Jagd auf Schleuser: Unterwegs mit der Bundespolizei

12.9.2014, 16:57 Uhr
Immer wieder bereichern sich Schleuser, indem sie Flüchtlinge für horrende Summen nach Deutschland schmuggeln. (Archivfoto)

© Bundespolizei Immer wieder bereichern sich Schleuser, indem sie Flüchtlinge für horrende Summen nach Deutschland schmuggeln. (Archivfoto)

Mit fünf Minuten Verspätung hält der Eurocity 88 von Verona nach München im Bahnhof der österreichischen Grenzstadt Kufstein. Die beiden Fahnder Tobi und Bastian von der deutschen Bundespolizei - ihre Nachnamen sind tabu - warten schon. Sie steigen in den hintersten Waggon ein. Nach einem kurzen Blick in einige Abteile wissen sie: „Es gibt Arbeit“. Ein syrisches Paar mit drei Kindern kauert im Abteil, das Baby in Windeln schläft im Arm des Vaters, die Luft ist arg verbraucht. „German Police - Passport?“, fragt einer der Beamten - Kopfschütteln ist die einzige Reaktion.

Mit Gesten bedeuten die Fahnder der Flüchtlingsfamilie, dass ihre abenteuerliche Reise in Bayern vorerst zu Ende ist. Das Paar war mit seinen Kindern in Italien wahrscheinlich von Schleusern in den Zug gesetzt worden, die Einreise nach Deutschland ohne gültige Papiere ist illegal. Dennoch warten bei der Polizei in Rosenheim ein Dach über dem Kopf, Feldbetten zum Ausruhen und etwas zu essen auf die Flüchtlinge.

So geht es Waggon für Waggon, alle Abteile werden gefilzt. Am Ende - der Zug hat in Rosenheim mehr als eine Stunde Aufenthalt - stehen 59 übermüdete Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Somalia und anderen Ländern am Bahnsteig. Jeder bekommt ein Band mit seinem Namen ums Handgelenk gelegt. Das alles geschieht ohne jegliche Aggressionen auf beiden Seiten.

Für die Grenzpolizisten ist das Flüchtlingselend trauriger Alltag. Die Rosenheimer Beamten müssen mit einem dramatischen Anstieg der Schleuserkriminalität fertig werden. Täglich holen sie Dutzende Flüchtlingen aus Zügen, Omnibussen oder Kleintransportern. Kinder werden wie Gepäck in Kofferräume gepfercht, weil sie auf den Sitzen nicht Platz haben. In den Fahrzeugen befinden sich nicht selten doppelt so viele Menschen wie erlaubt ist. Der „Aufgriff von Illegalen“, wie es im Polizeijargon heißt, ist kaum noch zu bewältigen. Seit Jahresbeginn hat die Bundespolizei allein in Rosenheim über 5000 unerlaubt eingereiste Personen registriert.

20.000 Euro pro Person

Sprecher Rainer Scharf zeigt die steil ansteigende Kurve auf: von 400 im Monat Januar auf 1100 im August. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2011 gab es 1500 Flüchtlinge im Zuständigkeitsbereich der Rosenheimer Inspektion, voriges Jahr 4000. Bundesweit wird bis Ende des Jahres mit 200.000 neu ankommenden Flüchtlingen gerechnet.

Es ist das schmutzige Geschäft der Schleuserbanden. Sie machen das Leid der Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Afghanistan oder der Menschen aus Eritrea, Somalia und Nigeria schamlos zu Geld. Über den Brenner oder die Balkan-Route karren sie die körperlich ausgezehrten und von seelischem Leid gezeichneten Flüchtlinge über Österreich nach Deutschland. Ganze Omnibusse voll mit illegal Eingereisten ziehen die Rosenheimer Fahnder auf 645 Kilometern Grenze von Oberbayern bis Schwaben aus dem Verkehr - Hochkonjunktur für die Schleuserbanden.

Bis zu 20.000 Euro kassieren die Drahtzieher der Schleuserbanden pro Person, die sie auf kleinen Schiffen in lebensgefährlichen Partien von Afrika meist an die süditalienische Küste bringen. Von dort geht es weiter nach Deutschland, in die Niederlande oder nach Schweden. „Das kostet noch einmal zwischen 500 und 700 Euro“, weiß Scharf aus Vernehmungen.

