Marie Graf lebt für das Schwimmen

11.8.2017, 14:08 Uhr
Marie Graf lebt für das Schwimmen
Marie Graf lebt für das Schwimmen

© Fotos: Benesch/DSV

Wie weit 14 Kilometer sind? Vom Neumarkter Rathaus bis ins Zentrum von Mühlhausen. Diese Strecke schwimmt Marie Graf an manchen Tagen. Nein, nicht jede ihrer neun bis elf Einheiten in der Woche geht über 14 Kilometer, "aber wenn das auf meinem Plan steht", sagt die 18-Jährige, "dann sagen die anderen: ,Bin ich froh, dass ich nicht Langstrecke mache.‘"

Marie Graf ist Schwimmerin im Leistungsteam der SG Mittelfranken bei Trainer Roland Böller. Mit zwölf Jahren kam sie nach Erlangen, sie stammt aus Obersdorf, einem 200-Einwohner-Dorf in der Oberpfalz. Dort begann sie bei ihrer Mutter das Schwimmen; erst einmal lernen, nicht unterzugehen, dann das Seepferdchen und so weiter.

"Zu jung fürs Internat"

"Ich konnte nicht genug bekommen", sagt sie. Und weil das kleine Mädchen im kleinen Schwimmverein bald allen davon schwamm – auch den Erwachsenen – sagte der Trainer irgendwann: Weiter als bis hierhin wirst du bei uns nie kommen.

Also haben sie überlegt, wohin der Weg führen könnte. Bertolt-Brecht-Sportschule, Internat, Leistungssport? "Ich war mit zwölf Jahren zu jung fürs Internat, die haben mich nicht aufgenommen." Obwohl sie die erforderlichen Zeiten in der Aufnahmeprüfung einhielt. Roland Böller schaltete sich ein, bot eine Schwimmer-WG an – 45 Minuten Pendeln mehrfach am Tag wäre nicht zumutbar gewesen. Also zog Marie Graf von zu Hause aus, aus Liebe zum Schwimmen. Mit Zwölf.

"Ich war die Jüngste und die Kleinste. Meine Schwimmpläne hatten die geringste Intensität, alle haben sich rührend um mich gekümmert." Anfangs ist auch die Mutter dabei, doch bald stand ihre Tochter selbstständig im Leben. "Die alten Freundinnen waren neidisch, weil ich ja so lange aufbleiben konnte, wie ich wollte." Andere Schwimmer passten auf sie auf, Lukas Sterner zum Beispiel, der wie ein großer Bruder wurde. "Ich hatte wenig Heimweh nach meiner Familie", sagt Marie Graf, "ich hatte ja jetzt meine Schwimmfamilie."

Jedes Wochenende fährt sie bis heute nach Hause, besucht die Schreinerei ihrer Eltern, den vier Jahre älteren Bruder, der noch zu Hause wohnt. "Wir haben alle ein super Verhältnis", sagt sie, "aber mein Leben ist eben eines für das Schwimmen." Sie macht Abitur, schwimmt vor der Schule, nach der Schule, manchmal diese 14 Kilometer.

Sie wird im Schwimmbecken erwachsen. "Heute", sagt Marie Graf, "bin ich eine der Ältesten." Und die einzige der SG Mittelfranken, die auch außerhalb der Schwimmhallen ins Wasser steigt. Zwei Mal nahm sie an deutschen Meisterschaften im Freiwasserschwimmen teil, in der Sportart, die ihr eigentlich auch ein wenig Angst macht. "Wenn man schwimmt, den Boden nicht sehen kann, alles schwarz ist unter dir, das ist manchmal gruselig." Zehn Kilometer war die Strecke lang, die Graf am Wochenende bei den Europameisterschaften in Marseille zurücklegen musste, im Hafenbecken.

Zum Glück keine Quallen, zum Glück konnte man den Grund erkennen. Acht Runden waren es um eine Boje herum im Salzwasser, das ihr schon beim Testschwimmen einen trockenen Mund und unglaublichen Durst bescherte. Eine Strecke, so lang wie zwischen Erlangen-Zentrum und Baiersdorf-Nord – um Medaillen, gegen die besten Langstreckenschwimmer Europas in ihrer Altersklasse.

Am Samstag sprang sie mit 30 weiteren also in dieses Wasser, nicht wie im Schwimmbad, jeder brav auf seiner Bahn, immer dieser schwarzen Linie hinterher. Nein, aus dem Pulk: schlagende Arme, tretende Füße – "ich habe gleich einen Schlag abbekommen", erzählt sie, dann war die Spitzengruppe auch schon fort. "Ich wusste, es wird welche geben, deren Tempo ich nicht mitschwimmen kann", sagt Marie Graf. Die Top 20, das ist ihr Ziel. Sie spekulierte dafür auf eine zweite, langsamere Gruppe, die Orientierung bringt, Sicherheit, ein wenig Entspannung im Moment maximaler körperlicher Anstrengung. "Du hast die Wellen, die Strömung, unterschiedliche Temperaturen, es ist schwer, sich zu orientieren", sagt sie. Am einfachsten ist es, sich Füße zu suchen, die in etwa das eigene Tempo schwimmen, die Strömung, die Wellen teilen. Doch es gab keine solchen Füße. "Die zweite Gruppe war weit hinter mir, die erste zu weit vorn." Also ist sie allein geschwommen, ganz allein, vier Runden lang, beinahe die Hälfte des Rennens.

Keine Füße in Sicht

Nicht nur die Energie wich aus ihren Armen, aus den Beinen, auch der Kopf spielte bald verrückt. "Meine Beule brannte durch dieses Salzwasser, mir war furchtbar heiß", sagt sie. Ans Aufgeben aber dachte sie nicht, nach Hause wollte sie als Kind ja auch nur, wenn sie mal krank wurde. "Ich habe gemerkt, dass ich mehr drauf habe, es heute aber einfach nicht abrufen kann." Alleine im freien Wasser zu schwimmen, ist derart anstrengend, dass die Trainer später verrieten, sie hätten überlegt, Graf an der Verpflegungsstation, wo es aus dem Wasser Getränke und Energieriegel für die Schwimmer gibt, eine Minute zu parken. Doch dann, endlich, ließen ein paar aus der Spitzengruppe abreißen, Marie Graf hatte ihre Füße gefunden, die sie führten. Als 21. schlug sie abgekämpft und traurig an, nach 2:13:16,30 Stunden. Die Eltern, extra angereist, hatten sich einen Sonnenbrand geholt.

"Zwei, drei Minuten schneller hätte ich drauf gehabt", sagt Graf, "ich war schon sehr enttäuscht." Sie will diese Erfahrung jetzt in die nächste Saison mitnehmen, "das wird mein Antrieb, es besser zu machen". Vorher geht es in den Urlaub. Nach Barcelona. Auch in den Hafen, aber sicher nicht ins Hafenbecken. Drei Wochen will Marie Graf keinen Meter mehr schwimmen.

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