Postbauer-Heng: Streetworker oft der letzte Strohhalm

8.6.2017, 10:07 Uhr
Postbauer-Heng: Streetworker oft der letzte Strohhalm

© Foto: Wolfgang Fellner

Es gab zwei Kernaussagen. Die eine stammte von Frank Schmidpeter, einem der Streetworker: "Ich bin in Postbauer-Heng aufgewachsen und habe hier 24 Jahre gelebt. Aber was ich in diesem einen Jahr als Streetworker in diesem Ort erlebt habe, da war alles dabei, das war zum Teil schon krass." Deutlicher darf er nicht werden, aber die Spanne reicht von Liebesproblemen bis zum angedrohten Suizid.

Wirkung in 15 Jahren

Die andere Aussage kam von Erwin Vögerl, der sich als Marktrat früher die Jugendarbeit in Postbauer-Heng auf die Fahnen geschrieben hatte, sich vor Jahren viel um die jungen Russlanddeutschen gekümmert hatte, ihr Ansprechpartner war. "Das, was sie heute leisten", sagte er mit Blick auf die Streetworker, "das werden wir erst in zehn oder 15 Jahren ernten." Er treffe heute noch oft welche, die er seinerzeit als Jungs unter seine Fittiche genommen hatte. "Die sind jetzt 30, und erst jetzt sagen sie, was das für ein Blödsinn gewesen ist, den sie damals angestellt haben."

Die beiden Streetworker, die sich Postbauer-Heng mit Pyrbaum teilt, hatten mit Markus Ott, dem Geschäftsführer des KJR, prominente Plätze vorne bei den Bürgermeistern bekommen. Auch, um zu zeigen, dass ihre Arbeit wert geschätzt wird. Maike Wittenburg und Frank Schmidpeter wechselten sich in ihrer Präsentation ab, unterstützt von Ott und Thomas Brunner, einem weiteren Mitarbeiter in der Jugendarbeit.

Regelmäßige Treffen

Seit 2011 gibt es kommunale Jugendarbeit in der Gemeinde, im Jugendtreff namens "7", auf dem Basketball-Platz, auf der Straße, dem Bolzplatz. Komm- und Geh-Strukturen wechseln sich ab, es gibt regelmäßige Treffs im "7" oder einer der beiden packt den Basketball in den Rucksack und sucht die Jugendlichen, die Zuspruch brauchen. Denn um die geht es: Die Suchtmittel, vom Alkohol über Cannabis bis hin zu Crystal missbrauchen, die Schulden haben, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen.

Und die zwischen 14 und 27 Jahre alt sind, also in einem Lebensabschnitt vor, mitten drin und nach der Pubertät, auf der Suche nach dem eigenen Weg. Denen aber zuhause der Ansprechpartner fehlt. Das sei gar nicht böse gemeint, "aber wenn beide arbeiten, wer hat dann ein Ohr für die Kinder oder sagt net bloß, so geht’s nicht". Markus Ott definierte das so: "Heute wird das Weitergeben von Werten und das Erziehen schon an die Kita abgegeben. Danach an den Kindergarten, dann an die Schule."

"Die wollen sich aber nicht bei ihrem Kumpel auskotzen, sondern mit einem Erwachsenen reden", sagte Frank Schmidpeter. Dafür sei er da, zuzuhören, Probleme lösen zu helfen. Hunderte von Gesprächen werden pro Jahr geführt. Vom Liebeskummer bis hin zu "dem Jungen, der mit einem Schuhkarton voller ungeöffneter Briefe kam" reicht die Bandbreite, sagte Maike Wittenburg: Handyrechnungen, Mahnungen, Verwarnungen wegen Schulschwänzens, Androhungen von Arresten. Bis der Karton abgebaut war, habe es ein dreiviertel Jahr gedauert.

In Containern wohnen

Versteckte Obdachlosigkeit gibt es auch in Postbauer-Heng, sagten beide. In drei Fällen haben sie schon Betroffene in Containern untergebracht, "das ist ganz schlimm, da will keiner hin". Aber, sagte Wittenburg: Ab dem 18. Lebensjahr können Eltern ihre Kinder vor die Türe setzen – die Kommune muss sich dann darum kümmern, dass sie wieder ein Dach über dem Kopf bekommen. In manchen Fällen, sagte der Streetworker, komme einer und gestehe, seit Tagen nichts mehr gegessen zu haben. "Mit dem gehe ich in den Discounter und schaue, dass er für eine Woche Vorräte einkauft. Das zahlen dann wir."

Was ein Problem ist. Denn die Kasse der beiden ist minimalst ausgestattet, da geht es um ganz wenige hundert Euro. Zum Glück gebe es Spenden und auch Geschäftsleute würden ab und an großzügig aushelfen. "Ohne Spenden hätten wir im vergangenen Jahr ein sattes Minus eingefahren." Allerdings, sagte Schmidpeter auch, gebe es außerplanmäßige Ausgaben für Sonderpunkte oder Programme, dann helfe die Gemeinde regelmäßig.

Angeregte Diskussion

In der angeregten Diskussion stellte sich heraus: Einen messbaren Wert der Arbeit könne man nicht bilanzieren. "Bei manchen bin ich froh, dass sie am Ende des Jahres noch leben", sagte Schmidpeter. Die Zahlen zeigten aber trotzdem, dass das Angebot nachgefragt werde. Nachholbedarf gebe es beim Gesprächsangebot, das sei aber ihrer Stundenzahl geschuldet, sagten die beiden Streetworker.

An was es gebricht, zeigten sie auch: Der Proberaum für Bands im "7" müsste saniert und vor allem ausgestattet werden. Eine Bühne, eine Musikanlage, ein Mischpult. Außerdem müsste die Einrichtung an sich ausgebaut werden und dann kommt die Baby-Pause: Ab September ist Maike Wittenburg in Mutterschutz – für ein Jahr.

An Projekten haben die beiden bis dahin noch viel vor: Ein Filmprojekt gegen Drogenmissbrauch, Sprayer-Angebote, Mädchennachmittage und, ganz im Stil der Vorväter, einen Wandertag. Ins Gebirge, "und da soll es dann auch ein bisschen an die eigenen Leistungsgrenzen gehen", sagte Markus Ott, der mitwandern wird.

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