7. Mai 1966: Großer Spaß an kleiner "Beute"

7.5.2016, 07:00 Uhr
7. Mai 1966: Großer Spaß an kleiner

© Friedl Ulrich

"Ich glaube, wir haben heute Föhn! Ihr schlaft alle!" ruft die Versteigerin in den BRK-Saal an der Nunnenbeckstraße, in dem sonst x "Kubik" Blut gespendet, treue Helfer ausgezeichnet oder Vorträge gehalten werden, "ich soll wohl warten, bis die Geldleute kommen!" Ein Raunen geht durch die Reihen der meist älteren Damen, mit Kapotthüten aller Schattierungen bewehrt, denn sie wollen die für 60 Mark angebotene Alabasterfigur "Jugend" nicht haben. Ein schwerer Kristallkrug bringt 37 Mark, ein Kristallschiff ganze fünf Zehner; ein kompletter Besteckkasten mit 17 Vorlegeteilen, Taxpreis 500 DM, bleibt liegen.

Also zaubert die seit 1949 selbständige vereidigte und öffentlich bestellte Versteigerin sowie Schätzerin andere Schätze aus einem Haushalt hervor, der gute 40 Jahre bestanden hat und nun bis auf die letzten paar Strümpfe verflattert. Kenner picken aus der Spreu den Weizen, erwerben ein altes Service (blauweiß), eine Fayence-Vase mit Zinneinfassung, einen Teller aus der Jahrhundertwende, aber auch zwei goldene Armreife für ganze 20 Mark. "Nix ist für die Ewigkeit abonniert", sagt eine Erlangerin, die regelmäßig zu den Nachlaßversteigerungen erscheint, fasziniert von der Tatsache, daß alles, was Menschen mühsam einmal gekauft und gesammelt haben, nun in alle Winde (oder Vitrinenfenster) verstreut wird. Söhne und Töchter, die rechtmäßigen Erben also, wollen in ihren auf modischen Schmiß getrimmten Wohnungen nichts mehr wissen vom „Graffl“ ihrer Eltern; sie möchten lieber Bargeld sehen. In anderen Fällen leben Erben im Ausland oder in der Ostzone; hier läßt das Amtsgericht den Nachlaßverwalter walten: das Versteigern nimmt seinen Lauf…

7. Mai 1966: Großer Spaß an kleiner

© Friedl Ulrich

Alles, was eine Familie oder ein Einzelwesen im Laufe seines irdischen Daseins angeschafft hat, kommt unter den Hammer: Koffer, Lüster, Möbel, Wäsche und Schmuck. Auf ein sensibles Gemüt wirkt das makaber, zumal dann, wenn es spürt, wie wenig ideeller Wert und Kaufpreis in Einklang stehen. Bemerkenswert dazu ist es zu wissen, daß Haushalte, die direkt in der familieneigenen Villa aufgelöst werden,weitaus höhere Preise erzielen als jener Bestand, der in gemieteten Sälen „an den Mann“ gebracht wird. Dort wirken Bilder, Vorhänge, Teppiche und Schränke weitaus attraktiver als hier – nämlich in der hohlen Hand oder mit dem Zeigefinger des Versteigerers.

7. Mai 1966: Großer Spaß an kleiner

© Friedl Ulrich

Von einer Art Spielerleidenschaft entzündet, erleben die "Kunden" das fesselnde Wechselspiel von Angebot, Kauf und neuer gespannter Erwartung. Blitzschnell ändern sich die Situationen. Großvaters Schaukelstuhl? Soll man, nachdem doch jetzt die "alte Welle" wogt? Die vergilbte Bibel oder die moderne Schallplatte? Jedes Stück, in langen Listen geführt und – mit großer Sachkenntnis – taxiert, zieht ein bis zwei Minuten die Aufmerksamkeit auf sich, dann folgt eine neue Szene. Schwindelerregende Preise wie bei den großen Kunstauktionen (mit bedeutenden Namen, mit Katalogen, Experten und "Strohmännern") gibt es nicht; hier zeigt sich die Welt im Kleinen. Als "Fang" gilt ebenso ein Glas aus der Zeit um die Jahrhundertwende wie – ein Ehering. Ein Mann im Saal steigert ihn für fünf Mark zum Taxpreis. Er läßt ihn in der Rocktasche verschwinden. Ob er im Fall der Fälle paßt?

7. Mai 1966: Großer Spaß an kleiner

© Friedl Ulrich

Der handgemalte Weinheber mit sechs geschliffenen Gläsern bleibt stehen, auch eine Bronzefigur, die einen Bergmann darstellt. Eine Armbanduhr, graviert mit "Erinnerung an das Königsschießen 1930" geht für 15 DM weg, ebenso ein Sortiment Bierkrüge , ein Siegelring mit Wappen, zwei Perlenketten... Es ist pausenlos etwas los bei dieser Versteigerung, gleichgültig ob nun mal die Maus auf einem Aschenbecher (mit abgebrochenem Schwanz) oder etliche Stoffreste nicht ziehen. Ein paar alte Schals flattern über die Köpfe der Kunden, die äußerst gespannt in den ersten Stuhlreihen sitzen.

