13. November 1966: "Köpfchen" beim Stimmenfang

13.11.2016, 07:00 Uhr
13. November 1966:

© Kammler

Die Kandidaten spüren in den Wahlkampfwochen, daß die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben. Von ihnen werden die Unermüdlichkeit eines „Perpetuum mobile“ und das Repertoire eines „Doktor Allwissend“ verlangt, kombiniert mit einer Erfindungsgabe, die jener ausgekochter Werbefachleute kaum nachsteht.

SPD-Bewerber Bertold Kamm schlachtet seinen Familiennamen aus. Er verteilt bunte Kämme. Erich Freiherr von Loeffelholz reist für die FDP übers Land und mischt sich unter akademischen Nachwuchs, während CSU-Landtagsabgeordneter Karl Schäfer – schon ein „alter Hase“ im Maximilianeum – mit alten Herren an einem Tisch sitzt und einen zünftigen Schafkopf klopft. Es ist also ein hartes Brot, auf „Stimmenfang“ auszugehen, wenn es auch – das sei nicht verschwiegen – zuweilen recht gut gewürzt ist. Das Arbeitspensum, das vier der 20 Landtagskandidaten in diesen sauren Wochen vor der Wahl erledigen müssen, schildert dieser Bericht.

13. November 1966:

© Kammler

Landtagsabgeordneter Karl Schäfer, der Vorsitzende des CSU-Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth, hängt hart in den Seilen und könnte nun statt seiner zwei Hände deren sechs gut gebrauchen. Er lenkt die Wahlkampf-Maschinerie seiner Partei und muß sich deshalb tagsüber um tausend Dinge kümmern. Abends macht er sich auf und tritt im Umkreis von 50 Kilometern bei Versammlungen an. Die knappe Zeit, die dann noch übrig bleibt, nutzt er gerne für ein persönliches Gespräch im kleinen Kreis, mit jungen, aber auch mit alten Leuten, die er beispielsweise in einer Tagesheimstätte am Geiersberg besucht.

„Täglich eine neue Grippe ...“

Inmitten der betagten Herrschaften trinkt er ein Täßchen und verteilt Kartenspiele, wobei es dann nicht ausbleiben kann, daß für einige Proberunden gemischt wird. Lag es nun jüngst am CSU-Stadtratsfraktionsvorsitzenden Dr. Oscar Schneider, der das Schafkopfen weniger beherrscht als die Kunst geschliffener Rede? Oder war es nur eine Pechsträhne? Im ersten Spiel brachte es der im Stimmkreis Nürnberg-Nord nominierte Karl Schäfer trotz vieler Trümpfe nur auf 55 „Augen“. Und am Ende gelang den Kartel-Experten unter den alten Herren sogar das Kunststück, die beiden CSU-Männer „schwarz“ werden zu lassen.

Vor solchen Überraschungen bleibt der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, Bertold Kamm, bestimmt gefeit. Aber er kämpft für die SPD mit anderen, wahlkampf-bedingten Schwierigkeiten. Auf seinen Wegen durch den Stimmkreis Nürnberg-Ost setzt er sich Wind und Wetter aus und harrt vor den Fabriktoren auf Männer und Frauen, um Kontakte zu ihnen aufzunehmen. „Ich hol‘ mir täglich aufs neue meine Grippe. Das ist einmal sicher“, seufzt der geborene Schwabe, der seinen Familiennamen im Tauziehen um Wählerstimmen wirkungsvoll zu verwenden versteht.

Er prägte den Spruch: „Sei auf Damm, wähl‘ Bertold Kamm!“ und verteilt dazu – außer den üblichen Schriften – bunte Kämme. „Es kommen lausige Zeiten“, erhält er dann meistens zur Antwort. Aber den Mann, der sich auf einen Landtags-Sessel setzen möchte, stört das nicht. Im Gegenteil! Über eine solche Flaxerei läßt sich mit den Leuten leichter ins Gespräch kommen. Und das möchte Bertold Kamm erreichen, erst recht, seitdem er von der Reaktion einer Frau erfahren hat: „Da sehn wir wenigstens, wie ein Kandidat aussieht. Den schaun wir uns genau an!“

Nicht weniger wetterhart als Bertold Kamm ist seine Parteifreundin Lieselotte Seibel, die im Stimmkreis Nürnberg-Mitte die Werbetrommel rührt. Die Lehrerin und Schuljugendberaterin postiert sich am zugigen Celtistunnel oder marschiert über den Hauptmarkt; auch wenn der Wind pfeift und die Marktfrauen ihren Wollschal enger ziehen. An sie und an die einkaufenden Hausfrauen verteilt Lieselotte Seibel Visitenkärtchen mit ihrem Konterfei. Wahrlich, sie trägt ihre Haut auf dem Hauptmarkt zu Markte.

Dabei hatte sie noch viel Pech. „Meinen größten Wahlkämpfer habe ich verloren“, meint sie, denn ihren Mann hat eine Krankheit an das Bett gefesselt. Nun übernahm der neunjährige Michael die Rolle des Reklamechefs für die Mutter, die zwischen Versammlungen, Hausbesuchen oder Marktgängen – „Frauen wollen die Frau kennen, die sie wählen“ – noch immer die Zeit für ihre Familie findet. „Eine schlechte Mutti wäre auch eine schlechte Parlamentarierin“, erklärte sie und kündigt geheimnisvoll an, daß sie für die letzten Tage vor der Wahl noch einige „Schlager“ in Reserve hat.

Erich Freiherr von Loeffelholz, der im Stimmkreis Nürnberg-Ost für die Freien Demokraten ficht, ist dagegen wie alle anderen Männer kaum noch zu Hause anzutreffen. „Jeden Abend eine Versammlung in Orten bis zu 150 Kilometer von Nürnberg entfernt, sehr viele Verbände, die sich für meine Arbeit interessieren“, beginnt der FDP-Landtagsabgeordnete die Liste seiner Wahlkampf-Tätigkeit, um danach – was die Verbände angeht – einzuschränken: „Arbeit für Verbände, wenn sie im gesamten Staatsgeschehen eingebettet ist, keine Gruppeninteressen!“

Daneben aber führt er viele Gespräche über das Volksschulgesetz, findet er erfreuliche politische Aufgeschlossenheit und sachliches Interesse, kümmert sich um die Entwürfe der Werbebriefe und um die Plakatierung und führt die laufende Beratung weiter. Zwischen ein und sieben Uhr liegt die Ruhepause, in der er neue Kräfte sammelt.

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