"Wir müssen den großen Elefanten bezwingen"

12.12.2017, 07:57 Uhr

© Foto: Edith Kern-Miereisz

Menschen aus Äthiopien kommen hier zusammen. Sie halten sich aufrecht. Nach ihrer manchmal jahrelangen Flucht über Libyen, das Mittelmeer "mit dem Plastikboot", wie sie sagen, nach Italien und schließlich Deutschland, leben sie nun in Herzogenaurach: in der Goethestraße, im Burgstaller Weg, im Container in der Eichelmühlgasse.

Erst auf den zweiten Blick und nach längerem Gespräch deutet sich ihr schweres Schicksal an. Ausführlich darüber zu sprechen wäre ihnen zu schmerzlich.

Christine Wollny, sie ist als Ehrenamtliche seit über zwei Jahren in Herzogenaurach und Münchaurach in der Flüchtlingsarbeit tätig, hat die Nordbayerischen Nachrichten eingeladen, über die Situation der Flüchtlinge aus Äthiopien zu berichten.

Äthiopien gilt als eines der Länder, das sich oftmals weigert, die eigenen Bürger zurückzunehmen, wenn sie als Asylbewerber abgelehnt wurden.

Dieser Status der Ablehnung wurde den meisten im Raum attestiert. Gegen den Bescheid reichten sie Klage ein. Wortführer im Gespräch ist ein evangelischer Pastor, der aus Addis Abeba stammt, sein Name ist Buli Beyene Gossa. Er ist der Mann mit dem T-Shirt-Aufdruck "I have a dream". Auch der Familienvater Habtamu Tades, der Dolmetscher Filmon Debela Urge, Ahmed, der mit Frau und kleinen Kindern auf engstem Raum lebt, sich Dusche und Bad mit einer arabischen Familie teilt, mit der man sich sprachlich nicht verständigen kann oder die junge Meseret Beruye – sie alle berichten aus ihrem Leben. Nicht anklagend, eher bescheiden, auch dankbar gegenüber der neuen Heimat – vielleicht auf Abruf.

Doch gerade darin teilt sich auch das tragische Moment mit. Üblicherweise kommen die Flüchtlinge hier zusammen, um sich durch Gebete innerlich Kraft zu geben. Manche sind Christen, manche Muslime.

Als Sklaven verkauft

Stammeskonflikte in ihrer Heimat Äthiopien, Verfolgung und Gefängnis, Vertreibung vom eigenen Grund und Boden für Blumenfarmen, Flucht in die Nachbarländer Sudan oder Kenia, die Durchquerung
der Sahara unter Todesgefahr: Dies sind ihre Erfahrungen. Gefährten, die in Libyen als Sklaven verkauft wurden, andere, die auf der Überfahrt übers Mittelmeer ertranken – diese Menschen haben Todesgefahren überlebt.

Nun sind sie in Deutschland und wollen eigentlich "für dieses Land ein Segen sein", wie es Pastor Buli Beyene Gossa formuliert. Doch nach den Interviews beim Bundesamt für Migration, in denen sich die meisten noch nicht einmal sprachlich richtig verstanden fühlten, blieb kaum Hoffnung. Von 5000 Flüchtlingen aus Äthiopien, nennt der Pastor ein Beispiel, würden vielleicht 100 akzeptiert. Äthiopien sei ein demokratisches Land, sei die Begründung. Wirtschaftsflüchtlinge könne man nicht aufnehmen. "Trotzdem sterben Menschen", stellt der Pastor daraufhin fest und seine Stimme hebt sich. Kehre man zurück, so sei man "mit dem Tod bedroht. Wir brauchen Hilfe".

Viele nehmen an Integrationskursen teil, lernen Deutsch in der Berufsschule. Gerne würden sie nach Praktika und befristeten Jobs einer dauerhaften Arbeit nachgehen, einer Ausbildung, sich eine Zukunft aufbauen: "Unser Ziel ist es, produktiv zu sein."

Doch ihr Status verbiete das: "Jeder von uns ist hoffnungslos", sagt der Dolmetscher Filmon Debela Urge.

Die Frauen, die zum Teil seit zwei Jahren im Container an der Eichelmühlgasse wohnen, berichten von der Enge dort, von Tagen, die sich hinziehen, von fehlenden Spielmöglichkeiten für die Kinder. Von Behördengängen, teils undurchschaubar.

Im gleichen Atemzug jedoch erklären sie, man wolle sich nicht beklagen. Der Pastor sagt: "Die Herzogenauracher sind unsere Nachbarn, unsere Brüder und Schwestern." Sie, die Äthiopier, seien dankbar, nach der Flucht Aufnahme gefunden zu haben und hofften auf eine Einstufung als politische Flüchtlinge. Mit einem Bild aus Afrika fasst der Pastor zusammen, vor welch riesiger Problematik sie sich sehen: "Wir müssen den großen Elefanten bezwingen."

Wer sich für die Flüchtlinge aus Äthiopien engagieren möchte, kann sich bei Christine Wollny unter der Mobilnummer 0 16 03 49 02 46 melden.

Fakten zu Äthiopien:

Der Vielvölkerstaat Äthiopien mit 120 ethnischen Gruppen liegt am Horn von Afrika in der Sahel-Zone und grenzt im Osten und Südosten an Somalia, im Süden an Kenia, im Westen an den Sudan und im Norden an Eritrea und Djibouti.

1993 spaltete sich der ehemalige Landesteil Eritrea ab, mit dem noch immer Grenzkonflikte herrschen, ebenso wie mit Somalia.

Hochgebirge, Savannen, Canyons, durch Flüsse wie Omo, Blauer und Weißer Nil in die Landschaft geschnitten, kennzeichnen die vielfältige Landschaft des "Dachs von Afrika" mit der Hauptstadt Addis Abeba. Amharisch und einheimische Sprachen dominieren. Äthiopien gilt als eine Wiege der Menschheit.

Es weist die höchste Dichte an UNESCO-Welterbestätten in Afrika auf. 2016 wurde die Bevölkerung auf 100 Millionen Menschen geschätzt. 2050 wird das Land voraussichtlich zu den zehn bevölkerungsreichsten Ländern der Welt zählen.

1991 kam die Rebellenallianz EPRDF, inzwischen Regierungspartei, nach einem Bürgerkrieg an die Macht und regiert unter einem föderalen System autoritär. Beim Demokratieindex von 2014 befindet sich das Land auf Platz 124 von 167.

Klimatische Extremsituationen mit der Folge von Hungersnöten, verschärft durch den Klimawandel, sowie politische Kämpfe veranlassen Menschen, das lebensgefährliche Risiko einer Flucht nach Europa auf sich zu nehmen.

Mit Einschränkungen der Grundrechte sowie landesweit mit verstärkten Polizeikontrollen müssten auch Besucher rechnen, warnen Diplomaten.

In der Oromia Provinz – vor allem rund um Addis Abeba – kommt es zu Unruhen. Damit verbunden sind vor allem Straßensperren einzelner Gruppierungen in Form von Blockaden mit Steinen und brennenden Autoreifen. Regierungsfahrzeuge werden oftmals direkt angegriffen, Tankwagen und Lkw wurden in Brand gesetzt.

2014 berichtete Amnesty International über die Verhaftung und Folter von Oromo. Zwischen 2011 und 2014 wurden demnach über 5000 demonstrierende Studenten oder Oppositionelle inhaftiert

 

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