13. Mai 1967: Seelöwin "Sonny" mag nur Makrelen

13.5.2017, 09:18 Uhr
13. Mai 1967: Seelöwin

© Ulrich

Aber kaum einer der Gäste macht sich einmal darüber Gedanken, welcher liebevollen Pflege es bedarf, die Löwen und Affen, Seehunde und Affen gut über das Jahr zu bringen. Viele Wärter sind von früh bis spät auf den Beinen, um die hungrigen Mäuler zu stopfen und die "guten Stuben" der Zoobewohner sauberzuhalten. Jedes Tier muß anders behandelt und versorgt werden. Wir machten den Alltag der Pfleger mit und beobachteten sie bei der Arbeit. Der Gesamteindruck unseres kurzen Gastspiels: es wird vieles am Schmausenbuck getan, um alles, was da kreucht und fleucht, gesund und munter zu halten.

Man sieht so vieles, was dem Nur-Zoobesucher verborgen bleibt, wenn man sich einmal an die Fersen der Pfleger haftet. Täglich um 7 Uhr kommen sie im Betriebs- und Futterhof zusammen, erhalten von Inspektor Hans Pauli - dem "Generalstäbler" am Schmausenbuck - ihre Anweisungen und strömen eine halbe Stunde später in die "Reviere" zum Affen-, Nilpferd-, Elefanten-, Huftier-, Giraffen-, Kamel- und Raubtierhaus sowie zum Aquarium, Kinderzoo, Olympiadorf und Vogeldorf.

13. Mai 1967: Seelöwin

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Die Tiergartenverwaltung legt das Wohl ihrer Schützlinge nicht in die Hände von Leuten, die der Materie fremd gegenüberstehen. Ganz im Gegenteil: die Tierpflege ist ein echter Lehrberuf. Inspektor Pauli drückt das am besten aus: "Der Pfleger muß vor allem ein Praktiker sein. Theoretische Kenntnisse allein helfen ihm nicht weiter." Ein Beispiel dafür ist die 20jährige Gabriele Liebsch.

Schon im zarten Alter von 15 Jahren bewarb sie sich um eine Anstellung im Tiergarten. Doch den Verantwortlichen war sie zu jung. Erst als sie auf einer Geflügelfarm harte Lehrjahre hinter sich gebracht hatte, wurde sie eingestellt. Heute wacht "Gaby" über alle Vögel, die in freier Wildbahn, auf den Weihern und Wiesen sowie im großzügig angelegten Vogelbauer kreuchen und fleuchen. Zu tun gibt es für sie immer etwas. Da sind beispielsweise die Kronenkraniche, die den Winter im Betriebshof in Quarantäne verbringen müssen. Bei unserem Besuch werden sie gerade in die "goldene Freiheit", auf die Vogelwiese, entlassen.

Es dauert seine Zeit, bis die stattlichen Tiere in Kisten verpackt sind. Am Weiher entfliehen sie wie der Blitz ihrem engen Verlies, mißtrauisch beobachtet von den Artgenossen, die sich vorerst nicht so recht mit den Eindringlingen in ihr Hoheitsgebiet abfinden wollen. Doch nachdem die majestätischen Vögel erst einige Runden, noch mit staksigen Stelzen, gedreht haben, kehrt wieder Frieden ein.

Wie sehr Mensch und Tier Freunde werden können, beweist der tägliche Besuch von "Gaby" im Raubvogelkäfig. Geier und Adler, Falken und andere Greifvögel fressen ihr aus der Hand. Und das nicht wenig: die Monatsration beträgt rund 2100 Küken, 680 weiße Mäuse und Ratten. Es mag zwar für die meisten Zoobesucher grausam ausschauen, wenn den Vögeln andere Tiere zum Fraß vorgeworfen werden, aber das ist eben ein Gesetz der Natur. Der Mensch muß ihm folgen, will er die Tiere am Leben erhalten.

Misstrauischer Kondor

Gabriele Liebsch hat selbstverständlich auch einige Probleme mit ihren Schützlingen, dann ganz zu trauen ist ihnen nie. Ein riesiger Kondor beispielsweise streicht ihr zwar zärtlich mit dem Schnabel über die Schenkel, wenn er einen besonders guten Happen wittert, aber je nach Laune hackt er auch plötzlich einmal zu. Die schmerzhaften Folgen sind blaue Flecken.

13. Mai 1967: Seelöwin

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Die zweite Frau unter der "Wärterkompanie" ist Margarethe Storch. Aber ganz im Gegensatz zu ihrem Namen befaßt sie sich nicht mit dem Geflügel, sondern wacht über die Raubtiere. Länger als 20 Jahre ist sie schon dabei. Sie kennt jedes Wehwehchen der Tiger, Panther, Löwen und Leoparden. Den größten Kummer bereitet ihr zur Zeit der Königstiger "Ali". Bei einem kurzen Gastspiel in Hannover hat er sich eine Infektion an der Stirn geholt. Seit seiner Rückkehr an den Schmausenbuck wird er mit Penicillin behandelt. Für die "Störchin", wie die Pflegerin in Freundeskreisen genannt wird, ist es jedesmal so, als würde sie selber behandelt, wenn "Ali" von Dr. Manfred Krauß, dem Stellvertreter von Tiergartendirektor Dr. Alfred Seitz, aus respektvoller Entfernung mit dem Medikament beschossen wird.

Margarethe Storch sorgt jedoch nicht nur dafür, daß die hungrigen Mäuler gestopft und die Blessuren und Krankheiten fachmännisch behandelt werden, sondern auch für die Hygiene. Überhaupt ist Sauberkeit das erste Gebot im Tiergarten. Drum ist Frau Storch auch unentwegt mit Putzeimer, Scheuerlappen und Wasserschlauch in ihrem Revier anzutreffen.

