12. März 1965: Straßenbahn bittet um Rücksicht

12.3.2015, 07:00 Uhr
12. März 1965: Straßenbahn bittet um Rücksicht

© Gerardi

Die Autofahrer sollen darauf aufmerksam gemacht werden, daß ein Wagen mit nur einem Mann Hunderten von Menschen die Zeit stehlen kann, wenn er auf den Schienen steht. Mit solchen Mahnungen und Hinweisen wird versucht, der Tram wieder einen weniger dornenreichen Weg durch die Stadt zu bahnen.

Mit Sorgen beobachten die Verkehrsbetriebe seit langem, daß ihre Züge in den Hauptverkehrszeiten fast mehr stehen als fahren. Die Reisegeschwindigkeit der Nürnberg–Fürther Straßenbahn, die vor dem Kriege bei 18,3 Stundenkilometern lag, ist auf 16 km/st abgesunken. Das macht mehr Wagen und Personal nötig und kostet im Jahr zwei Millionen Mark. Allein auf der Linie 21, die zu den sogenannten kranken Linien zählt, mußten zwei Züge mehr eingesetzt werden, um die verminderte Leistung auszugleichen.

Für das Dilemma der Straßenbahn gibt es viele Gründe, die meistens jedoch auf das wenig rühmliche Verhalten der Autofahrer zurückzuführen sind. Vor allem die Linksabbieger, die sich ohne jede Rücksicht auf die Gleise stellen, obwohl ihnen die Fahrbahn genug Platz böte, oder Wagen, die aus der Reihe tanzen und sich auf den Schienen breitmachen, haben ein gerüttelt Maß an Schuld, wenn der Fahrplan der Tram gelegentlich Kopf steht. Die Fahrgäste müssen die Rechnung dafür bezahlen: sie kommen später zum Arbeitsplatz oder nach Hause, fahren unbequem in überfüllten Wagen und erreichen oft keine Anschlüsse mehr.

Schon ein Wagen genügt . . .

In der Altstadt und an jenen Stellen des Rings, an denen es noch keinen eigenen Gleiskörper gibt, bringen fast stündlich Autos das Kunststück fertig, die Straßenbahn warten zu lassen. In der König- und Karolinenstraße genügt schon ein Wagen neben der Fahrzeugschlange, um die Tram daran zu hindern, bis zu den Haltestellen oder Ampeln voranzukommen. Am Kulturverein und beim Opernhaus stellen sich ihr die Linksabbieger zur Zeltnerstraße oder zum Kartäusertor in den Weg.

Dabei hat es die Straßenbahn ohnehin schon viel schwerer als Autos, das Dickicht des Verkehrs zu durchdringen. Sie ist an die Schiene gebunden und kann daher nicht ausweichen. Eine Grüne Welle gibt es für sie nicht, denn häufig erreicht sie eine Haltestelle bei Grünlicht an der Ampel, muß dann aber erst ihre Fahrgäste aus- und einsteigen lassen. Nachts verspätet sich die Linie 21 beispielsweise allein wegen der Signalanlagen um drei Minuten. Auf derselben Strecke wurde an einem Tag zwischen 17.19 und 18.22 Uhr gestoppt, daß der Zug über den Fahrgastwechsel hinaus 1461 Sekunden (24,3 Minuten) stehen bleiben mußte.

Man befürchtet noch schlimmere Lage

„Wir können die Sache drehen und wenden, wie wir wollen, und doch nur feststellen, nicht die Straßenbahn hat sich geändert, sondern der übrige Verkehr“, erklärt Professor Dr. Josph Ipfelkofer, der Generaldirektor der Städtischen Werke. Er fürchtet, daß die Lage mit jedem neuen Wagen noch schlimmer wird, solange Autos und Trambahn auf einer Ebene miteinander auskommen müssen. Bis aber ein Netz von Hoch- und Tiefbahnen geschaffen wird, ist noch eine lange „Durststrecke“ zu überwinden.

Verwandte Themen


1 Kommentar