13. August 1966: Urlaub beim Bauern bringt Erholung

13.8.2016, 07:00 Uhr
13. August 1966: Urlaub beim Bauern bringt Erholung

© Gerardi

Erfüllt hat sich dieser Traum für zahllose Großstädter noch nicht. Sie hatten schließlich doch wieder Italien im Sinn, die Costa Brava und Südfrankreich, Jugoslawien oder das Schwarze Meer. Die große, weite Welt blieb Trumpf. Warum in die Ferne schweifen?, fragt dagegen das Fremdenverkehrsbüro „Altdorfer Land“ im ureigenen Landkreis und bietet die schönsten Erholungsplätzchen auf Bauernhöfen an. Hier läßt es sich nicht nur preiswert rasten, hier werden auch Nerven „aufgetankt“.

Sie sind erst im Aufbruch

Freilich, die bäuerliche Bevölkerung des südöstlich von Nürnberg gelegenen Kreises (mit seinen 35 Gemeinden und 62 300 Einwohnern) ist erst im Aufbruch, um die Städter gastlich zu empfangen. In kurzer Zeit wurden 80 Fremdenbetten auf die Beine gestellt – doch länger dauerte es, die traditionellen fränkischen Einsiedler in den vielen Kleinbetrieben für die zahlenden Besucher „aufzubereiten“.

13. August 1966: Urlaub beim Bauern bringt Erholung

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Ausgehend von der Tatsache, daß 1470 Höfe (von 1700) nicht einmal 10 Hektar groß sind, daß also ihre Rentabilität permanent mangelhaft ist – obwohl Vorbereitungen zur Intensivwirtschaft mit Spargel- und Erdbeeranbau und anderen Sonderkulturen vom Landwirtschaftsamt Altdorf getroffen werden –, davon ausgehend kamen weitsichtige Kreisbürger auf eine Idee: Nebenerwerb durch Gästebetreuung.

Unterricht für Bäuerinnen

Die Hauptinitiatoren für die Gründung des „Fremdenverkehrsvereins im Landkreis Nürnberg e. V. 8503 Altdorf bei Nürnberg“ sind Landwirtschaftsrätin Erika Eckhard, Bauernverband-Kreisobmann Martin Falk, Kreisbäuerin Gunda Link und Martin Scherer, der seit Januar dieses Jahres als 1. Vorsitzender dieses Vereins fungiert. Unterstützt von Landrat, Kreistag, Bürgermeistern, Polizei, Forstämtern und ADAC gingen sie ans Werk.

13. August 1966: Urlaub beim Bauern bringt Erholung

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Beispiele, wie man „Großstadtleut‘“ zum Ferienmachen auf Bauernhöfe bringt, boten neben Norddeutschland (Lüneburger Heide) vor allem die Landkreise Hersbruck und Gunzenhausen sowie Regen im Bayerischen Wald. Doch was ist erreicht, wenn man einen Verein mit Vorstandschaft und Satzungen hat? Grau bliebe alle Theorie, wenn die Praxis nicht folgte. Und so ging das Landwirtschaftsamt daran – schon im letzten Winter – an die 60 Bäuerinnen zu schulen: wie richte ich die Gästezimmer ein (zunächst: aus alt mach neu – durch Bepinseln verblaßter Bauernmöbel), wie lerne ich das Frühstück zubereiten und zu servieren? Stundenlang saßen die Landsfrauen zusammen, übten das Tischdecken für den Hausgast und überlegten, wieviel Geld zu investieren ist, wenn sie – in den meisten Fällen bereits eingerichtet – fließend kaltes und warmes Wasser in den Gasträumen zur Verfügung stellten.

Durchschnittspreis: 5 Mark

„Erneut belastet werden soll die Bäuerin nicht, wenn sie Feriengäste aufnimmt!“, sagt Landwirtschaftsrätin Eckhard; „sie soll, im Gegenteil, entlastet werden!“ Die Männer in diesen Kleinbetrieben, oft als Hilfsarbeiter auswärts tätig, können an den angestammten Sitz zurückkehren, ihre Frauen, abgerackert in der Klein-Landwirtschaft, ablösen und schließlich zusehen, wie sich das bißchen Heimvermögen mehrt. Denn die Städter sind da, schlafen mit ihnen unter einem Dach und berappen den Obulus – im Durchschnitt 5 DM pro Nacht und Frühstück.

13. August 1966: Urlaub beim Bauern bringt Erholung

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Ganz klar, daß sich durch diese Gastbereitschaft der bäuerlichen Familien – sie beweist sich bereits in den letzten acht Wochen – eine erneuerte Verständigung zwischen den Menschen in Stadt und Land anspinnt. Wir waren acht Stunden lang, wenn auch nur über 120 Autokilometer, im Kreisgebiet unterwegs und haben bei zehn Stationen, die wir in sieben Gemeinden machten, nur Aufgeschlossenheit bei den Gastgebern festgestellt – eine Toleranz, die sich vermutlich von vornehmlich aus der revolutionären Entwicklung dieser „Epoche der Rationalisierung“ erklären läßt. Wirtschaft – und Wirtschaften, das ist auch für Kleinbauern die Frage . . .

Elf kleine „Suckele“ . . .

Nun gut, das war also die finanzielle Seite, die immer auch ins Ideelle hineinspielt, – was aber ist am Urlaub auf dem Bauernhof wirklich „dran“? An allen Plätzen, an denen wir in diesem landschaftlich reizvollem Gebiet mit seinen sehenswerten Schlössern Halt gemacht haben, an alten und neuen Kirchen, der Schwarzachklamm und der Altenfurter Kapelle, Moritzberg und Entenberg mit der „Steinernen Rinne“, überall wehte ein besonderer Duft.

Man hätte am liebsten seine Zelte aufgeschlagen. Hier nämlich hatte die Kuh gerade gekalbt, dort waren elf kleine „Suckele“ zu sehen und am anderen Ort mehr als 80 Küken. Alle, die auf den werbenden Ruf des seit 1. Juni bestehenden Fremdenverkehrsbüros „Altdorfer Land“ gehört haben, die wir trafen und sprachen, sind von der „Urtümlichkeit“, von der Gastfreundschaft und den Unterhaltungen, die sich zwangsläufig zwischen Städtern und Bauern anbahnen, so überzeugt, daß sie nächstes Jahr wiederkehren wollen. Hier vollzieht sich die EWG im Kleinen, denn Produzenten und Konsumenten suchen ein Thema. Am Abend, wenn es das Wetter will, sitzt nämlich der Bauer neben dem Liegestuhl, in den sich der Städter gelegt hat, und dann geht‘s los . . . Dann wird debattiert – und manchmal kommt etwas dabei raus! Es sind schon etliche Nürnberger und Fürther dabei, das landschaftlich schöne Nachbarland als Feriendomizil zu erobern. Die Quartiersuche in Bauernhöfen kann zur „nächsten Welle“ werden, die Furore macht. Die überdrüssigen Großstädter, die noch kein eigenes Landhaus haben – na, wer hat das schon – werden, wenn nicht in diesem verregneten Sommer, so nächstes Jahr dem Ruf eher folgen: „Urlaub auf dem Bauernhof“! Unter uns: eine Probe aufs Exempel lohnt sich. In urwüchsiger Umgebung wird nicht nur für kernige Kost, sondern auch für nachhaltige Nervennahrung gesorgt. Gesunde Luft gibt‘s obendrein gratis.

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