Jährlich über 100 Fälle von häuslicher Gewalt

3.6.2014, 16:00 Uhr
Jährlich über 100 Fälle von häuslicher Gewalt

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Das ist nur die Spitze des Eisberges. Sagt Neumarkts Polizeichef Helmut Lukas, als er die Zahlen auf den Tisch legt, die in der Inspektion über Gewalt in den Familien gesammelt werden. Soll heißen, nicht jeder Mensch, dem zu Hause Gewalt widerfährt, geht auch zur Polizei, um dies dort anzuzeigen. „Da muss viel zusammenkommen, bis manches öffentlich wird“, sagt Daniela Herbrecher von der Gleichstellungsstelle im Neumarkter Landratsamt.

Oder sämtliche Sicherungen brennen durch: Wie im Fall des jungen Familienvaters, der in einem Ort im westlichen Landkreis am Wochenende seine beiden Buben mit dem Messer attackierte und verletzte, dann mit dem Messer auch auf die Polizisten losging, die dazwischen gehen wollten. Wobei das Motiv des Mannes, die Hintergründe für sein Tun, derzeit noch nicht bekannt sind.

Verschiedene Kategorien

Die Behörden unterscheiden bei Gewalt daheim drei Kategorien: Unter häusliche Gewalt wird eingeordnet, was zwischen Ehe- oder Lebenspartnern vorfällt. 2013 gab es 122 Fälle, heuer sind es bereits 40. Familiengewalt nennt sich die nächste Kategorie: Da werden Kinder von ihren Eltern malträtiert oder sie schlagen sich untereinander. 2013 gab es 19 Fälle, heuer schon zehn. Ergänzt wird dies um Gewalt gegen Polizisten, die schlichten sollen und dabei attackiert, angespuckt, beleidigt oder getreten werden. 2013 waren es 22 Fälle, heuer sechs.

Jährlich über 100 Fälle von häuslicher Gewalt

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Der Landkreis Neumarkt ist mit diesen Fallzahlen kein Hort der Seligkeit, fällt aber auch nicht aus dem Landesschnitt, sagt Daniela Herbrecher. Vom einfachen Arbeiter bis zum Oberarzt reicht die Klientel, die auffällig wird. Mit einem Unterschied: Durch viel Informations- und Aufklärungsarbeit schauen heute die Nachbarn nicht nur genau hin, was nebenan passiert, sondern machen auch den Mund auf. Und weil die Betroffenen der Gewalt von einem inzwischen vorhandenen, umfangreichen Netzwerk wissen, das sie auch anonym auffängt, trauen sich mehr, aus ihrem oft goldenen Gefängnis auszubrechen.

Denn Gewalt ist es nicht nur, sagt Herbrecher, Menschen zu schlagen. Das kann auch durch Worte geschehen oder, besonders perfide, dadurch, dass Männer Frauen von sich wirtschaftlich abhängig machen. Herbrecher: „Die Frau geht zwar arbeiten und verdient, doch sie sieht nur ein kleines Taschengeld.“ Aus solchen Beziehungen auszubrechen, gelingt nur schwer und dann durch Trennung.

Beziehungen, in denen Gewalt regiert, produzieren Nachahmer. Das Kind muss nicht geschlagen werden, sagt Herbrecher, es reicht, wenn es sieht, wie der Vater die Mutter, für kleine Kinder die starke Figur im Leben, an der sie sich orientieren, schlägt. Solche Kindern müssen therapiert werden, damit sie das Erlebte richtig einordnen können und in ihrem späteren Leben nicht einmal selbst zuschlagen. Weil sie es als Verhaltensmuster gesehen und aufgenommen haben.

Um allen von Gewalt Betroffenen weiter zu helfen, bereitet die Gleichstellungsbeauftragte derzeit ein Faltblatt vor, in dem alle Angebote vorgestellt werden. Denn trotz aller gesellschaftlichen Aufgeklärtheit ist das Phänomen Gewalt aus der Kernzelle jeder Gesellschaft, der Familie, nicht verschwunden. Doch gerade „in der eigenen Familie lerne ich, wie ich meine Konflikte in der großen, weiten Welt austragen kann“. Und da sollte es nicht Gewalt sein, die als Lösungsansatz auch noch auf der Agenda steht. Denn Gewalt produziert Gewalt, über Generationen hinweg. Und traumatisierte Menschen.

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