1. Oktober 1965: Der Adler im großen „Vogelbauer“

1.10.2015, 07:00 Uhr
1. Oktober 1965: Der Adler im großen „Vogelbauer“

© Gerardi

Im Zoo herrscht eitel Freude über diesen Neubau, der lange auf der Wunschliste angekreuzt war. Die Vögel machten ihre ersten Flugübungen, als die kleine Festversammlung vor ihren Gittern Worte höchsten Lobes zu hören bekam. Bürgermeister Franz Haas, Baudirektor Otto-Peter Görl und Direktor Dr. Alfred Seitz dankten den Tiergartenfreunden, die den Anstoß und das Geld für diesen Flugraum gegeben haben. Angesichts eines solchen Opfersinns haben sich die Architekten – voran Baudirektor Harald Clauß und seine Mitarbeiter – mit Erfolg bemüht, den großen Tieren eine Voliere zu geben, die nicht nur wie ein aufgeblasener Vogelbauer aussieht.

In der Tat ist an alles gedacht worden, was sich so ein mächtiger Vogel mit seinen breiten Schwingen wünschen mag: genug Platz, ein kleiner Weiher zum Baden und ein elektrisch geheiztes Winterquartier. „Mit diesem schönen Bauwerk sollte es uns gelingen, bald eine jährliche Besucherzahl von einer Million zu erreichen“, meinte denn auch der Bürgermeister. Er bekam diesmal ausnahmsweise von Baudirektor Görl keinen Schlüssel überreicht, wie dies bei Hausübergaben üblich ist, denn die gefährlichen Raubvögel sind hinter Schloß und Riegel doch besser aufgehoben. Schlüssel hin, Schlüssel her – dem Tiergartendirektor ist jedenfalls wieder ein Stein vom Herzen gefallen.

Vogelschar soll größer werden

Voller Stolz wies Dr. Seitz darauf hin, daß er nun endlich Platz für 25 Vögel von zehn verschiedenen Arten hat. Das Glanzstück in dieser Sammlung ist ein alter ausgefärbter Bartgeier (auch Lämmergeier genannt), den Roland Faber von Faber-Castell gestiftet hat. Dieses Prachtexemplar zählt zu den seltensten Raubvögeln Europas. Die Austauschzentrale der Vogelliebhaber in Nürnberg steuerte einen Steppenadler bei. Zusammen mit Stein- und Kaiseradlern, Gänse- und Mönchsgeiern, einem schwarzen Milan und vier Bussarden fliegen Kolkraben als größte Singvögel der Welt in der neuen Anlage herum.

Seitz hegt die stille Hoffnung, daß diese Vogelschar nach und nach immer größer wird. Ein Jahr lang hat er die Tiere gesammelt und notdürftig untergebracht, die nun zu bestaunen sind. Sie waren selbst erst einen Tag vor der Einweihung in den Flugraum eingezogen und tüchtig gefüttert worden, damit sie sich recht gut eingewöhnen. Dabei hatten sich die Greifvögel, die nur von Laien als Raubvögel bezeichnet werden, offenbar den Bauch so vollgeschlagen, daß sie gestern den Festtagsschmaus verschmähten. Sie ließen ein Reh, das ihnen zum Fraß vorgeworfen worden war, unbeachtet liegen.

Vielleicht aber fühlten sich die Vögel auch nur von den Reden an die Festgesellschaft gestört. Da klang aber zu Recht immer wieder der Dank an die Tiergartenfreunde auf, die den Zoo erneut reich beschenkt haben. Ganz nebenbei war auch zu hören, daß sich der Tiergarten noch ein Tropenhaus wünscht. Er kann also gar nicht genug zahlungskräftige Freunde haben.

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