Im Hintergrund quietscht es. Während Hosen und Hemden, Unterröcke und Kleider ("jawohl, das war eine sehr saubere Frau!") meistbietend weitergereicht werden, transportieren kräftige Männer im Overall die Möbel ab, die am Vormittag schon über die Verkaufsbühne gegangen sind. "Herrschaftsmöbel von früher haben kaum mehr Erfolg", sagt die Versteigerin und sie kennt sich in ihrem Geschäft aus, „aber neuzeitliche, gut verarbeitete Einrichtungsgegenstände oder aber antike Möbel, die bringen etwas ein!“ Während sie das sagt, denkt sie schon an die Versteigerung am folgenden Tag: Gobelinstickerei, Richelieu-Bettwäsche, Brillanten… Ob da die Kenner und "Geldleute" kommen?

Ruck-zuck muß das Versteigerungsgeschäft gehen, wenn es florieren soll. Geschärften Sinn muß einer haben,der auf Stühlen und Bänken im Publikum sitzt, rechtzeitig "Hier" oder "Taxe" rufen, damit er gehört wird – auch bei den Zwangsversteigerungen, die jede Woche das Nürnberger Zentralfinanzamt in seiner "Pfandverwertungsstelle" veranstaltet. Bis zu 600 Besucher hat die Halle (Eingang 3) in der Voigtländerstraße 9 alleweil mittwochs, und hier sind – zu 90 v.H. – niegelnagelneue Sachen zu erwerben: Kleinmöbel, Kostüm- und Kleiderstoffe , Pullis, Anzüge und Kleider.

Der Trödelmarkt im Staatsgerätepark Fürth, Höfener Straße 64, ist ein Markt für "Unschlagbare". Die meisten sind Händler und kommen oft von weit her. Die dicke Brieftasche haben sie unterm unscheinbaren Jackett. Ihre Gesichter sind ausdruckslos. Sachlich-trocken gehen sie ans Geschäft. Vielleicht springt was raus?

Versteigerer Hans Dietrich, auch für die Pfandverwertungsstelle in der Voigtländerstraße zuständig sagt: "Der Meistbietende erhält den Zuschlag. Schecks, auch Barschecks werden nicht angenommen!" Für 500 DM, wie geboten, geht die VW-Doppelkabine, Baujahr 1960, weg. Ihr neuer Eigentümer, ein Kiesgrubenbesitzer bei Ingolstadt, will das Gefährt für den Transport seiner Mannschaft benutzen. "Was soll ich denn mit dem Gurken!?", murmelt ein junger Mann vor sich hin, der nicht zum Zug gekommen ist. Ein Glas-Kombi, 1962 vom Fließband gerollt, macht mit 300 DM das Rennen. Zum Ersten, Zweiten und Dritten! Mit dem Endstück eines Kugelschreibers tickt der Versteigerer auf ein Brettchen, das er als eine Art Bauchlade vor sich trägt, und fertig ist das Geschäft. Das Auto, bisher im Gebrauch der Straßenmeisterei Schweinfurt, wird eines Tages, auf Neu gespritzt, unerkannt durch die Gegend fahren.

Von den Fundversteigerungen abgesehen, die Bundesbahn und Fundamt regelmäßig halten, gibt es noch ein Auditorium, das sich aus Sachkennern zusammensetzt: es trifft sich allmonatlich im Leihhaus am Unschlittplatz. In dieser sozialen Einrichtung, die seit 1949 unter Aufsicht der Stadt wiederbesteht, werden rund 10 v.H. aller Pfänder, die mir nichts, dir nichts eingehen, an den Meistbietenden gebracht. Dicht gedrängt sitzen die Erwerbsfreudigen vor allem dann, wenn sie Außergewöhnliches in den „Branchen“ Uhren, Schmuck und Optik erhoffen. Keine Frage: sie haben das erforderliche Bargeld in der Tasche.

Neben Kleidern und Wäsche, ob "new look" oder nicht, gehen bei diesem speziellen Publikum, das gerne anonym bleiben möchte, vor allem "hochkarätige Kostbarkeiten" weg, sprich: selten schöner, sorgfältig verarbeiteter Schmuck, der – aus irgendeiner Verzweiflung heraus – als Pfand beliehen und (nach fünf Monaten) nicht zurückgenommen wurde. Versteigerer Hans Ruf und 1. Schätzer für Schmuck und Optik weiß, bei aller Diskretion, ein Lied davon zu singen, was von den glitzernden Raritäten stets besondere Aussicht hat, gesteigert zu werden.

Auch hier hangelt ein grobgestricktes Fischnetz an langer Bambusstange den Erlös in klingender Münze für irgendeinen Gegenstand ein, den ein Unbekannter oder eine Unbekannte ersteigert hat. Die einäugige Spiegelreflexkamera mit Teleobjektiv ist dabei ebenso vieldiskutiertes Objekt wie ein Diadem, brillantenschwer. Vielleicht "geht´s", vielleicht nicht?

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