Lange Warteschlangen vor der Dürer-Ausstellung

27.8.2012, 07:00 Uhr
Lange Warteschlangen vor der Dürer-Ausstellung

© Stefan Hippel

Katrin Lichtenberger aus Würzburg schreckt das nicht. Gemeinsam mit ihrer Mutter Anke aus Goslar ist sie eigens für Dürer angereist. „Überrascht hat uns der Andrang schon – vier Stunden warten ist nicht schön, aber wir stehen’s durch“, erklärt Katrin Lichtenberger entschlossen. Ihre Mutter sammelte vorab Presse-Artikel über den „Frühen Dürer“, um sich vorzubereiten.

Kunst und Kultur liegen beiden am Herzen, und in Hannover oder Bonn musste man sich den Kunstgenuss auch wartend „erarbeiten“, sehen beide die Lage pragmatisch. Woher das Interesse kommt? Anke Lichtenberger schmunzelt: „Als Kind hatte Katrin zwei Dürer-Puzzels, eines davon das berühmte ,Selbstportrait im Pelzrock‘; das hat bei ihr damals schon Interesse und Neugier geweckt!“

Dem ersehnten Blick auf Dürers Frühwerk ist Sven Weiler aus Frankfurt am Main schon ein paar Meter näher gerückt. „Das hier ist ein großes Ereignis – und ich stehe der Kunst zu Liebe öfter in Schlangen“, gibt der mit Regencape und Buch gewappnete Kunstfan zu. „In der Albertina in Wien hatte ich bei der Michelangelo-Ausstellung ein ähnlich kuscheliges Erlebnis“, erinnert er sich.

Ein Grundgerüst an Vorbildung für die Dürer-Ausstellung habe er: „Ich sehe eher das Problem, dass man in Dreier-Reihen vor den Werken stehen wird. In der National Gallery in London bucht man online vor und erhält ein Zeitfenster, wo man die Werke dann besser sehen kann. Dafür nimmt das aber jede Spontanität.“ Vor ihm lauschen Mitwartende interessiert – in dieser Zufallsgemeinschaft entsteht über Stunden so manches Gespräch...

Rebekka Bodensohn und Samantha Feick besuchen in den Semesterferien ihre Freundin Sophia Böhm in Erlangen – alle drei studieren Kunstgeschichte in Frankfurt. Die Dürer-Ausstellung war gesetzt, ganz klar. „An der Uni wird davon geschwärmt“, sagt Samantha und Rebekka ergänzt: „Dürer ist ein Muss! Doch mein Mallehrer hat schon gesagt, dass man lange ansteht.“

Erstmals warten die drei stundenlang auf Kunstgenuss, doch sie sind völlig entspannt; beim Thai an der Ecke haben sie sich etwas zu trinken geholt. Was sie sich erwarten? „Einfach das Original sehen, nicht nur Power-Point-Präsentationen an der Uni“, erklärt Sophia voll Vorfreude. „Wir bleiben so lange drin, bis das Museum schließt und wir nicht mehr stehen können!“



Wer Glück hat, findet einen Sitzplatz auf einem Steinquader neben der Schlange und drückt sich in den Schatten. Doch auch das Sicherheitspersonal beweist Durchhaltevermögen: Immer aufs Neue erklärt Claudia Kopp geduldig Wartezeiten, informiert über Getränkemöglichkeiten, hält nach körperlich Schwerbehinderten und Familien mit Babys Ausschau. Zudem transportiert sie überschäumende Begeisterung: „Ich glaub’, ich war schon 15-mal in der Ausstellung – dafür muss man sich einfach Zeit nehmen!“

Ihre Aufgabe rund um die Wartenden beschreibt sie als Schadensbegrenzung: „Wir können die Warteschlange nicht kürzen, aber ehrlich informieren. Man muss auch ein bisschen unterhalten“, sagt sie, und wie allen Mitarbeitern steht ihr eine Mischung aus Freude über das enorme Besucherinteresse und das Mitgefühl hinsichtlich der Wartezeit ins Gesicht geschrieben.

