Und dann versprachen ihr die Kinder, dass sie nicht sterben

12.10.2018, 11:00 Uhr
Und dann versprachen ihr die Kinder, dass sie nicht sterben

© Foto: Philipp Hedemann

Philipp Hedemann war an Orten, die die meisten nur aus Fernsehberichten "kennen". Er war im Herbst 2015, in dem die Flüchtlingsbewegung das beherrschende Thema war, auf der Balkanroute unterwegs. Flog auf die Insel Kos, um mit Menschen zu sprechen, die sich mittels wackliger Schleuserboote über eine 14 Kilometer lange Meerespassage von der Türkei ins sichere EU-Land Griechenland gerettet haben. Philipp Hedemann ist Journalist, war dreieinhalb Jahre Korrespondent in Äthiopien und berichtet auch heute noch – obwohl sein Wohnsitz derzeit Berlin ist – vor allem aus Krisen- und Kriegsregionen.

Er ist aber auch Teil des Netzwerks "Weltreporter", in dem sich freie Journalisten zusammengefunden haben, die sich mit Auslandsthemen beschäftigen und sich in diesem Herbst 2015 vornahmen, die Menschen hinter der "Flüchtlingskrise" vorzustellen. Herausgekommen ist das Reportagebuch "Flüchtlingsrevolution. Wie die neue Völkerwanderung die ganze Welt verändert."

Was ist eine "Flüchtlingskrise"?

Also: Wie ist das nun mit dem Wort "Flüchtlingskrise"? "Wenn jemand seine Heimat verlässt, dann steckt da eine Krise dahinter", erklärte Hedemann den Realschülern. Hungersnöte, Krieg, Vertreibung. Wobei er auch klarmachte: Die meisten Menschen fliehen gar nicht so weit wie diejenigen, die ab 2015 nach Deutschland kommen, sondern "nur" ins Nachbarland.

Und dann versprachen ihr die Kinder, dass sie nicht sterben

© Foto: Edgar Pfrogner

Und doch waren es viele, die vor rund drei Jahren beispielsweise in Passau ankamen. Auf den Weg gemacht hat sich damals auch die vierfache Mutter Ameena, die Journalist Hedemann im Flüchtlingslager auf der Insel Kos kennenlernte und zu der der Kontakt bis heute nicht abgerissen ist. Eine Syrerin, die in ihrer Heimat als Gymnasiallehrerin für Englisch und Französisch gearbeitet hatte und sich als "einst glücklichsten Menschen der Welt" bezeichnet. So stolz sei sie damals gewesen, als sie ihr Abschlussdiplom der Universität von Aleppo in Händen hielt.

Wie der Krieg in Ameenas Leben kam

Doch einige Jahre später kam der Krieg. Und Ameena und ihr Mann Abdulrahman standen vor der Wahl: "Hierbleiben und vielleicht von Bomben getötet werden oder fliehen und dabei möglicherweise ertrinken", wie Hedemann es den Höchstadter Neuntklässlern drastisch vor Augen hielt. In der Nähe der Schule und des Kindergartens, die Ameenas Kinder besuchten, hatten Assads Truppen Stellung bezogen. In der Schule schlugen immer wieder Geschosse ein, was die Syrerin dazu brachte, ihre Stelle als Gymnasiallehrerin aufzugeben und fortan in der Grundschule ihrer Kinder zu arbeiten: "Wenn, dann wollte ich mit meinen Kindern sterben", zitierte Hedemann die Mutter.

Doch irgendwann ging es nicht mehr. Erst machte sich Ameenas Mann mit den beiden älteren Kindern auf den Weg, dann folgte auch Ameena mit den beiden jüngeren. Durch ein Loch im Grenzzaun ging es in die Türkei, wo sie teure Tickets für die Schleuser-Überfahrt kaufte. Als sie jedoch das winzige überladene Boot sah, mit dem es nach Griechenland gehen sollte, wollte sie einen Rückzieher machen. "Ihre Kinder sagten dann, dass sie zu Papa und ihren Geschwistern wollten. Und sie versprachen ihr, dass sie nicht sterben." Kaum unterwegs, streikte jedoch der Außenbordmotor des Bootes. Es ging zurück an Land, Ameena sah dies als Wink des Schicksals und wollte mit den Kindern zurück nach Syrien. Darauf ließen sich die Schleuser jedoch nicht ein, schnell ging es mit dem Bus zum nächsten Boot.

Über die Balkan-Route nach Meckelnburg-Vorpommern

Und diesmal klappte es. Ameena und ihre beiden Kinder erreichten Kos, warfen dort am Strand glückstrahlend ihre Schwimmwesten in die Luft. Schwimmwesten, die in vielen Fällen übrigens nicht die Sicherheit boten, die man von ihnen erwartete. "Viele der Westen, mit denen die Flüchtlinge nach Griechenland übersetzten, waren nicht wie es eigentlich gehört mit Schaumstoff gefüllt, sondern mit Zeitungspapier", so Hedemann.

Doch Ameena und ihre beiden Kinder hatten Glück. Nachdem sie Griechenland verlassen hatten, ging es mit Bus und Bahn über die Balkanroute nach Deutschland. Mecklenburg-Vorpommern, dort wo der Rest ihrer Familie schon länger war, sollte das Ziel sein. "Die Kinder haben das alles gar nicht so richtig kapiert und das war auch gut so", meinte Hedemann. Für die beiden Kleinen ist die Reise quer durch Europa mehr ein Abenteuertrip gewesen.

Angekommen sind sie "an einem guten Ort", wie Ammena sagte. In einem überalterten Dorf, wo sich die älteren Menschen über das neue Leben im Dorf freuten.

Mittlerweile lebt die Familie in Duisburg, die Kinder gehen zur Schule. "Die waren heilfroh, als sie endlich in den Unterricht durften und nicht mehr zuhause mit ihrer Mutter lernen mussten", so Hedemann augenzwinkernd. Denn diese hätte extrem viel Wert darauf gelegt, dass ihre Kinder schnell und vor allem gut Deutsch lernen, und jeden Tag mit ihnen die lateinische Schrift und deutsche Vokabeln gepaukt.

Das können Deutsche von Geflüchteten lernen

Ameena selbst möchte wieder als Lehrerin arbeiten. Möglich ist dies, wenn sie einen speziellen Aufbaustudiengang absolviert, der sich an Akademiker richtet, die in ihrem Heimatland bereits Lehrer waren und schon gut deutsch sprechen.

Eine Tatsache hat Hedemann von Ameena gelernt: "Sie sagt immer, dass das Ganze hier keine Einbahnstraße ist." Denn die Deutschen könnten auch viel von den Flüchtlingen lernen — etwa bei der Art, wie hierzulande mit älteren Menschen umgegangen werde.

Dieses Voneinanderlernen legte der Journalist auch den Höchstadter Schülern ans Herz. Er wolle nichts beschönigen — die Integration der Geflüchteten sei eine Herausforderung. Und doch lohne es sich, mit diesen Menschen in Kontakt zu treten und zu hören, was diese erlebt haben. "Ihr könnt dazu beitragen, dass diese Revolution gut geht", so Hedemann.

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