Dekanat ist eine feste Burg in der Diaspora

28.9.2014, 11:24 Uhr
Dekanat ist eine feste Burg in der Diaspora

© Foto: Günter Distler

Es tobte in Europa bereits der Erste Weltkrieg, als am 1. Oktober 1914 der Dienstsitz des evangelischen Dekans im Kreis Neumarkt von Pyrbaum in die Kreisstadt verlegt wurde. Für die Neumarkter Protestanten eigentlich kein Novum, vielmehr eine Renaissance: Von 1558 bis 1626 saß in der Stadt eine „kurpfälzische Superintendentur“. Dieser Vorläufer des heutigen Dekanats beaufsichtigte das evangelische Kirchenwesen, das 20 Jahre zuvor mit der Reformation eingezogen war.

40 Pfarreien auf pfälzischem Gebiet umfasste die Superintendentur, von Pfaffenhofen im Norden bis Holnstein im Süden. Ausgespart war hier das Gebiet um Sulzbürg, das zur reichsfreien Grafschaft der Wolfsteiner gehörte. Das „Landl“ bekam im 16. Jahrhundert einen eigenen Superintendanten – und diese „überlebte“ auch den Dreißigjährigen Krieg, während das Nachbardekanat in Neumarkt im Zuge der Rekatholisierung der Oberpfalz wieder von der Karte verschwand.

Dekanatssitz zuvor in Pyrbaum

„Ohne den Landlbischof gäbe es heute keinen Landesbischof“, heißt es in der evangelischen Kirchengeschichte Bayerns. Umgeben vom streng katholischen Bayern der Wittelsbacher überdauerte die evangelische Insel und wurde so zur „Urzelle“ der späteren evangelisch-lutherischen Landeskirche.

Der Dekanatssitz wechselte allerdings mehrmals: 1740 von Sulzbürg nach Sulzkirchen, dann 1814 nach Pyrbaum, und schließlich 1914 nach Neumarkt. Hier siedelten sich ab etwa 1830 wieder Protestanten an, das Königreich Bayern gewährte nun endlich Religionsfreiheit.

Die kleine Neumarkter Gemeinde erwarb 1854 für ihre Gottesdienste ausgerechnet einen Teil der ehemaligen Kirche des Kapuzinerklosters, dem einstigen Hort der Gegenreformation; inzwischen war das Gotteshaus zu einer Scheune verkommen.

Kurios: Das evangelische Neumarkt war noch bis 1912 nur ein Vikariat, also eine „Pfarrlehrstelle“. Erst in jenem Jahr wurde es zur Pfarrei erhoben – und zwei Jahre später schon Sitz des Dekanats.

Zu dessen Bezirk gehörten anfangs neben Neumarkt die neun Kirchengemeinden der früheren Grafschaft Wolfstein: Sulzbürg, Mühlhausen, Bachhausen, Rocksdorf, Kerkhofen-Hofen, Oberndorf, Pyrbaum und Ebenried. Später kamen noch Beilngries, Parsberg und Allersberg hinzu.

Boom nach dem Krieg

Erster Dekan war Ernst Burger, der evangelische Pfarrer in Neumarkt von 1912 bis 1920 war. Auf ihn folgten: Markus Ammon (1921-28), Dr. Theodor Stark (1928-35), Kirchenrat Karl Krodel (1935-59), Kirchenrat Friedrich Hofmann (1960-70), Rudolf Kahle (1971-83), Peter Smolka (1983- 95), Hans-Gerch Philippi (1995-97), Dr. Wolfgang Bub (1997-2008). Seit 2009 leitet Dr. Norbert Dennerlein das Dekanat.

Dessen „Seelenzahl“ blieb bis Ende des Zweiten Weltkriegs mit maximal 4600 überschaubar. Mit der Ansiedlung vieler Heimatvertriebener aus dem Osten verdoppelte sich jedoch bis 1950 der Anteil der Evangelischen im Dekanatsbezirk auf 14 Prozent, nun waren es schon knapp 12 000.

Diakonie tut viel

„Das starke Engagement für die Flüchtlinge aus dem Osten ist schon beeindruckend“, sagt Dekan Dennerlein. Starke Unterstützung kam damals aus dem Landl, woher auch viele Naturalien für die (Lebens-)Mittellosen gespendet wurden.

Dekanat ist eine feste Burg in der Diaspora

© Foto: Günter Distler

In den Zeiten des Booms erweiterte die evangelische Kirche neben der herkömmlichen Seelsorge ihr „Angebot“ auch in der Diaspora. 1957 wurde in Neumarkt der erste evangelische Kindergarten im Dekanatsbezirk eingeweiht. Es entstanden diakonische Einrichtungen wie die Schwesternstation, das Altenheim, das Evangelische Bildungswerk, der Leb-Mit-Laden in Neumarkt oder zusammen mit einem Verein das Familienerholungsheim in Sulzbürg. Die Diakonie engagiert sich zudem im sozial-psychologischen Dienst und in der Suchtberatung. In Pyrbaum wird sie ab kommenden Jahr ein Pflegezentrum betreiben, das die Marktgemeinde errichtet.

Heute zählen die elf Kirchengemeinden etwa 18 200 evangelische Christen und erfreuen sich, obwohl weiter klar in konfessioneller Minderheit, eines regen kirchlichen Lebens.

Doch will das Dekanat im Jubiläumsjahr die jahrhundertelangen Konfrontationen mit der katholischen Kirche in den historischen Kontext stellen und im Geiste einer funktionierenden Ökumene mehr das Verbindende als das Trennende betonen.

Darum auch das viel weiter zurückblickende Motto „100 Jahre und viel mehr“. „Es wird kein Heldengedenken geben“, erklärt Dekan Dennerlein. „Wir wollen vielmehr aufzeigen, wie die Strukturen hier bei uns geschichtlich gewachsen sind.“

Gewachsen sei in den vergangenen Jahrzehnten auch das Vertrauen zwischen den beiden großen Kirchen in Neumarkt, sagt der Dekan. Aktuelles Beispiel sei das Mitteilungsblatt des katholischen Dekanats, das gleich oben auf Seite eins auf das Jubiläumsjahr der Nachbarn hinweist und zum Mitfeiern einlädt. „Das hat mich riesig gefreut“, sagt Norbert Dennerlein.

Baubeginn im „Klösterl“

Mit Beginn seines zweiten Jahrhunderts tritt das evangelische Dekanat Neumarkt in eine neue Ära. Noch im Oktober wird mit dem Bau des neuen Dekanats und des Gemeindesaals im „Klösterl“ gleich neben der Christuskirche begonnen.

Nach der Fertigstellung werde dann das „evangelische Neumarkt“ dort einen zentralen Standort haben, so der Dekan, die Diakonie bleibt am Schloßweiher. Voraussichtlicher Einzugstermin ist 2016, spätestens aber 2017. Dann steht schon das nächste Jubiläum an: 500 Jahre Reformation.

 

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