„Hausapotheke des Winters“ kommt wieder zu neuen Ehren

14.8.2015, 16:51 Uhr
„Hausapotheke des Winters“ kommt wieder zu neuen Ehren

© Fotos: Silvia Schulte

Es ist kein Zufall, dass sich ausschließlich Frauen eingefunden haben, um unter der Leitung der Steppacher Kräuterpädagogin Karin Seubert „Wurzbüschel“ für Mariä Himmelfahrt zu suchen und zu binden. Denn Kräuter waren von je her Frauensache. Mit ihnen wurde gekocht und gewürzt, vor allem aber geheilt. Sogar Unheil sollten sie vertreiben. In vorchristlicher Zeit brachte man deshalb zum Zeichen der Naturverehrung unter anderem Kräuter als Opfer dar.

So tief verwurzelt waren diese Rituale, dass der christliche Glaube sie nicht vollständig verdrängen konnte. Deshalb wurden sie von der katholischen Kirche übernommen und umgewidmet. Der 15. August wurde der Gottesmutter Maria und ihrer Aufnahme in den Himmel geweiht — und die beste Zeit zum Sammeln von Heilpflanzen damit unter weiblichen Schutz gestellt.

Die starke Verbindung zwischen der Heiligen Jungfrau und heilkräftigen Kräutern wird in Legenden immer wieder deutlich. Karin Seubert kennt viele solcher Geschichten, die zusammen mit dem Brauch des Wurzbüschel-Bindens von Generation zu Generation weitergetragen wurden. Eine davon weiß zu berichten, dass die Apostel, die drei Tage nach dem Tode Mariens deren Grab aufsuchten, es zu ihrer Verwunderung leer vorfanden. Anstelle des Leichnams lagen dort duftende Rosen und Lilien, und rings um das Grab blühten bunte Kräuter.

Letztere sind der Hauptbestandteil eines Wurzbüschels, der in anderen Regionen auch als Kräuterbüschel bezeichnet wird. Doch: „In unserer Familie wurde immer auch eine Wurzel hineingebunden, zum Beispiel eine Karotte", erzählt Karin Seubert. Auch Getreidehalme oder Blaukraut sei dafür verwendet worden. Nur eine Regel ist überall gültig: In die Mitte des Wurzbüschels kommt die Blüte der Königskerze, das „Zepter der Maria.“

Ansonsten hat jeder Wurzbüschel von Region zu Region, sogar von Familie zu Familie einen etwas anderen Charakter, denn gesammelt wird, was vor der heimischen Haustür oder im Garten wächst. Ebenso wichtig wie das „was" bei der Zusammenstellung des Kräuterstraußes ist das „wieviel." In einem echten Wurzbüschel spiegelt sich Zahlensymbolik wider. Sieben, die Zahl der Schöpfungstage, neun oder zwölf Kräuter dürfen es sein, aber auch ein Vielfaches davon, etwa 72 oder 99.

Vielfalt am Wegesrand

Dass die Natur eine solche Vielfalt selbst bei Trockenheit bereithält, verblüfft die Schar der Sammlerinnen, die unter Karin Seuberts Leitung kurz vor Mariä Himmelfahrt im Pommersfeldener Ortsteil Weiher auf Pflanzensuche gehen. Doch in kürzester Zeit haben sie am Wegesrand einen reichen Kräuterschatz gefunden: Wilde Möhre, Schafgarbe, Dost, Beifuß, Rainfarn, Odermennig, Pastinake, Ackerschachtelhalm, Fünffingerkraut, Baldrian, Mädesüß und vieles mehr. Die Kräuterpädagogin, die sich intensiv mit der Medizin der Hildegard von Bingen befasst hat, erklärt die wohltuenden Eigenschaften der Funde. „Das gelbe Labkraut fördert die Gerinnung, man nutzt es beispielsweise bei der Herstellung von Cheddarkäse, der dadurch seine Farbe erhält“, erklärt sie. Die auch als „Maria Bettstroh“ bekannte Pflanze habe in früheren Zeiten aber noch eine andere Verwendung gehabt: Sie sollte Frauen vor der Niederkunft zu einer leichten Geburt verhelfen.

Seubert bricht auch eine Lanze für die vermeintlichen „Un“-Kräuter: Der verhasste Giersch etwa wirke hervorragend gegen Gicht, und mit Spitzwegerich könne man Husten ebenso wie Insektenstichen den Schrecken nehmen.

Während des Winters lassen sich aus den getrockneten Wurzeln, Blüten oder Blättern des Wurzbüschels wohltuende Tees oder Umschläge zubereiten. Früher mischte man sie auch dem Vieh ins Futter oder verbrannte etwas von dem duftenden Kraut im Herdfeuer, um das Haus bei Gewittern vor Blitzen zu schützen. Mancherorts wurden Teile des Wurzbüschels als Räucherwerk verwendet — vor allem in den dunklen Raunächten.

Nicht die Kräuter allein sollten dabei Schutz bieten, sondern vor allem der kirchliche Segen, den die Wurzbüschel an Mariä Himmelfahrt in vielen katholischen Kirchen erhalten. Karin Seubert sieht die aromatischen Sträuße deshalb als Zeichen des Dankes für die Gaben der Schöpfung, als kleines Erntedankfest sozusagen.

Doch den praktischen Nutzen verliert sie nicht aus dem Blick: „Wurzbüschel waren früher die Hausapotheke des Winters", sagt die Kräuterpädagogin. Man sammelte die Pflanzen von Mariä Himmelfahrt an bis Mitte September - ein Zeitraum, der auch als „Frauendreißiger" bekannt ist. Gerade dann hätten die meisten Heilkräuter nämlich besonders viele Wirkstoffe. Fachfrau Karin Seubert freut sich, dass immer mehr Menschen diese kennen- und schätzen lernen. Sie ist überzeugt: „Heilkräuter wachsen umsonst, aber nicht vergebens.“

Infos zu Kräuterkursen und -wanderungen: www.er-na.de

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