„USA müssen sich an unsere Rechtsprechung halten“

1.9.2014, 06:00 Uhr
„USA müssen sich an unsere Rechtsprechung halten“

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„USA müssen sich an unsere Rechtsprechung halten“

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Das US-Handelsabkommen ist ja seit Monaten international ein Reizthema. Verschiedene Studien legen den Eindruck nahe, dass das Abkommen Deutschland wirtschaftlich relativ wenig bringt. Warum der ganze Ärger und Aufwand?

Albert Deß: Es wird mit den Vereinigten Staaten kein Freihandelsabkommen geben, sondern ein Handelsabkommen. Das ist nämlich ein Riesenunterschied. Freihandel haben wir nämlich innerhalb der Europäischen Union und mit über 70 der ärmsten Länder der Welt — die dürfen alles mit uns handeln außer Waffen.

Aber warum den Ärger, wenn das Abkommen wirtschaftlich nicht viel bringt?

Deß: Ich bin trotzdem für ein Handelsabkommen, das aber Bedingungen beinhalten muss. Und diese Bedingungen müssen erfüllt werden. Wir haben durchaus Interesse, auch in die Vereinigten Staaten Produkte zu liefern. Ich bin Vorsitzender einer großen Genossenschaftsmolkerei. Und wir hätten großes Interesse daran, dass wir Emmentaler und andere hochwertige bayerische Käseprodukte in die Vereinigten Staaten liefern dürfen. Es wäre für unsere bayerischen Bauern ein Vorteil, wenn wir liefern könnten. Wir haben früher sehr viel Emmentaler in die Vereinigten Staaten geliefert, aber durch den hohen Eurokurs und Zölle der Vereinigten Staaten ist dieser Handel fast zusammengebrochen.

Ein solches Abkommen bedeutet ja auch eine Vereinheitlichung von Produktstandards. Das war bisher in der EU schon kompliziert genug. Wird jetzt nicht alles noch viel komplizierter?

Deß: Ich glaube nicht. Wenn die ärmsten Länder der Welt in der Lage sind, unsere Produktstandards einzuhalten, dann müssten auch die Vereinigten Staaten dazu in der Lage sein. Und Amerika ist ja kein Entwicklungsland. Ich bin für ein Handelsabkommen, aber unsere europäischen Standards dürfen nicht gefährdet werden.

Also wir müssen nicht um das deutsche Reinheitsgebot für Bier und um den Schutz des fränkischen Meerrettichs bangen? Was erwarten die Verbraucher?

Deß: Die Verbraucher erwarten von der Politik, dass sie unsere hohen Standards im Verbraucherschutz, im Tierschutz, im Umweltschutz in diesem Handelsabkommen einfordert. Ich sehe das ganze Abkommen wesentlich gelassener als in der öffentlichen Diskussion. In Deutschland spricht man meistens von Ängsten und wenig von Chancen. Viele Mittelständler legen großen Wert darauf, dass wir zu einheitlichen Regelungen kommen. Ein Großbetrieb oder ein Konzern kann die Bedingungen wesentlich leichter erfüllen, damit er exportieren kann. Wenn wir feste Standards haben, dann kann auch ein Mittelständler sich wesentlich leichter beteiligen.

Aber Wirtschaft ist das eine und die Rahmenbedingungen sind das andere. Man hört ja, dass mit Hilfe des TTIP nationale Gesetzgebung zum Beispiel zur Börsenaufsicht, Umwelt oder Konsumentenrecht unterlaufen werden könnte. Ist das Abkommen nicht eine undemokratische Zeitbombe?

Deß: Nein. Ich war ja bisher in dem Ausschuss des EU-Parlaments, in dem diese Abkommen besprochen werden, zum Beispiel das mit Kanada. Die Kanadier dürfen nach wie vor kein Hormonfleisch nach Europa liefern, obwohl wir mit ihnen ein Handelsabkommen haben.

. . . das könnte auch ein Vorbild für das US-Abkommen sein?

Deß: Das EU-Parlament wird mit Sicherheit keinem Abkommen zustimmen, mit dessen Hilfe Hormonfleisch nach Europa geliefert werden könnte. Deshalb bin ich auch nicht so skeptisch, denn diejenigen, die verhandeln, müssen ein Ergebnis liefern, das vom Parlament und vom Rat akzeptiert wird. Das Parlament wird sehr genau aufpassen, was in dem Abkommen steht.