Mit 2000 Dollar Schleuserlohn - umgerechnet rund 1500 Euro - ist der Syrer Samer Kachkoul glimpflich davongekommen. Auch er saß mit seinem 18-jährigen Sohn Adnan im Zug aus Verona. Die Frau hat er zurückgelassen, will sie aber nachholen und dann bei seiner Mutter und dem Bruder in den Niederlanden leben, sofern die deutschen Ausländerbehörden die Familienzusammenführung zulassen. Denn eigentlich müssen die Flüchtlinge das Asylverfahren in dem Land abwarten, in dem sie registriert werden.

Straftat, Not und Elend

Registrieren heißt Fingerabdruck. „Erkennungsdienstliche Behandlung“ nennen es die Beamten. Dies geschieht in einem schmucklosen Raum bei der Rosenheimer Bundespolizei, einst eine Bundeswehrkaserne. Der elektronische Fingerabdruck wird eingescannt, ebenso das Foto jedes Flüchtlings. Damit nicht genug: Jeder Neuankömmling wird durchsucht, um womöglich am Körper versteckte gefährliche Gegenstände sicherstellen zu können. „Die unerlaubte Einreise ist eine Straftat nach dem Aufenthaltsgesetz“, erklärt Scharf, „entsprechend müssen wir als Bundespolizei einschreiten. Gleichwohl sehen wir die Not und das Elend, das im Einzelfall dahinterstecken kann.“

In der auch nachts hell erleuchteten Turnhalle der Inspektion stehen in mehreren Reihen Dutzende Feldbetten. Mit weißen Laken zugedeckt schlafen dort an die 50 Palästinenser, Syrer und Flüchtlinge aus Eritrea. Sie alle wurden am Abend zuvor ebenfalls aus dem Zug geholt. Auf einer Tafel wird zu jedem Asylsuchenden abgehakt, wenn er schon registriert wurde. Bei einigen stehen die unschönen Wörter Krätze oder TBC dabei. Nicht wenige Flüchtlinge bringen ansteckende Krankheiten mit, auch Typhus und Malaria. Sie werden in weiße Kapuzenanzüge gesteckt. Die Polizisten in der Turnhalle tragen Mundschutz und Einmalhandschuhe.

Bei der Vielzahl von Asylsuchenden ist die Grenzpolizei längst an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen. Die Beamten kommen mit der Schreibtischarbeit nicht mehr nach, zu jedem Neuankömmling muss ein behördlicher Vorgang angelegt werden, die eigentliche Fahndungsarbeit entlang der Grenze gerät dabei ins Hintertreffen. „Das Nadelöhr bei der Registrierung ist der Dolmetscher“, weiß Polizeisprecher Scharf. Abends oder am Morgen einen Übersetzer für die vorgeschriebenen Vernehmungen zu bekommen, sei nicht einfach. Die Flüchtlinge müssen daher oft einen Tag in der Turnhalle ausharren, bis sie mit einem Schutzersuchen in der Tasche ins Erstaufnahmelager weiterreisen dürfen.

Bei seiner Vernehmung wird der 47-jährige Samer Kachkoul sagen, dass sein Haus in Syrien zerbombt wurde, dass er sein Glück zunächst in Ägypten versucht hat, sein Sohn dort aber nicht zur Schule gehen konnte. Vom Onkel habe er das Geld für die Flucht bekommen. „Was soll ich machen?“, sagt er achselzuckend. 175 Menschen seien in ein 20 Meter langes Boot gepfercht worden. Wegen der rauen See sei die Flucht zum Abenteuer geworden, „aber alle haben überlebt“, erzählt der Syrer. Doch immer wieder kentern Schiffe und sterben Flüchtlinge.

Gespür für Schleuser

Morgens um halb sechs Uhr an der Einmündung der vom Brenner kommenden Inntalautobahn in die A8 Richtung München. Für Tobi und Bastian - beide 27 - ist es eine Wimpernschlagentscheidung, welchen Wagen sie verfolgen und an der nächsten Ausfahrt stoppen. „Wir schauen auf die Art des Fahrzeuges, wo es zugelassen ist und wie viele Leute drinsitzen“, sagt Tobi , „man entwickelt ein Gespür, in welchen Autos Personen geschleust werden.“ Verdächtig ist, wenn ein Fahrzeug gefährlich tief auf der Straße liegt. Kürzlich holten sie aus einem Neun-Sitzer 14 Flüchtlinge. Der Schleuser sitzt in Untersuchungshaft.

