Wie können Kommunen bei Ärzten Landlust wecken?

2.11.2015, 06:30 Uhr
Wie können Kommunen bei Ärzten Landlust wecken?

© Patrick Pleul/Archiv (dpa)

Die zusammen mit der Schule der Dorf- und Landentwicklung organisierte Veranstaltung hatte Bürgermeister Wolfgang Wild nicht ohne Grund initiiert: Berngau war überraschend mit dem Verlust der örtlichen Hausärztin konfrontiert worden und hatte nur durch einen „unglaublichen Glücksfall“, so Wild, mit Hans Tylla einen Nachfolger gefunden. Die Podiumsdiskussion sollte Bürgermeistern und Gemeinderäten aus der Region Hilfen an die Hand geben, wie sich Allgemeinmediziner in ländliche Gemeinden holen und halten lassen.

Wie können Kommunen bei Ärzten Landlust wecken?

© Foto: Martin Herbaty

Die Moderation des Abends übernahm Dr. Klaus Zeitler, der mit seinem Sozialwissenschaftlichen Institut die Gemeindeentwicklung Berngaus seit längerem begleitet. Zeitler betonte, dass ein Gleichgewicht zwischen den Erwartungen und Wünschen von Gemeinden und Ärzten gefunden werden müsse. Den demografischen Wandel sah er in doppelter Hinsicht für den Ärztemangel verantwortlich: Zum einen steigen die Patientenzahlen durch die Alterung der Bevölkerung, zum anderen sind zwei Drittel aller Ärzte in Deutschland älter als 50 Jahre. Verschärft wird die Lage auf dem Land, da junge Menschen – auch Mediziner – in die Städte abwandern.

Thomas Ewert vom Kommunalbüro für ärztliche Versorgung am Landesamt für Gesundheit warnte: Zur ungünstigen Altersstruktur der Ärzte komme hinzu, dass aktuell nur wenige Studenten die Allgemeinmedizin als Fach wählten – Korrekturmaßnahmen würden sich in frühestens zehn Jahren auswirken. Um zukunftsfähig zu bleiben, riet er Gemeinden, nicht gegeneinander um Ärzte zu konkurrieren, sondern sich zu vernetzen. Es gebe mehr weibliche als männliche Medizinstudenten, sagte er: Hier müssten die Gemeinden übergreifend eine attraktive Infrastruktur etwa bei der Kinderbetreuung schaffen.

Bernhard Kraus meinte, zwischen den Gemeinden „wird ein Wettbewerb eintreten, da wird jeder Bürgermeister seine Beziehungen knüpfen, um möglichst schnell an einen Arzt zu kommen.“ Gerade finanzschwache Gemeinden in Randlagen hätten künftig höchste Not, die Basisversorgung sicherzustellen. Von der Politik forderte er, die Zahl der Hausärzte zu erhöhen, um das Versorgungsmodell aufrechtzuerhalten. Vor Ort gelte es etwa über die Städtebauförderung, jungen Ärzten entgegenzukommen.

„Wir wissen, dass wir ein hochgehandeltes Gut sind“, meinte Marco Roos vom Fachverband Junge Allgemeinmedizin Deutschland. Einerseits gelte der Allgemeinarzt vielen Medizinstudenten als geringwertiger als andere Fachgruppen. Andererseits habe der ländliche Raum bei Nachwuchsmedizinern ein schlechtes Image, zumal es kaum noch ländliche Lehrkrankenhäuser gebe.

Er riet den Gemeinden, Kontakt zu Unis zu suchen und so Studenten Gelegenheit zu geben, das Land und die Lebensqualität kennenzulernen. Dazu müssten Gemeinden nicht nur jungen Ärzten, sondern auch deren Partnern Berufs- und Lebensperspektiven bieten. „Willkommensgeschenke“ wie günstiges Bauland seien nicht der richtige Weg.

Hans Tylla, der zuvor 13 Jahre als Internist am Klinikum Neumarkt war, betonte anhand seiner eigenen Geschichte, dass der Weg aufs Land eine sehr individuelle Entscheidung und zugleich eine fürs Leben sei. Bei ihm hatte der enge Kontakt über Freunde und Bekannte nach Berngau den Ausschlag gegeben.

Attraktivität wichtig

Laut Wolfgang Wild sei Beleg dafür, wie wichtig die weichen Standortfaktoren für Kommunen werden, und nannte das Berngauer Generationennetzwerk als Beispiel. Thomas Ewert wies auf bayerische Förderprogramme hin wie die Niederlassungsförderung für Gemeinden unter 120 000 Einwohnern oder Stipendien für Jungärzte. Auch er war sich sicher: „Wenn wir keine staatlich gelenkte Medizin wollen, geht es nur über mehr Attraktivität.“

Wolfgang Bärtl von der KV Bayern und Vorsitzender des Bayerischen Facharztverbands sagte, junge Mediziner wollten heute im Team arbeiten. Auch Roos hielt Ideen wie Teampraxen oder die Anstellung von Ärzten für erfolgversprechend. So könnten junge Ärzte Erfahrungen sammeln und leichter den Sprung in die Selbstständigkeit wagen.

Optimierungsmöglichkeiten sah Roos bei der Zusammenarbeit zwischen Allgemein- und Fachärzten, Apotheken und anderen Gesundheitsdienstleistern. Angesichts der absehbaren Lücke sind für ihn Versorgungszentren eine mögliche Alternative.

In der Diskussion mit dem Publikum zeigte sich, dass politische Entscheidungen und Realität oft nicht zusammenpassen. So droht etwa einer Amberger Kommune der dauerhafte Verlust des Arztsitzes, weil sie per Federstrich einem überversorgten Bereich zugeschlagen wurde. Zudem hemmen mangelnde Vorlaufzeiten kommunale Entscheider. Bernhard Kraus wünschte sich deshalb eine bessere Kommunikation zwischen Bürgermeistern und Ärzteschaft.

Rund 30 Prozent der Medizinstudenten wünschen sich, in die lokale Gemeinschaft eingebunden die Patienten langfristig und generationsübergreifend zu behandeln. Doch weniger als zehn Prozent entscheiden sich für die Allgemeinmedizin, noch weniger für das Land. Roos verwies auf Initiativen wie die Vermittlungsplattform des Bayerischen Hausärzteverbands oder die Initiative „Ärzte schnuppern Landluft“. Bärtl empfahl, mit Medizinstudenten aus der Region Kontakt zu halten. Die hohe, manchen Interessenten abschreckende Dienstbelastung gerade auf dem Land sah er durch die Bereitschaftsdienstreform in Bayern weitgehend behoben.

 

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