"Gute Architektur ist kein Luxus"

21.9.2018, 14:05 Uhr

© Foto: Martin Herbaty

Die Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr Ilse Aigner hatte kurzfristig abgesagt. An ihrer Stelle kam Ministerialdirigentin Brigitta Brunner, die als ehemalige Regierungspräsidentin der Oberpfalz die Region gut kennt. Weitere Teilnehmer der von Violetta Paprotta moderierten Runde waren Finanz- und Heimatminister Albert Füracker, Landrat Willibald Gailler, OB Thomas Thumann und Marion Resch-Heckel, Vizepräsidentin der Bayerischen Architektenkammer. Im Publikum waren neben zahlreichen interessierten Bürgen auch Vertreter der Kommunen und der Baubranche stark vertreten.

"Bauen ist ein Thema hier in Neumarkt", so Gastgeber Johannes Berschneider, und zählte die brennendsten Probleme in Bayern auf: Flächenfraß und Infrastrukturprobleme, aussterbende Innenstädte, den Wettstreit zwischen Wohnen und Gewerbe und den Mangel an bezahlbaren Wohnraum. "Gute Architektur ist kein Luxus" betonte Ilse Aigner in einer Videobotschaft an das Publikum. Sie sei vielmehr wichtiger Standortfaktor für eine lebenswerte Umgebung. Dabei lobte sie Neumarkt als "Ort vorbildlich gelebter Baukultur".

Steigende Baupreise und der starke Zuzug – allein eine halbe Million Einwohner zusätzlich in den vergangenen Jahren – erzeugten allerdings bayernweit Handlungsdruck. Es gelte, mehr und effizienter zu bauen, auch auf dem Land. Ihr erst kürzlich aus der Taufe gehobenes Ministerium habe eine Fülle von Maßnahmen gestartet, so Aigner. Die im Juli gegründete Wohnungsbaugesellschaft BayernHeim soll in den nächsten Jahren 10 000 Wohnungen für einkommensschwache Bürger bauen. Privatvorhaben werden durch die bayerische Eigenheimzulage und das Baukindergeld Plus gefördert. Zum sparsamen Umgang mit der Ressource Boden anregen sollen eine zusätzliche Förderung von bis zu 90 Prozent für das Beleben von Ortskernen und eine Entsiegelungsprämie.

Brigitta Brunner hob hervor, dass der Freistaat mit einem Investitionsvolumen von jährlich 1,6 Milliarden Euro einer der größten Auftraggeber der Baubranche sei. Ein weiteres wichtiges Steuerungsinstrument ist die Städtebauförderung mit heuer 444 Millionen Euro. 70 Prozent davon gehen in den ländlichen Raum. So seien in Niederbayern und Oberpfalz in den vergangenen fünf Jahren 365 Millionen Euro geflossen, in den Kreis Neumarkt 27,5 Millionen. Mit 868 Millionen Euro für die Wohnraumförderung habe die Regierung auch Verlässlichkeit für den sozialen Wohnungsbau geschaffen. Private Vorhaben in Niederbayern und der Oberpfalz seien dank geänderter Bemessungsgrenzen in den vergangenen fünf Jahren mit 430 Millionen Euro gefördert worden.

Positiv Brunners Bilanz auch beim Flächenverbrauch: Hier sank der tägliche Verbrauch von ehemals 9,8 ha auf heute 6,8 ha, und er soll weiter sinken. Allerdings ergibt sich hier ein Spannungsfeld, denn für den Wohnungsbau werden aktuell 4,8 ha pro Tag benötigt. Sowohl Brunner als auch Resch-Heckel begrüßten das neue Ministerium, es sei auf Augenhöhe mit den anderen und mit über 10 000 Mitarbeitern in 22 nachgeordneten Behörden gut aufgestellt. Nach wie vor seien die Mitarbeiter Ansprechpartner für Bauherren, Planer und Kommunen. "Die Oberste Baubehörde ist quicklebendig", so Brunner.

Gut aufgestellt sei Gailler zufolge auch Neumarkt als "Wachstumslandkreis" im Hinblick auf Wirtschaft und Bevölkerungsentwicklung. Ein erwartetes Einwohnerplus von 4,7 Prozent bis 2036 bedeute weiteren Bedarf an Wohn- und Gewerbegebieten. Hohe Lebensqualität und vorausschauendes Handeln der Kommunen seien eine gute Ausgangssituation. Keine Kommune sei "vom Aussterben bedroht", sagte er mi Blick auf Leerstände. Auch die starken Preisunterschiede zwischen Stadt Neumarkt und Umland spielten hier eine Rolle.

