13. November 1965: Aus engen Dörfern aufs freie Land

13.11.2015, 07:00 Uhr
13. November 1965: Aus engen Dörfern aufs freie Land

© Gerardi

Hermann Lorenz heißt der stolze Besitzer des bislang einzigen fertigen Aussiedlerhofes im Knoblauchsland. Er ist mit seiner Familie aus Schnepfenreuth fortgezogen, wo „sei Woar“ hoffnungslos eingekeilt lag und nicht einmal mehr um ein paar Zentimeter erweitert werden konnte. Jetzt hat der junge Landwirt nahe Schniegling alles beieinander: Feld, Gewächshäuser und Wohngebäude.

13. November 1965: Aus engen Dörfern aufs freie Land

© Gerardi

Der Bauer hat einen großen Sprung gewagt: aus dem Hof von gestern in den Landwirtschaftsbetrieb von morgen. Mit seinem Beispiel wird Hermann Lorenz nicht lange allein dastehen. Neben seinem nagelneuen Besitz erheben sich schon die gläsernen Gewächshäuser samt der „Markthalle“ (in ihr wird das Gemüse marktfertig gemacht) seines Kollegen Walbinger aus Buch, der alsbald auch einem alten Doppelhof entfliehen will. Das Wohnhaus der Walbingers ist soweit gediehen, daß es bald mit Leben erfüllt werden kann. Die Familie zieht dann aus der gelegentlich lärmerfüllten Nähe des Flughafens in die himmlische Ruhe mitten auf der Flur.

Die beiden Bauern haben den Mut gezeigt, die Segnungen der Flurbereinigung (dabei wurden die Felder neu verteilt) im Knoblauchsland bis zur Neige auszukosten. Aus der Erkenntnis „Jetzt haben wir alles so wirtschaftlich eingerichtet, nur die Hofstelle paßt nicht dazu“ zogen sie die Konsequenzen und direkt an ihre „Hauptzuteilungsfläche“. Waren die Flurbereinigung und der Bau von Beregnungsanlagen noch Unternehmen einer großen Gemeinschaft, so gehörten zum Entschluß, das angestammte Dorf zu verlassen, persönlicher Mut und eigene Tüchtigkeit. Ein Aussiedlerhof kostet schließlich – über den Daumen gepeilt – 200.000 DM.



Die neuen Bauten beweisen es recht eindrucksvoll, daß die Knoblauchsländer zwar ihrer Arbeit als Bauern nachgehen, sich aber als Städte fühlen. Die Wohnhäuser bieten alle Annehmlichkeiten dieser Zeit – vom schicken Bad bis zur Ölzentralheizung. Am meisten sind die Bäuerinnen über die sogenannte Dreckschleuse zwischen den Wirtschaftsgebäuden und den Wohnräumen erfreut, denn Duschen und Schuhablagen sorgen hier dafür, daß nicht länger mehr ganze Klumpen Erde ins Haus getragen werden.

Ansonsten unterscheiden sich die neuen Höfe in nichts von den Eigenheimen der Städter. „Unser Ziel ist es, das Gewächshaus für den Gemüsebauern zu dem zu machen, was für den Viehbauern der Stall ist“, sagt Heinrich Ermann, der Streiter für den Fortschritt im Knoblauchsland. In diesem Sinne gehören Gewächshäuser und Wohngebäude zusammen an eine Stelle. Daß Ermanns Ruf nicht ungehört verhallt, bestätigt sein Kollege Georg Schweiger aus Höfles, der jetzt bei seinen Feldern zu bauen begonnen hat.



Daß den Bauern ihre alten Dörfer immer enger und drückender erscheinen, rührt nicht zuletzt von ihrem Maschinenpark her, der immer größer wird. Sie brauchen mehr Platz, um all die Geräte unterzubringen. Die Maschine, die das Dasein des Städters einst entscheidend verändert hat, zwingt auch den Bauern zu neuen Lebensformen.

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