10. August 1965: Hauptbahnhof – eine Visitenkarte

10.8.2015, 07:00 Uhr
10. August 1965: Hauptbahnhof – eine Visitenkarte

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„Triste, wohin man schaut!“, erklärt ein Gast aus Norddeutschland, und eine Ferienreisende aus dem Hessischen fügt hinzu: „ Wie reizend sieht dagegen so mancher kleine Vorortbahnhof aus! Nicht eine einzige Blume schmückt dieses Kolosseum hier!“ Selbst im Verkehrsverein spricht man vom Hauptbahnhof als der „Pforte Nigra Norimbergiae!“

Das sind harte Worte. Aber die Schüsse verfehlen ihr Ziel, weil die Verantwortlichen auf die „durchlöcherte Finanzdecke“ der Bundesbahn hinweisen. Wo aber kein Geld ist, da hat bekanntlich selbst der Kaiser das Recht verloren. Tatsächlich „frißt“ der Hauptbahnhof seit vielen Monaten die zig-Tausender für seine Innengestaltung. Große Summen verschlang der Umbau in der Hauptabfahrthalle und rund 170 000 DM wird allein das Tünchen der Passage vom Westausgang bis zum Ostflügel kosten, das alsbald an der Reihe (und notwendig) ist.

„Wir die Mängel selber?“

„Um aber die Natursteinfassade abzusäuern, Schäden auszubessern und Gesimsteile zu ersetzen, müßte wiederum ein Vermögen ausgegeben werden!“, erklärt der zuständige Hochbaudezernent, BB-Oberrat Hans Kern. „Wir sehen die Mängel selber. Sie zu beheben, scheitert aber an der Kostenfrage!“ Der Hauptbahnhof ist 1680 Meter lang, ein typisches Repräsentationsgebäude aus der Zeit um die Jahrhundertwende, aufwendig verschnörkelt und ohne „Stil“. Es mag ein gewaltiges Arbeit geben, wenn hier einmal der Großputz beginnt.

Trotz aller Vorwürfe aber: an jedem Bauwerk nagt der Zahn der Zeit. Und so „schön“ wie anno 1909, als der Mammutbau fertig war, ist er eben längst nicht mehr. Inzwischen sind zwei Kriege über ihn hinweggegangen und haben Wunden oder Narben hinterlassen. Auch der Prinzregent thront nicht mehr „vorne dro“ auf seinem Pferd. Das Denkmal, 1901 auf hohem Sockel errichtet, ist verschwunden, und kein Mensch spricht noch davon, daß es Oberbürgermeister Ritter von Schuh gewesen ist, der nach München fuhr und dem Regenten gesagt hat: „Das Denkmal steht! Nun fehlt nur noch der Bahnhof dahinter!“ Die erhoffte Stiftung kam zustande – und heute läßt sich in den Akten lesen: „Reiterstandbild 26. September 1939 eingeschmolzen; Abgang gemeldet 1940“.

Der Bahnhofvorplatz, Eigentum der Stadt, hat sich seitdem längst verändert. Beete wurden angelegt und Bäume gepflanzt; die Passanten aus nah und fern freuen sich darüber. Je näher man aber dem ausladenden Hauptbahnhof mit seiner üppigen Kuppel, dem gezackten Giebel und seinen ungezählten Ornamenten kommt, desto trostloser wird das Bild. „Man nimmt keinen schönen Eindruck mit, wenn man sich bei schönem Wetter in den Vorgarten des Restaurants setzt. Hier ist alles grau in grau!“, schreibt eine Durchreisende aus Bremen.

Willy Märklstetter, Pächter der Hauptbahnhof-Gaststätten, bejaht diese Feststellung, hat aber auch handfeste Argumente bereit: „Das schlechte Wetter dieses Sommer hat wenig Anlaß gegeben, mit einem freundlicheren Arrangement einzusteigen. Wir haben ja die Stühle mehr drinnen als draußen. Ein weiteres Unglück war, daß wir nicht schnell genug einen Schreiner fanden, der uns Kästen und Holzzäune wieder herrichtete!“ Sie sind, wie bekannt wurde, von Vagabunden im letzten Jahr zerstört worden. „Im nächsten Sommer aber ersteht alles neu – und mit Blumen!“

Tatsächlich ist es vielfach die Zerstörungswurt von „Nachtgelichter“, die wohlgemeinten Schmuck zunichte macht. Erst kürzlich mußte die bunte Schale unter einer Zigaretten-Leuchtreklame vor den Wartesälen entfernt werden, weil sie zertreten und mit „Kippen“ vollgeschüttet worden war. Das „Sammelbecken Hauptbahnhof“ hat seine Tücken – innen und außen. Der Idealzustand kostet viel Geld.

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