12. November 1966: Hafenstadt am Europakanal

12.11.2016, 07:00 Uhr
12. November 1966: Hafenstadt am Europakanal

© Gerardi

Damit ist nun schwarz auf weiß bestätigt, daß die Stadt bis spätestens 1970 einen achtbaren Platz am Europa-Kanal von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer einnehmen wird. Der Vertragsabschluß im Rathaus soll als denkwürdiges Ereignis in die Geschichte eingehen, denn Nürnberg verspricht sich von dem Schiffsweg und Hafen eine neue wirtschaftliche Blüte.

Die Stadt machte aus dem „besonders wichtigen“ Ereignis einen weihevollen Akt: vor dem Rathaus wehten weißblaue und rotweiße Fahnen; der Ältestenrat der Stadtväter erschien in festlich schwarzen Gewändern; im Saal herrschte feierliche Stille und an seiner Hufeisentafel eine ernste Stimmung, die große historische Augenblicke auszeichnet. Auf daß sich spätere Generationen des bedeutungsvollen Tages mit gebührendem Respekt erinnern, durften sich seine Akteure allesamt in das Goldene Buch eintragen, in dem sich schon so mancher Kaiser und König verewigt hat.

Obwohl in diesen Wahltagen CSU-Minister und SPD-Bürgermeister einander gerne die Butter vom Brot stehlen und sich jeder seiner Verdienste zu rühmen pflegt, sparten die Vertragspartner im Rathaus nicht mit Lob füreinander. „Wir sind der bayerischen Staatsregierung dafür dankbar, daß sie sich unter der Federführung von Ministerpräsident Dr. Goppel und Wirtschaftsminister Schedl um den Ausbau der Wasserstraße intensiv angenommen und es mit einem weiteren Staatsvertrag vom 16. September 1966 möglich gemacht hat, daß der Europa-Kanal in den folgenden Jahren bis spätestens 1981 endgültig zur Donau verlängert und gleichzeitig die Donau ab Regensburg bis Passau den Bedingungen eines europäischen Schiffsweges entsprechend gestaltet wird“, rühmte Oberbürgermeister Dr. Urschlechter.

Nürnberg sei zwar versucht gewesen, Endhafen zu werden und damit billiger zu „fahren“, aber es habe sich seiner alten Tradition und seiner modernen Ziele erinnert, wirtschaftliche Aufgaben für das ganze Land, die Bundesrepublik und Europa zu übernehmen. „Wir begrüßen es daher, daß der Hafen Nürnberg vom Freistaat Bayern als Staatshafen in einer Größe errichtet wird, der dieser überregionalen Aufgabe entspricht“, betonte Dr. Urschlechter, ohne freilich zu verhehlen, daß es die Stadt gerne gesehen hätte, wenn der Staat für „seinen Hafen“ auch die vollen Baukosten übernommen hätte. „Wir haben uns jedoch aus unserer staatsbürgerlichen Verantwortung für Bayern und die Industrieregion Nürnberg heraus entschieden, diese Kosten mitzutragen!“

Bayerns stellvertretender Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Dr. Alois Hundhammer berichtete vom jahrelangen Tauziehen um den Vertrag zwischen Staat und Stadt, das von allen Seiten Opfer gefordert habe. „Von den Kosten des ersten Bauabschnitts im Hafen (137 Millionen Mark) trägt der Staat 73, die Stadt 27 v. H.“, sagte er und wies deutlich darauf hin, daß das Projekt eine neue große Lücke in den Staatsforst reißt, denn allein das engere Hafengebiet ist 311 Hektar groß. Die Stadt wiederum gab zu verstehen, daß sie für den ersten Bauabschnitt mit den nötigen Straßen und Kanalanschlüssen mehr als 112 Millionen Mark aufbringen muß, von denen bis Ende 1967 erst knapp 25 Millionen finanziert sein werden.

Solche Anstrengungen erscheinen den Bauherren freilich lobenswert, denn sie sind überzeugt, „daß der Hafen einen Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens am breiten Strang zwischen Nordsee und Schwarzem Meer sein und einen enormen Anstoß für einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung geben wird“ (so Dr. Hundhammer). Minister und Oberbürgermeister gingen auch einig in der Meinung, daß sie mit ihrer Unterschrift den Weg „für ein Werk von ganz großer Bedeutung ebnen“, denn der Kanal von Rhein zur Donau soll nicht nur dem wirtschaftlichen Fortschritt, sondern auch der Annäherung der Völker dienen.

So herrschte denn eitel Freude allüberall. Und trotz ihrer ernsten finanziellen Lage und ihres Schielens nach dem staatlichen Geldsäckel lud die Stadt ihre Gäste aus München noch zum Mittagsmahle. Der denkwürdige Tag sollte nicht allein mit trockenen Reden gefeiert werden, zumal er ja die Hoffnung auf eine wasserreiche Zukunft nährt.

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