Courage für die Frauen

9.10.2015, 18:05 Uhr
Courage für die Frauen

© Foto: De Geare

„Wir sind die Haupternährer der Familie und dennoch besitzen wir kein Eigentum. Wir werden nur als Werkzeug angesehen“, erklärt Regina Andrea Mukama, die in ihrer Heimat von allen nur „Mama Regina“ genannt wird. Derzeit ist sie im Bistum Eichstätt zu Gast; gestern hielt sie vor rund 100 Jugendlichen einen Vortrag im Neumarkter Berufsschulzentrum.

Doch Regina Mukama hat dagegen aufbegehrt: Als sie Anfang 30 war, starb ihr Ehemann. Sie sollte des Erbes wegen an ihren Schwager weiterverheiratet werden. Mukama weigerte sich: „Ich sollte jemanden heiraten, den ich nicht wirklich kannte und den ich nicht liebte“, sagt sie rückblickend beim Pressegespräch in Neumarkt immer noch mit etwas Unverständnis und Trotz in der Stimme.

Sie schnappte sich ihre sechs Kinder, zog zu den eigenen Eltern und arbeitete vormittags als Grundschullehrerin. Anschließend übte sie noch einen Nebenjob aus – für die finanzielle Unabhängigkeit: „Ich war allein, die Gesellschaft hatte mich verstoßen.“

Deshalb rief Regina Mukama nicht ganz uneigennützig einen Selbsthilfekreis für Witwen ins Leben. „Ich suchte jemanden zum Reden und jemanden, auf den ich mich verlassen konnte“, erzählt sie heute. Die Frauenrunde sei das Thema im Dorf und auch in der Stadt gewesen: Frauen, die sich zusammenschließen, und dann auch noch Aussätzige – das war völlig neu.

Doch dabei sollte es nicht bleiben: Zusammen mit dem katholischen Bischof Michael Msonganzila gründete die couragierte Frau 2006 das Rescue Camp „Jipe Moyo“ („Fass dir ein Herz“) für Mädchen, die vor der Genitalverstümmelung fliehen.

Um die 98 Prozent sind in der tansanischen Region Mara (zwischen Viktoriasee und Serengeti Nationalpark) beschnitten. Mukamas eigener Stamm praktizierte diese grausame Tradition nicht, dennoch ist das Thema inzwischen elementarer Teil ihrer Arbeit.

Schnitte, die Leben verändern

Mit der Beschneidung, so die tansanische Denkweise, gelten die Mädchen als verheiratbare Frauen. Wann und wo der Eingriff – oft mit stumpfen Klingen, ohne jegliche Hygiene – durchgeführt werden soll, bestimmen die Stammesältesten. Etliche Mädchen, meist um die 14 Jahre alt, überleben den Eingriff nicht.

Die Eltern sind dennoch machtlos, können ihre Kinder maximal in die Rescue Camps von Regina Mukama bringen, wo sie Schutz, einen Schlafplatz, Kleidung und Essen sowie vor allen Dingen Bildung („den Schlüssel zur Gleichberechtigung“) finden.

Jene Eltern, die sich aus Angst vor Rache oder Verstoßung nicht wehren, zahlen rund 9000 tansanische Schilling (umgerechnet 3,60 Euro) für den sekundenschnellen Eingriff. Die einzigen, die profitieren, sind die Beschneiderinnen und die Stammesältesten.

Die Wunden verheilen – wenn überhaupt – nach etwa vier Wochen. Danach preisen sich die Mädchen den Männern an. Die Schmerzen, die Erniedrigung und all die psychologischen Folgen bleiben ein Leben lang.

Jetzt, so kurz vor der Beschneidungssaison im November/ Dezember, spitzt sich die Lage in den mittlerweile drei von Mukama und dem katholischen Hilfswerk „missio“ initiierten Camps wieder besonders zu: „Wir haben 2006 etwa 25 Mädchen erwartet, es kamen deutlich mehr. Heutzutage sind es normalerweise 300 bis 400. Aber aktuell sind erneut 575 Mädchen im Camp – das jüngste ist gerade einmal sieben Jahre alt.“

Schuld an dieser derzeit so hohen Zahl ist auch die Präsidentschaftswahl am 25. Oktober: „Wer für einen Sitz im Parlament kandidiert, wird sich nicht gegen die Stammesältesten stellen“, sagte einst Regina Mukama. Somit gehen die Gräueltaten weiter, und obwohl es seit 1998 offiziell verboten ist, kommt die Regierung nicht gegen die Stammesältesten an.

Nicht zuletzt deshalb denkt Regina Andrea Mukama auch mit 65 Jahren noch lange nicht ans Aufhören – im Gegenteil. Sie setzt weiter auf Bildung und Sensibilisierung der Gesellschaft: „Mittlerweile ist eine unserer Frauen Stammesälteste. Da werden hoffentlich noch viele folgen. Denn alleine sind wir schwach, doch als Gruppe mit einer Stimme sind wir stark.“

Mukamas Traum ist es, „Jipe Moyo“ ab dem Jahr 2020 nur noch als Schule zu nutzen – und nicht mehr zum Schutz gegen die Beschneidung.

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