11. Juni 1965: Verhör mit Glacéhandschuhen

11.6.2015, 07:00 Uhr
11. Juni 1965: Verhör mit Glacéhandschuhen

© Ulrich

Die Vernehmungen im Polizeipräsidium werden heute fortgesetzt. Rechtsanwalt Dr. Hans Bader will seinen Mandanten erst morgen wieder besuchen. Zu dem aufsehenerregendsten Kriminalfall in der Nachkriegsgeschichte Nürnbergs gab gestern Kriminaldirektor Dr. Horst Herold unserer Zeitung ein Interview. Hier sind seine Antworten auf unsere zehn Fragen:

Hält die Kriminalpolizei an ihrer These fest, Klaus G. sei der „Mittagsmörder?“ „Zwischen der Schießerei in der Breiten Gasse und den Überfällen von Neuhaus, Ochenbruck sowie im Doppelmordfall H. bestehen objektiv bewiesene Zusammenhänge.“

Woraus schöpft sich diese Gewißheit? „Ob der von mir gebrauchte Begriff des Zusammenhanges im Sinne von Täterschaft auszulegen ist, kann allein die Justiz beurteilen. Einen gerichtsreifen Nachweis zur Überführung des Täters haben wir zur Zeit noch nicht. Wir von der Polizei glauben aber, daß eine hohe Wahrscheinlichkeit für Gs. Täterschaft besteht.“

Kommt der 24jährige für weitere Kapitalverbrechen in Frage? „Art und Weise der Schießerei in der Breiten Gasse machen es nötig, alle noch nicht aufgeklärten Verbrechen während der zurückliegenden Jahre zu überprüfen, bei denen die Täter ähnlich vergangen sind.“

Hat Klaus G. außer Mord auch noch kleinere Delikte auf dem Kerbholz? „Das ist der Fall. Über den Umfang möchte ich mich nicht äußern.“

Warum verhört ihn die Polizei nicht pausenlos? „Es liegen mehrere Gründe vor. Zunächst steht es dem Beschuldigten rein rechtlich frei, die Vernehmung im ganzen oder in Teilen abzulehnen. Davon hat G. zu Beginn der Vernehmungen Gebrauch gemacht. Darüber hinaus verbietet uns der Paragraph 136a Strafprozeßordnung (Anmerkung d. Red. „Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Mißhandlung, Ermüdung, Quälerei usw.) die Freiheit der Willensentschließung zu beschneiden. Da G. nicht unerheblich verletzt war, hätte eine Fortsetzung der Vernehmungen die Gefahr heraufbeschworen, daß er sich in einer kommenden Hauptverhandlung auf den Paragraph 136a berufen hätte. Würde er damit durchdringen, so könnten die Vernehmungsprotokolle nicht als Beweismittel verwendet werden.

Für uns spielt die Zeit keine entscheidende Rolle mehr, denn als Täter der Schießerei in der Breiten Gasse ist Klaus G. einwandfrei überführt. Schon allein in dieser Sache droht ihm eine hohe Freiheitsstraße. Wir können daher in allen anderen Fällen, in denen er verdächtig ist, in aller Ruhe vorgehen. Schließlich wird der Vernehmungstermin auch wesentlich durch kriminaltaktische Gründe bestimmt.

Wie wird Klaus G. bei den Verhören angepackt?

„Entgegen weitverbreiteten Vorstellungen gibt es bei uns keine „verschärften Vernehmungen“ oder den sog. dritten Grad. Die Strafprozeßordnung stellt sämtliche Beschuldigte – ob Täter einer Übertretung oder Täter eines Verbrechens – gleich. Den Ablauf der Vernehmung regeln die Paragraphen 136a, 163a, Abs. 4 (Anmerkung der Red. „Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird“) und 188 Abs. 3 (Anmerkung der Red. „Das Protokoll ist den bei der Verhandlung beteiligten Personen, soweit es sie betrifft, zur Genehmigung vorzulesen oder zur eigenen Durchlesung vorzulegen“). Der Beschuldigte wird wie jeder andere Staatsbürger mit „Herr“ angeredet. Der vernehmende Beamte stellt sich ihm mit Namen und Dienstgrad vor.

Demnach treffen alle Filmklischees, nach denen der Täter im gleißenden Scheinwerferlicht sitzt und hin und wieder sogar hart angepackt wird, nicht zu. Er kann die Vernehmung abbrechen, indem er weitere Erklärungen verweigert. Das Vernehmungsergebnis wird ihm als Protokoll vorgelegt.“

Die Polizei spricht von Bergen von Beweismaterial. Befinden sich darunter auch persönliche Notizen des Täters, die auf die ihm zur Last gelegten Delikte schließen lassen? „Hierzu möchte ich mich nicht äußern.“

Was geschieht, wenn G. nicht gesteht? „Ein Geständnis ist nicht erforderlich, um einen Täter zu überführen. Nach Abschluß der polizeilichen Ermittlungen werden Akten und Beweismaterial der Staatsanwaltschaft vorgelegt, die von Anfang an Herrin des Verfahrens ist. Sie entscheidet darüber, ob Anklage zu erheben ist.“

Ist der 24jährige ein Mann, den man auf den ersten Blick nach landläufigen Vorstellungen als Mörder erkennen könnte? „Alle landläufigen Vorstellungen von gewissen Mörder-Typen sind falsch. G. ist ein junger Mann, wie man sie zu tausenden auf der Straße sieht. Meine früheren Erfahrungen als Richter und Staatsanwalt haben mich gelehrt, daß Mörder häufig ohne Vorstrafen sind, während Totschläger meistens über ein reiches kriminelles Vorleben verfügen.“

Aus welchen Motiven scheint Klaus G. gehandelt zu haben? „Die Beurteilung derartiger Fragen obliegt weder Polizei noch der Staatsanwaltschaft, sondern dem medizinischen Sachverständigen.“

Verwandte Themen


Keine Kommentare