12. Dezember 1962: Stürmische Wellen um Hafenbau

12.12.2012, 06:58 Uhr
12. Dezember 1962: Stürmische Wellen um Hafenbau

© Bischof und Broel

Es hagelte entrüstete Zwischenrufe von allen Seiten, besonders als Karl Weiß, der Leiter des Ortsschutzverbandes der Kanal- und Hafengeschädigten, die zahllosen Nöte, Sorgen und Einwände der Maiach-Hinterhöfer gegen den Kanalhafen und das Verhalten der Stadtverwaltung vorbrachte. Karl Weiß bezeichnete sich temperamentvoll nicht als „Vertreter von Spekulanten“, sondern als der Sachwalter von Arbeitern, Bauern und Kleingewerbetreibenden, an denen „dank der Isolationspolitik der Stadt Nürnberg“ das Wirtschaftswunder vorübergegangen sei. Er betrachtete die Trassenführung des Kanals und besonders den Hafenbau als eine „Fehlplanung“, die die Stadt Nürnberg zerschneiden würde.

Die Tatsache, daß der 100 Meter breite Kanal über zwei Bundesstraßen und zwei stark befahrene Eisenbahnlinien führe, spräche allein schon für die Fehlplanung. Die Hafenstraße würde, so meinte Weiß, einst einen vollkommenen Verkehrswirrwarr bilden. Man sollte doch einmal den vom Hafenbau Betroffenen für fünf Tage den genauen Hafenplan ausleihen, damit sie einen genauen Überblick bekämen. Scharf wurde der Redner, als er auf die Grundstückspreise der Staatsforstverwaltung zu sprechen kam. Die von der Räumung Betroffenen hätten gern in der Nähe des alten Wohnsitzes, am liebsten im Waldgebiet der Hafenstraße, neu angefangen, doch hier verlange der Staatsforst einen Grundstückspreis von 35 DM pro Quadratmeter. Weiß sprach in diesem Zusammenhang von einem „Todesurteil“, das man über die Maiach-Hinterhöfer ausgesprochen habe. Ausdrücklich stellte er zu den Grundstückspreisen fest: „Wir wollen nichts gewinnen, aber auch nichts verlieren!“

„Modifizierte Naturalrestitution“

Ausführlich schilderte Karl Weiß dann den Fall eines 80jährigen Einwohners aus Hinterhof, der zur Miete wohnte, und der bei der Stadt ein volles Jahr auf seine Umzugsentschädigung warten mußte. Mit einiger Bitterkeit sprach Weiß von der „modifizierten Naturalrestitution“, die man im Stadtrat den Maiach-Hinterhöfern zugesagt habe. Die von der Räumung Bedrohten, von denen mehr als die Hälfte über 50 und 60 Jahre alt seien, hätten sich hier im Grünen einen ruhigen Lebensabend erwartet. Ihnen könne man nicht zumuten, etwa mit 70 Jahren noch einmal ans Bauen zu denken – ganz davon zu schweigen, daß den Bauwilligen bei den langen Wartezeiten auf das Geld die Baupreise einfach davonliefen.

Karl Weiß beklagte die jahrzehntelange Vernachlässigung des grünen Südwinkels von Nürnberg. Heute noch seien große Teile von Maiach und Hinterhof ohne Gas, Wasserleitung und gute Verkehrsanschlüsse. Die heutige Stadtverwaltung Nürnbergs habe die „Konservierungspolitik ihrer Vorgänger“ konsequent fortgesetzt. Das einzige, was man den Maiach-Hinterhöfern gebracht habe, sei der große Müll- und Kehrichthaufen. Der Redner schilderte die Maiach-Hinterhöfer als Verurteilte, die nun schon seit fast vierzig Jahren in der „Todeszelle“ säßen. Sollten sie vielleicht durch diese Wartetaktik mürbe gemacht werden? Fragte er in die Versammlung hinein.

Mit starkem Unmut nahmen die Teilnehmer die Mitteilung von einem seit sechs Jahren leerstehenden Wohnhaus mit Garten und Schwimmbassin auf, daß die Stadt damals erworben, geräumt und durch Herausreißen der Fußböden mietunbrauchbar gemacht habe. Hier hätte man doch wenigstens inzwischen ein Jugendhaus oder etwas Ähnliches einrichten können, wurde geäußert.

Gegen Schluß seiner mehrmals von starkem Beifall und oft genug von kräftigen Zurufen aus der Versammlung begleiteten Rede sprach Karl Weiß die Hoffnung aus, daß man doch noch mit der Stadtverwaltung zu einer gütlichen Regelung der ganzen Frage kommen könnte.

Vorher hatte Rechtsanwalt Dr. von Herford als Vorsitzender des Landesverbandes der Kanal- und Hafengeschädigten gesprochen und noch einmal die Frage aufgeworfen, ob man den Kanal wirklich ernsthaft nötig habe und ob sich der riesige Finanzaufwand bei unserem schnellen technischen Fortschritt überhaupt lohne? Er zitierte eine Ansicht, daß eine doppelgleisige Eisenbahn mit modernen Verladeeinrichtungen und Straßen den gleichen Transporteffekt hätten wie der teuere Kanal. Die sanfte Geduld Dr. von Herford sprach von der sanften Geduld der Maiach-Hinterhöfer, denen bei dem ganzen Zwist nur eines wichtig wäre – wie könnten sie endlich sorglos in die Zukunft schauen auf der kleinen Scholle, die sich die meisten von ihnen vom Munde abgespart hätten.

Berufsmäßiger Stadtrat Prof. Dr. J. S. Geer hatte zu Beginn der Bürgerversammlung mit ausgezeichneten Lichtbildern einen umfassenden Überblick über die Fortschritte des Kanalbaues gegeben. Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter hatte nach ihm von den anderen kleinen Nöten und Sorgen der beiden Stadtteile Maiach und Hinterhof gesprochen, doch auch seine Ausführungen waren von den Folgen des Kanalbauprojektes beschattet, das Maiach und Hinterhof bedroht. Er erwähnte unter anderem, daß in dem ganzen Gebiet große Aufschüttungen notwendig seien. Hinterhof würde ganz verschwinden, Maiach zum größten Teil, wenn auch in veränderter Umgebung erhalten bleiben.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 12. Dezember 1962

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