"Die kleinen Dinge" der Architektur

11.11.2018, 16:58 Uhr

© Martin Herbaty

© Herbaty

Gastgeber Johannes Berschneider bezeichnete zum Auftakt Vorarlberg wegen der hohen Qualität der Architektur und der Ausführung als "Mekka der Architekturliebhaber". Dabei zog er Parallelen zur Oberpfalz als "Vorarlberg Bayerns", auch wenn es hier noch keine solche Dichte hochwertiger Architektur und noch keinen so ausgeprägten Architekturtourismus gebe.

Sven Matt, Jahrgang 1980, hat in Innsbruck und Wien studiert und bei Feichinger Architekten und Bernado Bader gearbeitet, bevor er 2013 mit Markus Innauer ein eigenes Büro im vorarlbergischen Bezau gründete. "Zwischendrin" hatte Matt seinen Werkbericht genannt und bezog sich damit auch auf die für den Bregenzerwald typische Mentalität, die seine Arbeiten prägt: Eigenwillig, traditionsbewusst und offen für Neues.

Durch Zufall landeten die beiden dort: Innauer hatte einen Wettbewerb in Bezau gewonnen, bei einem Besuch entdeckten sie ein seit 20 Jahren leerstehendes Fotogeschäft, das sie als Büro mieten konnten. Für Matt ein "wunderbares Beispiel für gestalterische Nachhaltigkeit", das nach 50 Jahren "immer noch super als Raum funktioniert": 1963 für eine progressive Fotografin geplant und komplett im Original enthalten, ist es das Erstlingswerk von Leopold Kaufmann, einem der Begründer der modernen Vorarlberger Holzbau-Architektur.

Die vorgestellten Projekte demonstrieren für Matt unterschiedliche Aspekte der Grundhaltung für die eigene, auf Ausgleich bedachte Arbeit: "Wir sind Architekten, wir haben immer eine Antwort" ist ein Motto von Innauer Matt. Doch vor der Antwort müsse man genau überlegen.

Das zeigte unter dem Begriffspaar "Autarkie und Kontext" des "Haus für Julia und Björn", das Matt als eines seiner ersten Projekte für seinen Bruder realisierte. Ein Wohnhaus sei das Paradebeispiel eines autarken Gebildes, doch der Kontext sei wichtig. Über Monate näherte sich Matt dem schmalen, steilen Grundstück an. Das Ergebnis: Ein tief in den Grund gerücktes Gebäude, mit Eingangsbereich im OG und Wohnräumen drunter. Das Holz für Haus, Innenverkleidung und Möbel kam aus dem eigenen Wald.

Von Anfang war klar: Das Haus sollte landschaftstypisch werden, "aber keine Scheune." Es übersetzte die Schindelverkleidungen der Bürgerhäuser in ein kleingerastertes Holzgitter, das das ganze Haus umgibt. Dass die Böden aus weicher, unbehandelter Fichte sind, sorgte erst für Skepsis bei den Bauherren – heute nicht mehr: "Der Boden ist ein Stück Familie, der lebt mit." So ist das Haus in Material, Gestaltung und Organisation auf vielen Ebenen mit seinen Kontexten verbunden und ein Unikat, das sich nicht an anderer Stelle noch einmal errichten lässt, wie Matt betont: "Das ist ein Passstück genau für den Ort, die Familie und die Grundbedingungen."

"Sorgsamkeit und Gelassenheit" beschreibt die Herangehensweise: "Wir bauen keinen architektonischen Pop, der nächste Woche aus der Mode ist, Alltäglichkeit ist uns wichtiger", so Matt: "Es soll gut aussehen, aber vor allem funktionieren."

In der Praxis kommt dann so etwas wie das "Haus Feurstein" heraus. Ein mit knappem Budget umgesetztes Wohnhaus, das das abgewohnte Hinterhaus eines Bauernhofs ersetzte. Der Bau sollte sich nicht dem Vorderhaus aufdrängen, aber auch nicht den alten Stall imitieren oder einen forcierten Kontrast setzen. Deshalb ist der Holzständerbau nach außen stark zurückgenommen und lebt von der Raumstimmung durch unkonventionelle Raumschnitte und Raumhöhen.

"Bruch und Kontinuität" steht für den Umgang mit Altem und Neuem. Erst nach der Rückkehr in die Provinz erkannten Innauer und Matt, was es an nachhaltigem Alten gibt. So wurde die "Gartenwerkstatt Strubobuob" als Erweiterung eines Deko-Geschäfts zum Grenzgang. Mitten in Bezau, umgeben von alten Gebäuden sollte sich der kleine Bau mit 100 m² Ladenfläche behaupten und kraftvoll in den Dorfraum strahlen. Trotz anfänglicher Zweifel entschieden sich die Architekten für eine Neuinterpretation der regionalen Kreuzgiebelhäuser als Massivholzkonstruktion.

Vom hohen Ross

Dem Auftraggeber war wichtig, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt: Handwerker und das Material kamen aus einem Umkreis von 20 km. Mit seinen rohen, unbehandelten Flächen und dem durch die Nutzung mit einer Patina "wie ein alter Kirchenboden" versehenen Eschenboden ist die Gartenwerkstatt inzwischen ein Referenzobjekt für viele Bauherren.

"Pragmatismus und Leidenschaft" beschreibt den Zwiespalt des Architekten zwischen Künstler und Dienstleister – im Werkbericht repräsentiert durch die Kapelle Wirmboden. Wirmboden ist eine Genossenschaft von Bergbauern, ein kleiner Weiler. Hier hatte ein Grundbesitzer eine Kapelle errichtet. Als diese 2013 durch eine Lawine zerstört wurde, wollte die Genossenschaft eine neue Kapelle aufstellen. Von Bekannten empfohlen, waren Innauer und Matt begeistert – "Sakralbauten baut man heute ja nicht mehr so viele". Also entwarf das Büro "ein richtig schönes Architektenprojekt" – und fiel gnadenlos durch.

Der "hässliche Betonbunker" aus dem ersten Entwurf zeitige wildeste Alternativvorschläge bis hin zur Idee, eine Kapelle aus dem Katalog zu bestellen. So bequemten sich Innauer und Matt "runter vom hohen Architektenross" und entwickelten mit den Bauern einen neuen Entwurf: "Das schönste an dem Projekt war der Prozess, der ging über drei Jahre." Damit hatte dieses mit 6 m² Fläche kleinste Projekt von Innauer Matt die längste Planungszeit aller Vorhaben.

Alles in Handarbeit

Von den Wänden aus Bruchsteinen und Stampfbeton über den stählernen Dachfirst mit Oberlicht bis zum Türschloss entstand alles in Handarbeit. Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich die Details. So besteht der Dachstuhl aus Haselfichte, einem klassischen Instrumentenholz, und bildet den Resonanzkörper für die Glocke. Die Rahmenbedingungen für gute und nachhaltige Architektur waren in der Diskussion Thema. Für Vorarlberg nannte Matt das gute Zusammenspiel mit dem Handwerk und ein Bewusstsein für Baukultur als wesentliche Aspekte. Zudem gibt es vor allem bei Privatvorhaben mehr Gestaltungsspielräume. Kleine Projekte werden auf Gemeindeebene entschieden. Der Bürgermeister ist dann zugleich die oberste Baubehörde, wird aber mittlerweile in vielen Orten von Gestaltungsbeiräten unterstützt.

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