13. Mai 1967: Seelöwin

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Wenn die Pforten des Zoos für die Besucher geöffnet werden, ist diese Arbeit schon verrichtet: bereits am frühen Morgen werden die Ställe ausgemistet, die Gehege gereinigt und die Tiere vom Nachtlager entlassen. Ein Paradebeispiel dafür ist Franz Kessler. Täglich sorgt er für all die Dinge, die die Tiere zum Leben brauchen. Er melkt die Ziegen, versorgt die Bisons und macht bei seinem besonderen Freund, dem Rotfuchs "Reinhardt" seine Visite. Vorsichtig schnappt sich Meister Reineke seine Leibspeise, weiße Mäuse, aus der Hand seines Herrn. Übrigens ist nicht er oder ein Löwe, Tiger und Bär das gefährlichste Tier, das am Schmausenbuck lebt. "Zu den Bisons würde ich nie reingehen. Der Bulle Bill würde mich sofort niederboxen", sagt Franz Kessler. Und wer einmal gesehen hat, wie der gute "Bill" am Morgen schnaubend aus dem Stall stürmt, der kann dem Pfleger nur recht geben.

Zu den Altgedienten im Nürnberger Tiergarten gehört auch Hermann Reyher. Besonders gut versteht er sich mit dem Kamelbullen "Iwan", dem unumschränkten Herrscher in seinem Revier. Reyhers Aufgabe besteht derzeit vor allem darin, "Iwan" von seinem Winterpelz zu befreien. Der Pfleger nimmt dazu eine gewöhnliche Gartenharke, und das Kamel läßt sich die Prozedur ohne einen Mucks gefallen.

Gut Freund ist Hermann Reyther auch mit den Eisbären. Wem von den Tiergartenbesuchern fällt schon einmal auf, daß diese Raubtiere alles Fressen auf ihre Pranken legen. Für Meister Petz sind diese nichts anderes als Werkzeuge. Für Aufregung am Eisbärhügel sorgt momentan "Hans", der auf seine alten Tage noch einmal ein "Gschpusi" mit "Alma" angefangen hat. Seine - egoistische - Zuneigung geht so weit, daß seine Auserkorene sich nicht einmal mit ihrer Freundin "Betty" abgeben darf. Seit Wochen schon geht "Hans" auf die betagte Bärin los, wenn sie sich nur am Höhleneingang zeigt. Oder mag er nur keinen Weibertratsch?

Noch schlimmer treibt es die "verwitwete" Seelöwin "Sonny", deren Gefährtin vor einem Jahr an Herzinfarkt gestorben ist, mit ihrem Pfleger. Die launische Dame holt sich ihr Essen direkt am Felsen ab, von dem aus Hermann Reyher seine Tiere mit frischen Fischen versorgt. Geradezu empört spuckt sie einen Hering aus. "Sonny" mag nämlich nur ausgenommene Makrelen, und sie versteht es auch, ihren Willen durchzusetzen. Dem acht Zentner schweren Bullen "Fritz" dagegen ist am liebsten, wenn er sich auf der Insel im Schwimmbecken als kleiner Akrobat betätigen darf. Ob links oder rechts, "Fritz" schnappt sich alle ihm zugedachten Happen.

Gut geschmiert

Eine besonders herzliche Atmosphäre zwischen Mensch und Tier herrscht im Affenhaus, das Günter Jäckl verwaltet. Das Orang-Utan-Baby "Murat" beispielsweise hängt wie ein Kleinkind an seinem Schürzenzipfel, wenn er das Mahl für die großen Menschenaffenfamilie bereitet. Zutrauliche, aber auch eigensinnige Zeitgenossen sind die Elefanten. Walter Sendlbeck und Bruno Regler wissen genau, daß mit den Dickhäutern nicht gut Kirschen essen ist, wenn sie nicht pünktlich um 9.45 Uhr ins Freigehege entlassen und um 16 Uhr wieder in die "gute Stube" dürfen. Im Winter werden die Elefanten mit Pferdefett eingeschmiert. Die Pfleger tun das notgedrungenermaßen im Abstand von drei bis vier Wochen: erst kommt die eine Hälfte dran, dann die andere.

13. Mai 1967: Seelöwin

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Der Grund ist einleuchtend: würden die Tiere auf einmal "gesalbt", könnte die Haut nicht mehr atmen. Am wichtigsten für die Tiergartenverwaltung aber ist das Fressen für die Tiere. Unzählige Zentner Fleisch, Heu, Kartoffeln, Gemüse und Früchte sind nötig, damit in den Revieren alles leben kann. Wer sich einmal hinter den Kulissen des Tiergartens umgeschaut hat, wird leicht verstehen können, daß das Fütterungsverbot nur zu berechtigt ist. Die meisten Besucher haben das inzwischen auch begriffen. Berge von Brot und Früchten, die täglich in den Futtersammelstellen abgegeben werden, beweisen das. Die Pfleger wissen nämlich am besten, was jedem ihrer Schützlinge bekommt. Besondere Leckermäuler sind da die Tapire. Ihr Leibgericht: Handwarmer Reis. Aber auch die Giraffen, Raubtiere und Vögel haben so ihre besonderen Spezialitäten.

Der Eindruck des Tages, an dem wir den Pflegern gefolgt sind: wenn sie um 18 Uhr den Heimweg antreten, dann dürfen sie das mit der Gewißheit tun, alles getan zu haben, daß auch am nächsten Morgen am Schmausenbuck alles kreuchen und fleuchen wird – zur Freude der Menschen, denen die Natur und ihre Flora und Fauna auch in unserem so hektischen Zeitalter noch etwas bedeutet.

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