Fünf Jahre nach Eröffnung

Höchstadt: Zu Besuch in Demenz-WG

18.4.2015, 06:00 Uhr
Höchstadt: Zu Besuch in Demenz-WG

Emma lebt schon eine ganze Weile im „Haus Schlossberg“. Und sie fühlt sich sichtlich wohl. Oft sitzt sie nur im Sessel und schaut sich um, beobachtet ihre Umgebung. Wie sie diese wahrnimmt, weiß niemand genau. Sicher ist: Sie registriert sehr sensibel die Stimmung und die Atmosphäre um sich herum.

Emma ist die Hauskatze in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft. Sie ist der Liebling der dementen oder pflegebedürftigen Menschen, die dort mit ihr zusammenleben. Auch für die von Demenz Betroffenen sind Gefühle und Sinneseindrücke die wichtigste Brücke zu einer Alltagswelt, die ihnen zunehmend fremd wird.

Kräuter aus dem Garten

Deshalb ist im „Haus Schlossberg“ nichts zu spüren von Pflegeheimatmosphäre. Es duftet nach Kaffee und selbst gebackenem Kuchen, die Hauswirtschafterin erntet draußen frische Kräuter fürs Abendessen. „Im Garten können die Bewohner auch selber etwas pflanzen“, sagt Rosi Schmitt, Vorsitzende des Vereins „Lebensfreude ERHalten“, der die ambulant betreute Wohngemeinschaft ins Leben gerufen hat.

Geborgenheit zu vermitteln und Lebensqualität zu erhalten, erklärt sie, sei den Initiatoren besonders wichtig gewesen. Bis zum Lebensende, so das erklärte Ziel, sollen die Mieter in der Gemeinschaft bleiben können. „Das Zusammensein mit anderen gibt Sicherheit“, sagt Pflegedienstleiterin Daniela David.

Höchstadt: Zu Besuch in Demenz-WG

Viele Erinnerungen

Jedes Mitglied der Wohngemeinschaft hat sein eigenes Zimmer, das mit persönlichen Möbeln und Gegenständen eingerichtet werden kann. Dennoch zieht es die meisten der elf Bewohner tagsüber in die Wohnküche mit dem großen Esstisch, an dem alle Platz haben. Viele wohldurchdachte Details schaffen in den Gemeinschaftsräumen eine Atmosphäre, in der sich die betagten Bewohner zuhause fühlen. Der Nähkorb zum Beispiel, oder die Pendeluhr an der Wand, aber auch die Anrichte aus der Wirtschaftswunderzeit, die so gar nicht mehr in die heutige Zeit zu passen scheint.

Man spürt: Das Vergangene liegt Menschen, die an Demenz erkrankt sind, ungleich näher als die Gegenwart. Deshalb sind Erinnerungen daran so wichtig, deshalb werden sie systematisch geweckt. „Kennen Sie das hier?“, fragt die Pflegehelferin Beata Wrobel und schwenkt eine emaillierte Milchkanne. „Was haben Sie früher damit gemacht? Erzählen Sie mal.“ Auf diese Weise kommen erstaunliche Geschichten zum Vorschein.

Je tiefer ein Ereignis mit einem Gefühl verbunden ist, desto besser wird es erinnert, bestätigt Rosi Schmitt. Beim gemeinsamen Singen, so berichtet die Gerontotherapeutin, braucht niemand ein Liederbuch. Die Strophen von alten Volks- und Kinderliedern kennen alle auswendig. Auch den Namen der Hauskatze Emma kann sich jeder merken. Den Weg zur Toilette im Erdgeschoss dagegen nicht.

Solche Defizite sollen den Betroffenen aber nicht zur Last werden. „Wir möchten den Bewohnern einen normalen, selbstbestimmten Alltag ermöglichen“, sagt Schmitt. Um Einschränkungen auszugleichen, sind in mehreren Schichten stets eine Pflegefachkraft, eine Pflegehelferin und eine Hauswirtschafterin für die Bewohner da. Sie kümmern sich um das, was die elf WG-Mitglieder nicht mehr selbstständig können. Kochen zum Beispiel.

Als die ambulant betreute Wohngemeinschaft vor fünf Jahren an den Start ging, war das noch anders. Gemeinsam wurden die Zutaten fürs Mittagessen geschnippelt und an den angebotenen Aktivitäten konnten die meisten teilnehmen. Inzwischen haben die Fähigkeiten nachgelassen. „Wir müssen dann andere Formen der Beschäftigung suchen“, sagt Daniela David. Sie sieht großen Bedarf dafür, das Konzept des ambulant betreuten Wohnens auch auf schwerst Pflegebedürftige auszuweiten — erste Beispiele für solche Pflegeoasen gibt es bereits.

Friseur kommt ins Haus

Die Angebote im „Haus Schlossberg“ haben sich den veränderten Bedürfnissen seiner Bewohner angepasst. Statt aktivierender Beschäftigung gibt es dann auch einmal eine Hand- oder Fußmassage. Ohnehin gehört Fußpflege zum festen Programm, auch der Friseur kommt ins Haus. „Wir wollen stets die Würde unserer Mitbewohner bewahren“, sagt Rosi Schmitt. „Das hat viel mit Wertschätzung zu tun.“

Die spüren auch die Angestellten. „Ich mache meine Arbeit hier mit Herzblut“, erzählt Krankenschwester Christine Eibert. „Das ist nicht nur ein Job.“ Man habe seit zwei bis drei Jahren ein stabiles, tolles Team, bestätigt Pflegedienstleiterin David.

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit bei Pflege und Betreuung lässt fast vergessen, dass jeder Mieter der selbst verwalteten Wohngemeinschaft für diese Dienstleistung einen individuellen Vertrag mit dem Pflegedienst abschließen muss. Stellvertretend machen das die Angehörigen oder gesetzlichen Vertreter. In der WG tragen sie als Mitglieder im „Gremium der Selbstbestimmung“ automatisch die Verantwortung.

Gemeinsame Entscheidungen

„Wir kümmern uns um alle Entscheidungen, die das Zusammenleben in der komplett selbst verwalteten Wohngemeinschaft betreffen“, sagt Beate Marr, deren Vater im „Haus Schlossberg“ lebt. Das kann die Anschaffung einer Waschmaschine sein, aber auch die Diskussion über die Aufnahme neuer Mitbewohner.

Die Wohnform in „Haus Schlossberg“ könnte bald Bestätigung von oberster Stelle erfahren. „Wir streben das Qualitätssiegel Demenz an“, sagt Daniela David.

Die Deutsche Alzheimergesellschaft, so berichtet sie, nehme erstmals ambulant betreute Einrichtungen in den Kreis der Bewerber auf. Ausgezeichnet wird vor allem, wer sich in vorbildlicher Weise um das Wohl seiner Schützlinge bemüht. Die Bewohner brauchen dafür allerdings kein Zertifikat. Sie spüren: im „Haus Schlossberg“ sind sie geborgen.

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