg», so Herderich bei seiner Verabschiedung zu Bürgermeister Georg Zipfel. Es ist nicht einfach, einen Schlussstrich unter 50 Jahre zu ziehen. Zipfel und Hofmann dankten dem rüstigen Rentner für dessen ehrenamtliches Engagement und drückten ihr Verständnis aus, dass er aus Altersgründen dieser Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Er solle seinen Ruhestand jetzt genießen. Der «Klaa-Bastel» dazu: «Aber bestimmt noch 20 Jahre lang.» Übrigens: Einen Nachfolger hat die Stadt für Herderich noch nicht gefunden, obwohl ein Aufruf bereits zwei Mal im Mitteilungsblatt stand.