NSU-Waffenlieferant: Freispruch für Carsten S. gefordert

2.5.2018, 21:06 Uhr
Der mutmaßlichen NSU-Waffenbeschaffer Carsten S. hat am Mittwoch vor Gericht ein umfassendes Geständnis abgelegt. Sein Verteidiger forderte Freispruch.

© Tobias Hase/dpa Der mutmaßlichen NSU-Waffenbeschaffer Carsten S. hat am Mittwoch vor Gericht ein umfassendes Geständnis abgelegt. Sein Verteidiger forderte Freispruch.

In seinem ersten Leben, bis etwa Ende 2000, gehörte Carsten S. zur rechtsextremen Szene in Jena – wie auch die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie Beate Zschäpe. In seinem zweiten Leben danach arbeitete er als Sozialpädagoge in Düsseldorf und fand Anschluss in der Schwulenszene der Stadt. Dann aber, im November 2011, holte ihn das erste Leben mit einem Schlag ein: Der "Nationalsozialistische Untergrund" flog auf. Carsten S. habe mit einem "Weinzusammenbruch" in seiner Küche gesessen, sagt am Mittwoch sein Verteidiger Jacob Hösl in seinem Plädoyer im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.

Erst da sei seinem Mandanten klar geworden, dass er in seinem ersten Leben genau die Waffe geliefert haben könnte, mit der die NSU-Terroristen neun Menschen umbrachten. Genau dafür ist er auch im NSU-Prozess angeklagt – wegen Beihilfe zum neunfachen Mord. Ein Vorwurf im strafrechtlichen Sinne könne ihm aber nicht gemacht werden, plädiert Hösl. Es fehle der "bedingte Vorsatz", weshalb Carsten S. freizusprechen sei. S. habe auch nichts von den Mordplänen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" gewusst. Die Bundesanwaltschaft hat für Carsten S. dagegen drei Jahre Jugendstrafe gefordert.

Auf der Suche nach Anerkennung

Ein zentrales Argument, das sich durch Hösls Plädoyer zieht, lautet: S. sei eigentlich gar kein ideologisch gefestigter Neonazi gewesen. Er sei aus ganz anderen als politischen Gründen zur rechtsextremen Szene gestoßen. Als Jugendlicher sei er auf der Suche nach Anerkennung gewesen. Er habe sich gemobbt gefühlt. Sein Stadtteil sei ein "rechter" Stadtteil gewesen. Also sei er zu den "Rechten" gestoßen. Fortan sei er respektiert und anerkannt worden. So gesehen habe er sich nur "sozial adäquat" verhalten.

Dass Carsten S. in der Hierarchie schnell aufstieg, sei dazu kein Widerspruch – er wurde immerhin thüringischer Landesvorsitzender der "Jungen Nationaldemokraten" und zudem Funktionär in der Mutterpartei NPD. Da sei es seine Aufgabe gewesen, Nachwuchs zu gewinnen, und zwar vor allem über "emotionale" Anreize, mit Nachtwanderungen oder Konzerten, erst in zweiter Linie mit Politik.

Nebenkläger honorierten Aussage

Mit "Inhalten" habe er sich kaum auseinandergesetzt, ergänzt Johannes Pausch, der zweite Verteidiger von Carsten S. Wichtig sei ihm der "Spaßfaktor" gewesen – der habe 70 Prozent ausgemacht, der politische Teil dagegen nur 30 Prozent. Mit seinem Ausstieg aus der Szene, dem Umzug nach Düsseldorf und dem Beginn seiner Ausbildung habe sein Mandant dann begonnen, zu verdrängen – oder genauer: "das Gehirn" habe verdrängt, wie es das naturgegeben tue.

Als der NSU aufflog, habe er sich sofort entschieden, offen und vollständig auszusagen. Tatsächlich ist Carsten S. der einzige der fünf Angeklagten im NSU-Prozess, der ein Geständnis ablegte und sämtliche Fragen beantwortete – auch die der Opfer-Vertreter in der Nebenklage. So schilderte er detailliert, wie er die mutmaßliche Mordwaffe vom Typ "Ceska" in einem Szeneladen abholte und zu Mundlos und Böhnhardt nach Chemnitz brachte. Mehrere Nebenkläger – NSU-Opfer und ihre Anwälte – honorierten das. Sie nahmen Carsten S. seine Reue ab. Mit der Witwe und den Töchtern des in München ermordeten Theodoros Boulgarides hat sich Carsten S. sogar persönlich getroffen. Auch sie nahmen seine Entschuldigung an.