1. April 1965: Nackt auf dem Markt

1.4.2015, 07:00 Uhr
1. April 1965: Nackt auf dem Markt

© Gerardi

Damit hat sich leider bewahrheitet, was bisher nur als Gerücht in gewissen eingeweihten Kreisen kursierte. Man war im Bauhof schon seit langem nicht eben glücklich über die „Steinwüste“ des Hauptmarkts. Gesprächsweise wurde von den maßgebenden Männern immer wieder beklagt, daß der Platz eines natürlichen Mittelpunktes entbehre.

Am liebsten hätte man den Neptunbrunnen wieder aus dem Stadtpark hierher zurückversetzt, doch fürchtete man offenbar den Volkszorn über die vergeudeten Steuergelder. Nun glaubt man, in der hüllenlosen Göttin einen künstlerisch und finanziell tragbaren Kompromiß gefunden zu haben.

Verbrechen an Alt-Nürnberg

Wir sind völlig anderer Meinung und möchten aus unserem Herzen keine Mördergrube machen, um nicht mitschuldig zu werden an diesem eklatanten Mißgriff, an diesem – hier scheinen uns nur die stärksten Worte angebracht – Verbrechen am Geiste Alt-Nürnbergs. Das Kunstwerk selbst steht hier gar nicht zur Debatte.

Wir haben nichts gegen Göttinnen, auch nicht gegen nackte. In einem Park oder am Rande einer neuen Sportanlage mag die Figur als Symbol des „mens sana in corpore sano“ durchaus am Platz sein. Am Hauptmarkt ist sie es nicht. Vor der Fassade der altehrwürdigen Kirche zu Unserer Lieben Frau, neben dem Schönen Brunnen und unter den Turmhelmen von St. Sebald wirkt sie wie die bewußte Faust aufs Auge. Eine unsagbare Geschmacklosigkeit. Wir haben mit dieser unserer Meinung auch nicht gegenüber den verantwortlichen Männern hinter dem Berg gehalten, die gestern bei der Aufstellung des Modells zugegen waren: dem Baureferenten Stadtrat Heinz Schmeißner, dem Chef des Hochbauamtes, Baudirektor Otto-Peter Görl, und dem Leiter der Denkmalspflege, Baudirektor Harald Clauß.

„Eine wahre Schnapsidee“

Noch deutlicher sprachen es freilich die Nürnberger aus, die zufällig des Wegs kamen. Da reichte die Skala der Urteile von: „Eine wahre Schnapsidee!“ bis zur „Marktfrau oben ohne“. Die Leute wußten einfach nicht, sollten sie lachen oder schimpfen. Als sie aus halben Sätzen und Andeutungen der Fachleute erfuhren, daß die Figur tatsächlich hier, auf dem Hauptmarkt, aufgestellt werden soll, da war die Empörung über diese „Verschandelung“ freilich einhellig.

Das Modell bleibt noch heute auf seinem provisorischen Podest stehen. (Ein guter Rat: zumindest nachts dürfte es sich empfehlen, das Gipsgebilde gut zu bewachen!) Man will die Einstellung der Bevölkerung testen. Wir sind sicher, daß das Urteil vernichtend ausfallen wird. Schon melden auch zahlreiche Organisationen Einsprüche und Bedenken aus.

Die „Vereinigung der Freunde der Altstadt“ veranstaltet heute um 15 Uhr eine flammende Protestkundgebung auf dem Hauptmarkt unter dem Motto: „Der Hauptmarkt darf kein Fleischmarkt werden!“ Wir halten sonst nicht eben viel von Mehrheitsabstimmungen über Kunstfragen. Hier aber handelt es sich nicht um Kunst, sondern um eine städtebauliche Frage, die jeden Nürnberger und jede Nürnbergerin angeht: Soll die Altstadt zum Experimentierfeld wildgewordener Kunstdilettanten werden? Rettet den Hauptmarkt.

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