100 Jahre 1. Weltkrieg: Vergessene Gefallene

25.8.2014, 16:00 Uhr
100 Jahre 1. Weltkrieg: Vergessene Gefallene

Rund 240 Namen sind rechts und links der um ihren toten Sohn trauernden Maria aufgelistet. Allesamt waren Mitglieder der damals einzigen katholischen Pfarrei der Stadt; alle starben, die meisten erst um die 20 Jahre alt, im blutigen Gemetzel. Als ersten traf es laut Tafel Mathias Spitz, am 24. August 1914; das letzte Neumarkter Weltkriegsopfer war demnach Johann Hofbeck, der an den Folgen seiner Verwundung im März 1926 verstarb.

Die Folgen des Abschlachtens seien sogar heute noch spürbar, sagt Stadtpfarrer Norbert Winner zu Beginn des gestrigen Gottesdienstes, der zugleich ein Gedenkgottesdienst für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs war: genau 100 Jahre nach dem „Ehrentod“ von Mathias Spitz, wie das grausame Sterben an der Front verbrämt wurde. „Allzu viele junge Männer sind nicht mehr nach Hause gekommen“, sagte der Geistliche und schloss die gefallenen Soldaten in die Fürbitten mit ein.

Eine kleine Umfrage unter Kirchgängern, die nach dem Gottesdienst vor dem Portal noch etwas plauschen, ergab, was zu erwarten war: Der Erste Weltkrieg wurde in den Familien tot geschwiegen. Unisono: „Darüber wurde bei uns nie zuhause gesprochen.“

100 Jahre 1. Weltkrieg: Vergessene Gefallene

© Foto: Sammlung Karl Inderst/Repro: Peter Aumeier

Einerseits lag er im Schatten des nachfolgenden Weltkriegs. Womöglich lag es aber auch am Trauma der Heimgekehrten, vielleicht war es auch die schwer begreifliche Niederlage, die dem Verlierer die Alleinschuld für den Ausbruch zuschob. Ein Neumarkter erinnert sich, immerhin, an einen im Elsaß gefallenen Onkel.

Was den Pfarrer umtreibt: Es waren fast ausnahmslos „christliche“ Nationen, die in den Krieg gezogen sind, häufig mit Hurra. „Für mich ist das unerklärlich“, sagt Winner, der sich wie so viele andere auch erst jetzt im Gedenkjahr näher mit jenem Krieg beschäftigt hat. Und er schont die Seinigen nicht: „Anders als zu Beginn des Zweiten Weltkriegs haben gerade die deutschen Katholiken den Ausbruch des Ersten besonders begrüßt.“

Unter Generalverdacht

Man kann das nur aus der damaligen Zeit heraus begreifen: Seit dem „Kulturkampf“ in den Jahren nach der Gründung des preußisch-evangelisch geprägten Kaiserreichs standen die Katholiken stets unter dem Verdacht, „ultramontan“ zu sein; heißt, dem Papst „jenseits der Berge“ (lateinisch: „ultra montes“, gemeint waren hier die Alpen) näher zu stehen als dem Kaiser in Berlin.

100 Jahre 1. Weltkrieg: Vergessene Gefallene

© Foto: Linke

Als „Bürger zweiter Klasse“ habe man nun die Chance gesehen, seinen Patriotismus unter Beweis zu stellen, sagt der Stadtpfarrer. „Die Euphorie war aber bei den ,kleinen Leuten‘ hier bei uns in Neumarkt weit geringer als in den größeren Städten.“ Zumal just zur Erntezeit die kräftigsten Burschen eingezogen wurden.

Angesichts der aktuellen Kriege fiel es Norbert Winner auch nicht schwer, den Bogen ins Heute zu schlagen: „Es scheint so, als hätten die Menschen aus diesen Katastrophen des 20. Jahrhunderts nichts gelernt.“ Seine Mahnung an die Gläubigen: „Umso mehr müssen wir selbst, jeder einzelne von uns, uns um den Frieden bemühen.“ Nicht nur im großen Rahmen von Politik und Gesellschaft, sondern „zuallererst in unserer nächsten Umgebung, im familiären und im beruflichen Bereich“.

„Entmilitarisiert“ wurde zu Beginn der 1990er auch das Denkmal an der Außenmauer, in dessen Zentrum zuvor der Soldatenheilige Sebastian stand. Der damalige Stadtpfarrer Kaspar Hirschbeck ersetzte die Holzfigur durch eine steinerne Pietà mit dem Friedensfürsten Jesus Christus.

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