„Schicken Sie doch mal jemanden mit Würschtl und Bier vorbei“, ruft ihr ein Herr aus der Menge augenzwinkernd zu – Claudia Kopp lacht. „Eine ältere Dame hat mir neulich gesagt: ,Eine Ausstellung für die mer net wart’n muss, taugt nix!‘“ Andere Besucher hätten sich sogar aufgeregt, dass es zu billig sei, erzählt sie: „Mit acht Euro zahlt man nur zwei Euro Aufschlag für diese grandiose Präsentation!“

Claudia Kopps Kollegin Anita Bauer sieht im GNM-Foyer in die Augen derer, die es fast geschafft haben. Wieder darf eine Gruppe vor, direkt zur Kasse – schon versperrt ein schwarzes Band wieder den Zugang: weiter warten. Anita Bauer lässt eine Familie mit kleineren Kindern vor, die gleich dem Aktionsraum für Familien entgegenstrebt. „Warum dürfen die da vor uns rein?“, fragt eine Dame sofort nach. Anita Bauer erläutert geduldig, warum Familien und körperlich Behinderte, soweit möglich, bevorzugt behandelt werden.

„Es gibt schon viel böses Blut, die Leute reagieren sehr unterschiedlich“, resümiert sie müde lächelnd. „Manche fahren gleich aus der Haut, andere haben Geduld und viel Verständnis, auch für uns. Wirklich grantig sind die wenigsten. Oft führt man auch sehr nette Gespräche.“ Heute sei der Andrang besonders groß, das werde sich bis zum letzten Ausstellungstag sicher noch steigern. „Gott sei Dank ist schönes Wetter – und es ist nicht allzu warm.“

Die heiße Zeit verlangte besondere Aufmerksamkeit vom Sicherheitsteam, erklärt Sonja Mißfeldt, Pressesprecherin des GNM. Über Handzeichen könne das in Sichtweite an der Schlange positionierte Aufsichtspersonal kommunizieren und per Handy nach außen reagieren, sobald beispielsweise ein Arzt benötigt würde.

„Wirklich umgekippt ist bislang niemand, doch einige Leute haben rechtzeitig gesagt, dass ihnen nicht gut sei. Da konnten wir dann noch einen Stuhl unter den Po schieben und ein Glas Wasser reichen.“ Das GNM versuche, möglichst weitgehend auf die Bedürfnisse der Gäste einzugehen, so Missfeldt, „unter anderem mit flexibel gehandhabten Öffnungszeiten“.

Türen schließen pünktlich um 20 Uhr? Das ist selten geworden. „Steht um 19.30 Uhr noch eine Schlange vor dem Haus, lassen wir die Ausstellung, nachdem der letzte Besucher die Kasse passiert hat, noch eineinhalb Stunden geöffnet.“ Eine Schließzeit um 23 Uhr ist da keine große Ausnahme mehr. „Darauf verlassen sollte man sich allerdings nicht“, warnt Mißfeldt lachend. Selbst bei Arbeitszeiten bis in den späten Abend sei das Aufsichtspersonal „voll dabei“, lobt sie und zitiert Lobeshymnen von GNM-Generaldirektor G. Ulrich Großmann.

Von „Fürsorgepflicht“ spricht Sicherheitschef Josef Böhm. Nichts scheint seinem wachen Blick zu entgehen. „Ich bin Mädchen für alles“, sagt er und wird gleich von zwei Seiten angesprochen. Er hilft, wo es möglich ist. In einer Schublade seines Schreibtischs sammelt er die eigenen Erfahrungen rund um Dürer, bittere und erfüllende Begebenheiten mit dessen Fans. „Vom Hund, den man nicht allein lassen kann, über den Opa, den man nicht mehr findet, bis zum Kleinkind, das in keinem fremden Buggy sitzen will. Irgendwann werde ich das alles zusammenschreiben“, meint er leise.

Böhm erklärt die komplexe, lautlose Zusammenarbeit seiner Leute; reibungslos muss der Einlass funktionieren. Am Eingang zur Schau hält ein Kollege beide Hände hoch – zehn Besucher rücken Dürer wieder ein Stück näher. „Sehen Sie diese glücklichen Augen, wenn die Leute endlich die Ersten in der Schlange sind? Es ist einfach schön!“ Und danach? Böhm lächelt. „Wenn sie aus den Schauräumen heraustreten, sind viele wie in einem Bann, in sich versunken. Es ist ein gewisser Kult entstanden: Dürer möchte man miterleben.“

Letzter Tag der Ausstellung: 2. September. Weitere Informationen unter: www.gnm.de Handtaschen müssen ins Schließfach. Tipp des GNM: Taschen gleich zu Hause lassen.

Verwandte Themen


5 Kommentare