Mit dem Fernglas verfolgt Bastian unentwegt den Verkehrsstrom. Er kann im Bruchteil einer Sekunde Autokennzeichen im Gedächtnis abspeichern. Nach einer halben Stunde der erste auffällige Wagen: Der Beamte gibt per Funk das bulgarische Kennzeichen durch und bekommt schnell die Antwort „komplett negativ“, das heißt es liegen weder zum Halter noch zum Fahrzeug polizeiliche Erkenntnisse im europäischen Informationssystem vor. Dennoch tritt Tobi das Gaspedal des 300 PS starken Zivilfahrzeugs voll durch und jagt hinter dem Wagen her. Die Verständigung der beiden Fahnder geschieht derweilen fast wortlos.

Sobald der Fahrer das Auto älteren Baujahres überholt hat, setzt er seinen Wagen davor. Der Beifahrer schaltet ein blau leuchtendes Schriftband „Polizei - Folgen“ an der Windschutzscheine ein. Kurz darauf wird der Wagen mit der Kelle an einem Parkplatz herausgewunken. Mit schusssicherer Weste und geladener Dienstwaffe im Holster bitten die Grenzfahnder den Fahrer auszusteigen.

Ein Schwergewicht in Trainingshose und T-Shirt wuchtet sich aus dem Sitz, seine drei Insassen bleiben sitzen. Bastian lässt sich die Ausweise geben. Während die Personalien wieder per Funk überprüft werden, schaut sich Tobi den Kofferraum genauer an. Nach wenigen Minuten steht fest: alles in Ordnung, die Bulgaren können weiterfahren. „Das Fahrzeug lag recht tief, es hätten noch mehr Personen drin sein können“, begründet Basti, wie er von seinem Kollegen genannt wird, die Kontrolle.

„Wir sind nicht Kobra 11“

So geht es an diesem Morgen mehrmals. Zeitweise gießt es wie aus Kübeln, vor lauter Regen ist kaum noch ein Autotyp zu erkennen geschweige denn ein Kennzeichen. Dennoch schauen die beiden Fahnder mit Luchsaugen auf den dichter werdenden Verkehr. Einmal wird ein Kleintransporter mit zugehängten Scheiben samt Anhänger mit Plane aus Bosnien-Herzegowina gestoppt, ein anderes Mal ein Wohnmobil mit italienischem Kennzeichen. Es ist auf ein in Deutschland lebendes Paar aus Rumänien zugelassen. Bei beiden ergibt die Abfrage ein stattliches Vorstrafenregister, doch auch sie dürfen weiterfahren. Polizeilich liegt derzeit nichts gegen sie vor.

„Wir sind nicht Kobra 11“, sagt Polizeisprecher Scharf in Anspielung auf die Fernsehkrimiserie zur Arbeit der Fahnder. Im Gegenteil: „Die Geschleusten sind in der Regel froh, wenn wir sie endlich aus dem Kofferraum holen.“ Kürzlich befreiten sie an der Inntalautobahn hinter der österreichisch-bayerischen Grenze ein Mädchen, das zwischen Gepäckstücken eingekeilt war. Die Zehnjährige war in Mailand in das dunkle Versteck gelegt worden. Ein anderer Schleuser versuchte seiner Festnahme zu entgehen, indem er mit 200 Sachen über die A8 jagte. Erst 25 Kilometer später wurde er gestoppt.

In einer Halle auf dem Gelände der Bundespolizei stehen an die 80 sichergestellte Fahrzeuge von Schleusern - viele Vans, Wohnmobile und Kleintransporter älteren Baujahres. Es ist die Ausbeute von nur wenigen Wochen Fahdnung. Tobi und Bastian haben etliche aus dem Verkehr gezogen und somit einer Reihe von Schleusern das Handwerk zumindest zeitweise gelegt. Beide wünschen sich mehr Personal für die Grenzfahndung, um mehr Schleuser erwischen zu können. Die Flüchtlinge hingegen tun ihnen leid. Und auch ihnen setzt das tägliche Erleben der Flüchtlingsschicksale zu. Beim Anblick der 59 von ihm aus dem Zug geholten Flüchtlinge sagt Tobi: „Zur Zeit ist es extrem belastend.“

Verwandte Themen


1 Kommentar