10. Juni 1965: Schirme gehen besser als Bikinis

10.6.2015, 07:00 Uhr
10. Juni 1965: Schirme gehen besser als Bikinis

© Ulrich

Die Bauern des Knoblauchslandes sind schier am Verzweifeln. Bis zur Hälfte liegt ihre Anbaufläche wenige Tage vor Sommeranfang brach. Die Felder können nicht bestellt werden, weil der Boden zu feucht ist. Das Gemüse, der Spargel und der Salat sind zu einem hohen Prozentsatz verfault. Die Spätkartoffeln, die Zucker- und Futterrüben konnten noch nicht gesetzt werden. Der Verlust beträgt jetzt schon allein im Knoblauchland eine Viertelmillion DM. Zusammen mit den Schäden in den Kreisen Fürth, Erlangen, Hersbruck, Lauf und dem Gebiet um Altdorf wird die Summe auf 500.000 DM beziffert.

Die Nürnberger Geschäftsleute, die mit Sommerwaren handeln, stimmen in das Klagelied der Bauern ein. Die duftigen Kleider, die Freizeit-Sportgeräte und die Badeartikel bleiben in den Schränken liegen. Die ältesten Bewohner des Knoblauchlandes schütteln seit Tagen ihren ergrauten Kopf, weil sie sich an kein annähernd so feuchtes Frühjahr erinnern können. Auch die Meteorologen, die schon die virtuosesten Kapriolen des Wettergottes erlebt haben, sind erstaunt. Im Juni wurden bis jetzt 80 Liter Feuchtigkeit pro Quadratmeter gemessen. Der Normaldurchschnitt für diesen Monat beträgt 63 Liter. Allein in der Nacht zum Mittwoch mußte ein Quadratmeter Erdreich 30 Liter Wasser schlucken. „Außergewöhnlich viel“, sagt das Wetteramt.

Sorge um die Ernte

Nur die Hälfte der angenommenen Ernte werden die Gemüseanbauer des Knoblauchlandes auf den Markt bringen können. 40 bis 50 Prozent des Salates ist durch die anhaltende Feuchtigkeit verfault; Spargelschößlinge wurden weich und braun, sie sind ungenießbar. Und der Blumenkohl ist fleckig. Deshalb steigt der Preis für einheimisches „Grünzeug“ zwangsläufig. Die Stimmung der Bauern ist schlecht. Sie haben in den letzten Jahren für die Flurbereinigung und den Wasserverband hohe Summen investiert, die heuer mit Sicherheit keine Rendite bringen.

10. Juni 1965: Schirme gehen besser als Bikinis

© Ulrich

Unzufrieden ist auch der Leiter des Städtischen Badeamtes, Hanns Dürschner. Im Naturgartenbad und im Stadionbad, den beiden städtischen Anstalten, haben bis jetzt 3647 Besucher mit Gänsehaut und Zähnegeklapper die ersten Schwimmversuche gemacht. 2,5 Prozent der Solleinnahmen wurden kassiert. Im Vorjahr klimperten zur gleichen Zeit schon 77 Prozent im Stadtsäckel.

„Bis Ende Juni sollten wir finanziell über dem Berg sein, weil der Hochsommer mit der Urlaubszeit erfahrungsgemäß nicht viele Nürnberger in heimische Gewässer lockt“, meint Hanns Dürschner. Doch bisher tummelten sich nur an wenigen Tagen Unverzagte neben oder im Wasser. An sechs besonders kühlen Tagen wagte sich sogar kein einziger mit der Badehose ins Freie.

Bade- und Sportartikel wenig gefragt

Deshalb finden die fröstelnden Kunden leichte Sommerkleider, schicke Badedreß, moderne Bademäntel oder elegante Strandkostüme in Bekleidungshäusern nicht sonderlich anziehend. Man hält sich nach wie vor an sogenannte Übergangskleidung. Bevorzugtes modisches Beiwerk ist gegenwärtig der Regenschirm, der in allen Farben und Formen seine Liebhaber findet.

Auch die Sportartikel für den Grasgarten oder das Bad sind noch wenig gefragt. Tennisschläger, Bälle, Pfeil und Bogen oder die verschiedensten Taucherausrüstungen lagern in den Räumen der diversen Geschäfte. Die vielfältigen Gebrauchsgegenstände für Campingfreunde und Faltboote warten ebenfalls auf Käufer. „Wir verzeichnen einen Rückgang zwischen 20 und 30 Prozent des Umsatzes im Vergleich zum Frühjahr 1964“, sagt der Inhaber des Sportgeschäfts und fügt selbstironisch hinzu: „Die Wasserski sind jedoch fast alle verkauft.“

Eine originelle Feststellung hat ein hiesiges Kaufhaus gemacht. „Unsere Sommerwaren liegen zwar immer noch auf, dafür aber floriert das Geschäft in der Lebensmittelabteilung, weil die Kunden sich statt der Kleider mehr zum Essen kaufen.“ Keinen Bikini also fürs Bad, sondern zwei Wurst fürs Brot, heißt hier die Parole.

Ein Klagelied wissen die Besitzer von Ausflugsgaststätten anzustimmen. Die Lokale an der Peripherie Nürnbergs, die zum Großteil auf die Sonnenhungrigen angewiesen sind, sitzen wegen der Nässe auf dem Trockenen. An regnerischen Wochentagen verzeichnen diese Wirte einen hundertprozentigen Verlust. Ein Berufszweig kann sich hingegen an der kühlen Witterung erwärmen: die Kohlen- und Heizöllieferanten. Tag und Nacht sind die Heizungen der Haushalte eingeschaltet.

Die Brennstoffhändler arbeiten auf Hochtouren. „Einmal wird wegen der Sommerpreise verstärkt gekauft und zum anderen wegen der Kälte“, geben sie zu. Ob die Wetterfrösche endlich nach oben klettern? Anzeichen dafür sollen vorhanden sein, meinen die Meteorologen. „Es kann doch nicht dauernd weiterregnen.“ Vielleicht scheint sogar am Wochenende die Sonne, erklärt Dr. Georg Bauer vom Wetteramt. Hoffentlich ist das dann nicht nur ein „Strahl auf den nassen Stein“.

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