Grundstückspreise von bis 500 Euro pro Quadratmeter bereiten eher Thomas Thumann Sorge. Neumarkt ist in den vergangenen drei Jahren um 2000 Einwohner gewachsen: "die brauchen Wohnraum". Hier steuere die Stadt mit Sanierungszuschüssen und günstigem Bauland gegen. Wichtig ist ihm, dass das Stadtbild im Kern erhalten bleibt – draußen seien mehr Freiheiten möglich.

Brunner begrüßte die Stärkung ländlicher Kommunen und verwies auf die Initiative "Innen statt außen". Hier erhalten Kommunen für Maßnahmen in den Ortskernen 20 Prozent zusätzliche Förderung. Seit dem Frühling wurden damit in der Oberpfalz bereits 30 Projekte bezuschusst. BayernHeim hat inzwischen in 40 Kommunen Projekte gestartet. Lösungen wie serielles Bauen sollen die Kosten senken und das Bautempo erhöhen.

Auf Paprottas Frage, ob eine zentrale Planung nicht besser für den Erhalt der Landschaft in Bayern wäre, kam von Füracker ein entschiedenes Nein: Der Landesentwicklungsplan gebe die Rahmenbedingungen vor. Doch ob und wo ein Gewerbegebiet ausgewiesen werde, könnten am besten die entscheiden, die dort lebten. Bayern brauche Arbeitsplätze, und die müssten in die Fläche, so auch die Enquete-Kommission des Landtags für die Gleichartigkeit von Lebensverhältnissen.

Resch-Heckel wies darauf hin, dass die Gemeinden große Spielräume hätten. Hier könnten und sollten Architekten die Kommunalpolitiker unterstützen. Gewerbeansiedlung ließe sich durch die Neunutzung vorhandener Flächen verträglich gestalten. Problem vieler Kommunen in Randlagen sei, dass es in den Verwaltungen keine Planungsexpertise mehr gebe. Hier sei das Know-how von Architekten auch bei der übergreifenden Planung gefragt. Im Landkreis sah Gailler diese Zusammenarbeit bereits gut umgesetzt. Gerade bei der Nachverdichtung historischer Ortskerne würden vorbildhafte Beispiele Bürger zu qualitätsvollen Lösungen inspirieren.

Die personelle Kapazität der Bauämter ist Thumann zufolge auch in Neumarkt ein limitierender Faktor. Im aktuellen Bauboom sei es ein Problem, Fachleute zu bekommen. Dennoch will Neumarkt verstärkt in den sozialen Wohnungsbau investieren. Zu privater Nachverdichtung appellierte er an die Bürger, sich nicht gegen sinnvolle Maßnahmen zu wehren. Zu oft scheiterten Vorhaben an den Einsprüchen von Nachbarn.

Investoren haben im ländlichen Raum ein Wirtschaftlichkeitsproblem, da bei gleichen Baukosten die Mieten deutlich niedriger sind als in Großstädten. Förderanreize schaffen hier Abhilfe, und so seien viele Förderprogramme überzeichnet, trotz enormer Steigerung sind die Mittel für 2018 verbraucht. Füracker brachte schnellere Abschreibungsmöglichkeiten und Erleichterungen bei der Flächenabgabe ins Spiel. Ein "Riesenproblem" sei, dass sich der Staat wegen des hohen Bedarfs trotz Bauboom nicht antizyklisch verhalten könne. Unter Beifall kam er zu dem Schluss "Mit Geld allein ist es nicht repariert. Wir müssen investieren, aber lösen damit nicht alle Probleme."

Thumann schaut dennoch positiv in die Zukunft. Neumarkt hat seit 2008 5000 neue Arbeitsplätze erhalten, seine Gewerbesteuereinnahmen verdoppelt und wird nun Hochschulstandort Da die Kessellage einer Ausdehnung Grenzen setze, müsse die Stadt nachverdichten.

Wie das passiert, sorgte für Diskussion zwischen Thumann und Berschneider. Der Architekt beklagte sich, dass entlang der Ausfallstraßen die Regeln sehr eng ausgelegt würden und Planer um jeden Zentimeter feilschen müssten, während in der Bahnhofsstraße ein Großprojekt genehmigt werde, das das Bild der Bahnhofstraße verändere: "Da orientiert man sich an diesem granatenschlechten Betonbau am Anfang der Bahnhofstraße, und in der Nürnberger Straße werden dafür Zwergerlhäuser gebaut." Laut Thumann habe der Bausenat den möglichen kompletten Wandel der Bahnhofstraße bewusst akzeptiert, um der Entwicklung nicht im Wge zu stehen.

Aigner: "Vorbildliche

Baukultur" in Neumarkt

OB: Im Kern ist der Erhalt

des Stadtbilds wichtig.

Füracker sagt nein zu

zentraler Planung.

"Mit Geld allein ist

es nicht repariert."

Diskussion um Projekt

in der Bahnhofstraße

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