Es geht weiter mit den Bedenken: Genau betrachtet ist auch der Rechtsstaat in Gefahr. Warum will man Schiedsgerichte, wo es doch in Deutschland und anderswo in der EU ein gut funktionierendes Rechtssystem gibt?

Deß: Ich bin eben der Meinung, dass diese Schiedsgerichte nicht notwendig sind. Die müssen in dem Abkommen nicht drinstehen. Oder sie müssen auf einige wenige Fälle begrenzt werden, bei denen die normale Rechtsprechung nicht ausreicht. Ich bin kein Jurist, aber diese Themen werden von meinen Kollegen, die Juristen sind, sehr intensiv diskutiert. Wir werden da auch immer wieder nachfragen.

Es ist von nichtöffentlichen Schiedsgerichtsverfahren die Rede gewesen. Scheuen sich denn die US-Konzerne als Lobbyisten nicht, ein wichtiges Rechtsstaatsprinzip — das der öffentlichen Verhandlung — durch so einen Vertrag über den Haufen zu werfen?

Deß: Ich weiß von deutscher und von europäischer Seite, dass wir hier sehr vorsichtig sein werden. Wir haben eine gute Rechtsprechung und die Amerikaner müssen sich an unsere Rechtsprechung halten. Beim Investitionsschutz läuft es darauf hinaus, dass wir in den USA und die Amerikaner bei uns den gleichen Schutz genießen sollen. Hier wird es keine Sonderregelungen geben, sondern das, was wir mit 130 Staaten schon haben.

Nach allem, was man von den Verhandlungen hört, ist beim Investorenschutz etwas anderes zu erwarten — nämlich dass Gesetze oder Tarifabschlüsse in Frage gestellt werden können. Man hat manchmal den Eindruck, die Amerikaner richten den Vertrag auf eine beliebige Bananenrepublik aus, in der innerstaatlich nichts funktioniert . . .

Deß: Die Amerikaner können ja so vorgehen, aber damit werden sie Schiffbruch erleiden, weil wir das als Parlament nicht akzeptieren werden. Wir werden bei dem Abkommen erstens noch viel Zeit benötigen und es zweitens intensivst prüfen. Die vorhandenen Ängste werden wir genauso sorgfältig prüfen. Ich bin sehr froh, dass die Öffentlichkeit über dieses Thema diskutiert. Wir nehmen diese Einwände der Öffentlichkeit sehr ernst, aber sie müssen sachlich sein und dürfen nicht ideologisch geprägt sein.

Wie ist die Haltung der Fraktionen, speziell Ihrer Fraktion, im EU-Parlament? Die Schlüsselfrage ist ja: Ist das TTIP mehrheitsfähig?

Deß: Es ist dann mehrheitsfähig, wenn die Bedingungen passen. Wenn die Amerikaner glauben, dass sie etwas durchsetzen können, das unserem Recht widerspricht, dann wird dieses TTIP so im Parlament nicht mehrheitsfähig sein. Meine Fraktion ist mehrheitlich für ein Abkommen, in dem unsere Standards beachtet werden und die rechtliche Situation berücksichtigt wird. Europa hat noch sieben Prozent der Weltbevölkerung, mit sinkender Tendenz. Die USA fünf Prozent, zusammen haben wir zwölf Prozent. Wenn wir es nicht fertigbringen, dass wir ohne große Hemmnisse Handel betreiben, dann werden Staaten wie China und Indien uns ausspielen. Wir brauchen eine vernünftige Regelung, damit wir den weltweiten Wettbewerb mit anderen Handelsmächten bestehen können.

Würden Sie der These zustimmen, dass das TTIP beziehungsweise der Aushandlungsprozess das europäisch-amerikanische Vertrauensverhältnis belastet?

Deß: Nein, eher umgekehrt. Durch die ganzen Spionageaffären ist das Abkommen belastet.

Welche Prognosen würden Sie abgeben? Wird das TTIP irgendwann in Kraft treten und wenn ja wann?

Deß: Das Handelsabkommen wird kommen, aber nicht vor zwei Jahren. Es kann aber auch sein, dass es die ganze Legislaturperiode dauert.

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