"Wir müssen eine humanere Arbeitswelt schaffen"

3.8.2017, 16:59 Uhr

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Bernd Schnackig von der Arbeitslosenberatung in Herzogenaurach weiß, dass hinter jeder Zahl aus der Arbeitslosenstatistik ebensoviele Einzelschicksale stehen. "Der Verlust des Arbeitsplatzes ist für die meisten Menschen traumatisch", sagt er, "viele zerbrechen daran." Vor allem, wenn sich die Erwerbslosigkeit über mehr als ein Jahr hinzieht und somit von Langzeitarbeitslosigkeit gesprochen wird.

Individuelle Beratung

Die Grundhaltung "wer arbeiten will, der findet auch etwas" führe bei den von Arbeitslosigkeit betroffenen im Umkehrschluss zu der unterschwelligen Überzeugung "ich mache was falsch" – gerade in einer wirtschaftlich erfolgreichen Region wie dem hiesigen Landkreis, weiß Schnackig, der seit fast 40 Jahren als Berater tätig ist. Die individuelle Hilfestellung in der Beratungsstelle kann da viel bewirken. "Manche Ratsuchenden kommen, um sich bei der Überprüfung ihrer Bescheide helfen zu lassen, andere benötigen Unterstützung beim Schreiben der Bewerbung", sagt Schnackig. Dafür stehen in der Beratungsstelle Computer und Drucker bereit.

Auch das richtige Einschätzen der eigenen Fähigkeiten kann bei der Auswahl der in Frage kommenden Stellen Gold wert sein und das Selbstwertgefühl stärken. "Wir gehen auch gemeinsam Stellenportale durch und suchen nach einer passenden Ausschreibung, so Schnackig. "Nützlich sind auch allgemeine Tipps zur Formulierung, zum Beispiel wenn es darum geht, Brüche im Lebenslauf positiv darzustellen.

"Wir wollen mit einem ganzheitlichen Blick auf den Menschen Hilfestellung geben, und nicht nur die materielle Existenz sichern", beschreibt Bernd Schnackig die Grundprinzipien der Herzogenauracher Arbeitslosenberatung, die 1984 in der Trägerschaft der Erzdiözese Bamberg ins Leben gerufen wurde – auf dem Höhepunkt einer Entlassungswelle in der Schuhindustrie der Aurachstadt. Die Hilfeleistungen, die jedermann offen stehen, umfassen auch Gespräche und Freizeitangebote.

Die Nachfrage ist ungebrochen: Die Beratungstermine im Büro am Marktplatz 7a in Herzogenaurach und die Sprechstunden in Höchstadt werden stets gut nachgefragt – daran ändert auch die historisch niedrige Arbeitslosenquote nichts. Ab Oktober, so Schnackig, werde die Betreuung des Landkreises allerdings von Erlangen aus erfolgen. "Es gibt dann einen festen Beratungstag in Herzogenaurach und einen in Höchstadt".

"Der Arbeitslosenberatung droht nicht die Gefahr der Unterbeschäftigung", bilanzierte die Einrichtung schon anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens – damals war die jüngste Wirtschaftskrise gerade auf dem Höhepunkt. Auch in der heutigen Zeit sieht Bernd Schnackig Herausforderungen. Damit meint er nicht einmal die Vision der sogenannten Industrie 4.0, in der Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte direkt miteinander kommunizieren und in der eine Wertschöpfungskette fast ohne menschliches Zutun ablaufen könnte.

Realitätsfern

Schon allein in punkto Weiterbildung ließe sich seiner Ansicht nach vieles verbessern. Lebenslanges Lernen während der Erwerbstätigkeit sei zwar wünschenswert, aber realitätsfern, findet Schnackig – man denke nur an die stetig zunehmende Schichtarbeit. Außerdem würden die meisten Fortbildungen nur in größeren Städten angeboten.

"Es muss eine humanere Arbeitswelt geschaffen werden", sagt der Fachmann. Vor allem im Hinblick auf den demographischen Wandel seien viele Arbeitsplätze falsch gestaltet und trügen dem steigenden Alter der Arbeitnehmer keine Rechnung.

Weniger als zehn Jahre

Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sind schlechte Arbeitsbedingungen eine Katastrophe. So arbeiteten Krankenschwestern und -pfleger, die eine jahrelange Ausbildung hinter sich gebracht hätten, am Ende wegen der hohen körperlichen und psychischen Belastungen durchschnittlich weniger als zehn Jahre in ihrem Beruf, nennt Schnackig ein Beispiel.

Dabei käme die Schaffung eines positiven Arbeitsumfeldes, um Mitarbeiter mit Berufserfahrung im Unternehmen zu halten, die Betriebe weitaus günstiger als eine Neueinstellung. "Die kostet im Schnitt ein Jahresgehalt", so Schnackig.

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