KZ-Häftlinge riskierten für ein Huhn ihr Leben

17.4.2015, 09:30 Uhr
KZ-Häftlinge riskierten für ein Huhn ihr Leben

© Foto: Jutta Riedel

Ein hungriger KZ-Häftling hatte in Lauterhofen ein Huhn gestohlen und gerupft. Deswegen wurde er an der Alten Sulzbacher Straße von einem SS-Wachmann erschossen – zuvor musste er noch sein eigenes Grab schaufeln.

Flüchtende Gefangene, die „zusammengedroschen“ oder von Hunden zu Tode gehetzt wurden, Entkräftete, die am Wegesrand liquidiert wurden. Von schrecklichen Szenen berichteten einige ältere Lauterhofener unlängst bei einem Vortragsabend im vollen Pfarrheim. Hierzu hatte Pfarrer Gerhard Ehrl den Historiker Matthias Rittner von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, zu dessen Außenlagern Hersbruck zählte, eingeladen. Auch konnten viele heimische Zeitzeugen ihre persönlichen Erinnerungen an die Todesmärsche beisteuern (wir berichteten).

Die „Lauterer“ standen damals den Marschkolonnen zu je 600 Häftlingen, die in ihren Scheunen, Stadeln und auf öffentlichen Plätzen übernachteten, mehr oder weniger hilflos gegenüber. Nur wenige wussten vom KZ in Hersbruck und vom mörderischen Arbeitseinsatz im Doggerstollen bei Happurg. Zum Beispiel der Vater von Karl Graml: „Er war Postbote auf dem Land und hat über das KZ schon was erfahren, weil die Leichen in den Dörfern außerhalb von Hersbruck verbrannt wurden.“

In den wenigen Monaten seines Bestehens durchliefen etwa 10 000 Häftlinge das Lager, darunter viele Ungarn, Russen, Polen, Italiener und Franzosen. Rund 4000 Häftlinge überlebten die Tortur nicht, starben an Krankheiten oder Schwäche oder wurden von den SS-Mannschaften ermordet.

Als die Amerikaner immer näher rückten, wurde auch das Konzentrationslager in Hersbruck evakuiert. Am 5. April wurden etwa 1220 Häftlinge mit der Eisenbahn nach Dachau transportiert. Die übrigen mussten in Konvois den etwa 150 Kilometer langen Weg zu Fuß zurücklegen – die Forschung nennt diese Gefangenenzüge heute „Todesmärsche“.

Viele starben, viele flüchteten

Zwischen 7. und 13. April machten fünf oder sechs Kolonnen zu je 600 Häftlingen auf den Weg, stark bewacht und schwach auf den Füßen. Über Lauterhofen, Kallmünz, Kelheim, Abensberg, Mainburg und Pfaffenhofen nach Dachau: Hunderte starben, bevor sie ihr Ziel erreichten. Vielen gelang aber auch die Flucht.

Am Tag seiner Erstkommunion sah Karl Graml die ersten Häftlinge nahe Lauterhofen: „An der Wilfertshofener Linde. Das war, als wir Kommunionkinder mit dem Pfarrer am Kalvarienberg den Kreuzweg gebetet hatten.“

In geschlossenen Abteilungen seien die Sträflinge von Gebertshofen her in den Ort gekommen. Dort wurden sie aufgeteilt: „Die eine Gruppe lagerte an der Lauterach und zog dann nach Schmidmühlen weiter“, sagt Graml, der vor zehn Jahren als erster einen Aufsatz über die Todesmärsche in Lauterhofen veröffentlichte. „Die andere rastete am Bahnhof, für die ging es in Richtung Parsberg weiter. Beide Gruppe haben sich dann bei Hemau wieder getroffen.“

Neugierige Kinder näherten sich den Gefangenen am Bahnhof. Auch der zehnjährige Karl Graml: „Ganz leise haben sie ,Hunger, Hunger‘ gesagt. Das hat auch meine Mutter mitbekommen. Sie hat einen Kessel Kartoffeln gekocht und wollte sie an die Häftlinge verteilen.“ Doch ein SS-Obersturmbannführer ging auf die Frau los. „Er drohte, sie zu erschießen. Doch auf unser Bitten hin durften wir dann doch wenigstens diese Kartoffeln ausgeben. Aber nur wir Kinder durften zu ihnen hin.“

Eine Lauterhofenerin erinnert sich daran, wie Häftlinge in der Scheune neben ihrem Elternhaus übernachteten und sich ihr Kochgeschirr am Getreidespeicher mit Weizen füllten. Am nächsten Tag mussten sie zum Appell antreten und wurden auf der Straße durchgezählt. „Einer hat gefehlt, der hatte sich auf dem Heuboden versteckt. Den haben sie von da wieder runter geholt.“

Nur zwei Episoden im Zusammenhang mit dem Durchzug der Gemarterten, über den auch in Lauterhofen jahrzehntelang nicht gesprochen wurde. In manchen Orten entlang der Marschroute fällt es Augenzeugen oder ihren Nachkommen heute noch schwer, über dieses unangenehme Kapitel ihrer Ortsgeschichte zu reden.

Denkmal am Bahnhof?

Das musste Heimatpfleger Ernst Olav im Raum Parsberg erleben, den auch viele KZ-Insassen passiert haben müssen. „Zudem sind hier viele Archivunterlagen über diese Zeit verloren gegangen“, sagt Olav. Ihm sei aber berichtet worden, dass Häftlinge zum Bahnhof in Seubersdorf getrieben wurden.

Verbürgt ist, dass die Kolonnen durch Velburg kamen. Ortsheimatpfleger Ottfried Schmidt verweist auf einen Satz im 2010 zum Stadtjubiläum aufgelegten „Stadtbuch“.

Demnach zogen, so berichteten alte Velburger, im April des Jahres 1945 neben einer Kolonne des Reichsarbeitsdienstes auch Häftlinge durch das Städtchen. „Vor allem Russen und Franzosen.“

Die meisten Augenzeugen des Todesmärsche sind bereits verstorben. Karl Graml möchte etwas gegen das Vergessen tun und nun beim alten Bahnhof von Lauterhofen eine kleines Denkmal errichten. Wenn die Gemeinde mitspielt.

Schon auf das Grab des erschossenen KZ-Häftlings an der Alten Sulzbacher Straße stellten die Lauterhofener seinerzeit ein Flurkreuz. Doch wurde der Leichnam bereits kurz nach Kriegsende umgebettet und auf dem Soldatenfriedhof von Lauterhofen bestattet.

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