Notkirche versteckt sich hinter Werkstattmauern

25.4.2017, 13:00 Uhr
Notkirche versteckt sich hinter Werkstattmauern

In der einen Hand hält er die Säge, in der anderen den Zimmermannswinkel: der Heilige Josef der Arbeiter war ein Mann der Tat. So wie die rund 500 Flüchtlinge, die es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Mühlhausen verschlug. Die überwiegend katholischen Heimatvertriebenen suchten im evangelischen Mühlhausen nach einer Möglichkeit, ihre sonntäglichen Gottesdienste zu feiern. Ein ehemaliges Schwesternheim bot sich zunächst an. Doch kurz bevor man dort zum ersten Mal zusammenkommen konnte, schlug der Blitz in das Gebäude ein – "das Dach wurde massiv beschädigt", erzählt Otto Pröls.

Seine Eltern Karl und Margareta Pröls, die bis Kriegsende zu den wenigen katholischen Einwohnern Mühlhausens zählten, stellten daraufhin den fast fertigen Werkstattbau ihrer Spenglerei zur Verfügung. Heute tut dies als Eigentümer des Gebäudes Otto Pröls’ Neffe Thomas Pröls. Bevor dort 1947 der erste Gottesdienst gefeiert werden konnte, kamen zunächst Säge und Winkel zum Einsatz. Die ganze katholische Gemeinde packte mit an. Bänke und Beichtstuhl wurden gezimmert, zum Teil mit Holz aus dem nahen Wald, zum Teil aus gebrauchtem Material.

Ein Boden aus Kantholzstücken wurde gelegt — ein einfaches Parkett, wäre er jemals geschliffen worden. Aus Etzelskirchen kam ein Altar, Bilder und Statuen wurden von Privatleuten gestiftet. Eine ganz besondere Spende steuerte das Kloster Schwarzenberg bei Scheinfeld bei: Es überließ der Notkirche 14 Kreuzwegbilder, die nun zwischen den einfach verglasten Werkstattfenstern hängen.

Diesen Kunstwerken ist es auch zu verdanken, dass die kleine Kirche in dem schlichten Werkstattgebäude am Schulweg seit vergangenem Jahr zum Denkmal wurde. Otto Pröls hatte festgestellt, dass die Bilder dunkel und porös geworden waren, die fachmännische Hand eines Restaurators war gefragt. Um dafür Finanzmittel aufzutreiben, fragte das Pfarramt Wachenroth, zu dem die Mühlhausener Notkirche gehört, bei der Denkmalschutzbehörde an. Diese kam, sah — und stellte den ungewöhnlichen Kirchenbau prompt unter Denkmalschutz. Das Unikat soll in seiner jetzigen Form erhalten bleiben.

Viele persönliche Erinnerungen

In den Anfangsjahren wurde die Notkirche intensiv genutzt. Sonntagsgottesdienste, Taufen, Hochzeiten, Erstkommunionsfeiern — alles wurde dort gefeiert. "Es gab auch einen tollen Kirchenchor", erinnert sich der heute 73-jährige Otto Pröls an die Gottesdienste seine Kinderzeit, die von den musikalischen Heimatvertriebenen unvergesslich gestaltet wurden.

Pröls hat die ehemaligen Gemeindemitglieder — viele zogen aus beruflichen Gründen im Laufe der Jahre aus Mühlhausen weg — zum Kirchenjubiläum eingeladen und um Fotos und persönliche Erinnerungen gebeten. Die Resonanz war groß. Eine ganze Ausstellung ist dabei zusammengekommen. Sie wird am 1. Mai vor der Kirche zu sehen sein.

Ihren Betrieb eingestellt hat die Notkirche nie, erzählt Otto Pröls, der mit dem Gotteshaus auch in seiner Eigenschaft als Organist eng verbunden ist. Eine Zeitlang fand dort zwar nur noch das Rosenkranzbeten statt, doch seit Mitte der 1980er Jahre werden wieder Gottesdienste abgehalten — auch weil die katholische Gemeinde durch Zuzüge wieder deutlich gewachsen ist.

Padre Gabriel Ramos Valiente, seit September 2014 Pfarradministrator von Wachenroth, hält in Mühlhausen regelmäßige Vorabendmessen und feiert dort die Hochfeste wie den ersten Weihnachtsfeiertag oder Ostersonntag. Dem Geistlichen fiel auch auf, dass der Notkirche etwas Entscheidendes fehlte: ein Schutzpatron.

Heiligen im Internet ersteigert

Eine Kirche in einer Werkstatt — welcher Heilige wäre da passender als der Heilige Josef der Arbeiter? Eine Heiligenfigur sollte ihn repräsentieren. "Mein Vorschlag war, einen Holzschnitzer aus Oberammergau mit der Ausführung zu beauftragen", berichtet Otto Pröls. "Doch ein paar Tage später stand Padre Gabriel schon mit einer Kiste in der Hand vor der Tür", erinnert er sich. Der Geistliche hatte nicht lange gezögert und den Heiligen Josef im Internet ersteigert. Seitdem hat die Figur ihren Platz auf der linken Seite des Altars inne, mit der Muttergottes auf der anderen Seite ist das Heilige Paar komplett.

Ein weiteres Bildnis des Heiligen Josef wird am 1. Mai noch hinzukommen. Die Künstlerin Maria Groh, selbst eine Heimatvertriebene, hat es geschaffen. Darauf freut sich Otto Pröls schon, ebenso wie auf den großen Festgottesdienst um 10 Uhr, den Erzbischof Ludwig Schick halten wird. "Viele der damals hier ansässigen Heimatvertriebenen wollen kommen", weiß Pröls. Der Kirchenraum wird für die vielen Besucher kaum reichen. Deshalb wird der Gottesdienst per Lautsprecher auch nach draußen übertragen.

Für die Notkirche wird das 70-jährige Jubiläum damit zum vorläufigen Höhepunkt ihrer Geschichte. Otto Pröls dagegen blickt schon voraus auf ein weiteres Ereignis: Bald werden in der Kirche des Heiligen Josef des Arbeiters seine Enkelkinder getauft.

 

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