Großer Wandertag für Architektur-Interessierte

26.6.2017, 10:41 Uhr
Großer Wandertag für Architektur-Interessierte

© Foto: Martin Herbaty

In Neumarkt lockte das über drei Jahre hinweg mit einem Aufwand von sechs Millionen Euro sanierte Kapuzinerkloster viele Besucher an. OB Thomas Thumann würdigte zum Auftakt der Neumarkter "Architektouren" die Entwicklung der Stadt hinsichtlich Architektur und Kunst im öffentlichen Raum.

Hier sah er das Engagement der örtlichen Planer und Bauherren ebenso als Ursache wie das große Interesse der Bevölkerung am Thema Architektur. "Aus der Not geboren", so Thumann, sei auf einer langjährigen Brache "einer der schönsten Säle weit über Neumarkt hinaus" entstanden und mit dem Evangelischem Gemeindezentrum, Kapuzinersaal und den harmonisch eingefügten Wohngebäuden ein gelungenes Projekt zur Altstadtbelebung auf hohem Niveau umgesetzt worden.

Vor der Führung durch das Ensemble erläuterte Architekt Johannes Berschneider dessen wechselvolle Geschichte vom 1674 erbauten Kloster und des 1761 angeschlossenen Brauhauses bis zum "Old Bailey" und der "Rustica" samt des legendären "Lendchenkellers" und einem chinesisches Restaurant, bevor das Gelände in einen langjährigen Dornröschenschlaf fiel.

Anlass für die Wiederbelebung war der Plan der Evangelischen Kirche, das Gebäude in der Kapuzinerstraße abzubrechen und ein neues Gemeindezentrum zu errichten. Als die Denkmalschutzbehörden das ablehnten, schien die Wiederbelebung gescheitert – für die vom Denkmalschutz gewünschte "große" Lösung reichte das Geld nicht.

Großer Wandertag für Architektur-Interessierte

© Foto: Martin Herbaty

Doch dann stieg nicht nur die Stadt Neumarkt in das Projekt ein, im nicht denkmalgeschützten Bereich des Gelände wollte auch ein Bauträger investieren: "Und dann ging der Knoten total schnell auf", so Berschneider. Der heutige Saal war ebenso wie die Klosterräume mit Zwischendecken und -wänden völlig zugebaut. Alle späteren Einbauten wurden Zug um Zug entfernt. Dabei kam nicht nur der historische Dachstuhl zutage, sondern auch lange zugemauerte Fensteröffnungen, von Rigips- und Holzdecken verdeckte Gewölbe und alte Wandmalereien.

Der freigelegte und sanierte Dachstuhl aus dem 18. Jahrhundert ist nicht nur ein optisches Highlight – er trägt auch zur guten Akustik des Kapuzinersaals bei und machte so Schallschutzmaßnahmen an den Wänden unnötig. In den erhaltenen Klostergebäuden passte der historische Grundriss haargenau zum Raumprogramm für das Gemeindezentrums. "Wir haben die Seele des Gebäudes über die historische Bausubstanz wieder freigelegt", so Berschneiders Fazit. Auch wenn etwa moderne Brandschutzanforderungen manche Kompromisse nötig machten, sei die Zusammenarbeit zwischen Bauherren, Planern und Denkmalschützern sehr problemlos gelaufen: "Auch als Privatmann müssen Sie keine Angst vor Denkmalschutz haben."

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© Foto: Martin Herbaty

Einige erhaltene alte Türen wurden saniert und dienten als Vorbild für die neuen Türen im Gemeindezentrum. als Boden wurde überall widerstandsfähiger heimischer Dolomit verlegt. Neue Gebäudeteile wie die Galerie und der Zwischenbau wurden als Kontrast in rauem Sichtbeton aufgeführt.

Der Bonhoeffer-Saal der evangelischen Gemeinde entstand an Stelle zweier früherer Garagen. Ihn charakterisieren nicht nur die dicken Mauern und klassischen Fensteröffnungen: Hier fanden auch die historischen Bodenbretter, die im Obergeschoss nicht mehr verbaut werden konnten, einen neuen Platz und machen mit ihren Benutzungsspuren und Wurmlöchern die Geschichte des Baus erlebbar.

Einen deutlichen Kontrast zu diesem Projekt stellt die neue Sporthalle in Postbauer-Heng dar. Das vom Stuttgarter Architektenbüro asp – unter anderem verantwortlich für die Porsche-Arena Stuttgart und die HUK-Coburg-Arena Coburg – realisierte Gebäude bildet als neues architektonisches Wahrzeichen des Marktes ein Gegengewicht zur Kirche St. Elisabeth am anderen Ende der Centrumstraße.

Großer Wandertag für Architektur-Interessierte

© Foto: Martin Herbaty

Die Halle ist zum Großteil im Boden versenkt. Durch die Rundumverglasung des sichtbaren Baukörpers schwebt die auskragende Dachscheibe optisch über dem Gebäude. Die Dachträger aus Leimholzbindern ermöglichten eine kompakte Konstruktion. Zugleich ermöglicht die Fassade durch Ein- und Ausblicke und Spiegelungen Wechselwirkungen mit der Umgebung – und die gehört zum Gesamtkonzept: Postbauer-Heng hat in diesem Bereich insgesamt 10 Hektar bereit gestellt. Wenn am 14. Juli der neue Park um die Halle fertig ist, fügt sich der Bau optimal ins Ortsbild ein.

Robuster Sichtbeton in den Funktions- und Nebenräumen und die Prallwände mit Schallschutz sind in leuchtendem Rot gehalten: "Das steht für Dynamik, Aktivität und Sport", so Architekt Dimitrios Kogios. Die abgehängte Holzdecke beruhigt den Innenraum optisch und akustisch.

Im Vorfeld hatten Bürgermeister Horst Kratzer und der Gemeinderat 20 Sporthallen in ganz Bayern besichtigt. Im Wettbewerb überzeugte der asp-Entwurf: "Und das Rot stand von Anfang an fest, das wollten wir so", so Kratzer. Seit einem Jahr in Betrieb, wird die Sporthalle zur Hälfte von der Schule genutzt, und zur Hälfte von den Vereinen, die Ideen einbringen konnten. Viele daraus entstandene Details haben sich seitdem bewährt und sind ästhetisch gelungen: So die stützenlosen Betonbänke und die in die Wände eingelassenen Spiegel in den Umkleiden.

Stolz ist Horst Kratzer auf den 100 m² großen Multifunktionsraum, der Tageslicht von zwei Seiten erhält: Er wird von den zehn Ganztagesklassen der Schule und den Vereinen etwa für Aerobic, Yoga oder Bouldern genutzt.

In Breitenbrunn standen zwei Gebäude am unteren Markt für die Architektouren offen. Eine besondere Lösung fand hier das Architekturbüro Kühnlein für das 1723 erbaute Jurahaus am Unteren Markt: Das historische Baudenkmal wird heute als Feuerwehrhaus genutzt. Das Gebäude verfügt über umfangreiche bauzeitliche Substanz, nicht nur Wände und Dachstuhl, sondern auch Gewölbe, Balken-Bohlen-Decken, Stuckdecken, Bodenbeläge und Fenster. Durch den Einbau eines Aufzuges ist ein barrierefreies Haus entstanden. In einem bundesweiten Wettbewerb wurde diese Sanierung und Umnutzung als beispielhaftes Projekt ausgewählt.

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