14. Mai 1966: Im Blickfeld von ganz Bayern

14.5.2016, 07:00 Uhr
Hoher Besuch traf am 2. Juni 1906 in Nürnberg ein: Seine Königliche Hoheit Prinz Georg von Bayern (dritter von li.). Die würdigen Herren links neben ihm mit Melone sind Direktor Karl Dörr und der Adjutant S. K. H. Rittmeister Freiherr von Feilitzsch. Bemerkenswert ist auch die königliche "Karosse".

© Privat Hoher Besuch traf am 2. Juni 1906 in Nürnberg ein: Seine Königliche Hoheit Prinz Georg von Bayern (dritter von li.). Die würdigen Herren links neben ihm mit Melone sind Direktor Karl Dörr und der Adjutant S. K. H. Rittmeister Freiherr von Feilitzsch. Bemerkenswert ist auch die königliche "Karosse".

Fünf Monate lang war der Luitpoldhain Schauplatz jener Ausstellung, in der Industrie, Gewerbe und Handwerk die Früchte ihres Fleißes darboten. Mit diesem Ereignis setzte Nürnberg gleichzeitig einen bedeutenden Schlußakkord unter die Jahrhundertfeier seines Anschlusses an das Königreich Bayern Anno 1806. Es war ein besonderes Verdienst des Oberbürgermeisters Dr. Georg Ritter von Schuh gewesen, daß die Stadt noch einmal den Glanz einer Landesausstellung erlebte, um den sie seinerzeit München nicht nur beneidete, sondern den sie auch gerne geraubt hätte. Mit List und Tücke aber hatte es das Stadtoberhaupt, das 1845 in Fürth geboren und von 1892 bis 1914 Erster Bürgermeister der ehemals freien Reichsstadt war, noch einmal verstanden, die Landesausstellung hierher zu bringen und damit Millionen von Fremden anzulocken.

Der Sohn des berühmten Bürgermeisters, Dr. Wolfgang-Christian von Schuh, schildert im folgenden Bericht, welche Attraktionen das Jahr 1906 beschert hat. Allein die Abende auf dem Ausstellungsgelände, die einem Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“ glichen, bildeten lange das Stadtgespräch: da flammten über 100.000 Glühbirnen an allen Gebäuden auf, da wurde auf die aus 142 Mundstücken gespeisten Fontänen in Teppichbeeten und Palmengruppen Hochdruck gelegt, so daß das Wasser 30 Meter hochschoß, da warfen rotierende Scheinwerfer ihre Lichtbündel auf die Strahlen, die sich in Millionen Tröpfchen auflösten und wie bunte Perlen ins Bassin plätscherten. Das alles hat Dr. rer. pol. Wolfgang Christian von Schuh, der heute 76jährig in Heilsbronn lebt und als einer von vier Menschen auf der ganzen Erde den Namen „von Schuh“ trägt, selbst miterlebt, doch er hat auch aus allernächster Nähe erfahren, welche Anstrengungen sein Vater unternehmen mußte, um der Stadt Nürnberg dieses Glanzlicht aufzusetzen.

Die rührigen Nürnberger hatten schon erkannt, daß die Bürger eine Gelegenheit suchen, die Werke ihrer Schaffensfreude und ihrer Erfindungsgabe vor aller Welt zur Schau zu stellen. Bereits 1882 setzten sie die erste Landesausstellung für Industrie, Gewerbe und Kunst in Szene, die noch – wie ihre kleineren Vorgänger – im bescheidenen Rahmen abgehalten wurden. Auf nur 120.000 Quadratmeter Fläche im neugeschaffenen Stadtpark sahen zwei Millionen Besucher von Mai bis Oktober 1882, was die Industrie zu leisten vermag.

14. Mai 1966: Im Blickfeld von ganz Bayern

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Die zweite Landesausstellung von 1896, die nunmehr 70 Jahre zurückliegt, war besonders den Fortschritten der elektrischen Industrie auf dem Gebiet der Beleuchtung und Kraftübertragung gewidmet. Ihr Hauptgebäude im Stadtpark, das an eine chinesische Pagode erinnerte und vielen Nürnbergern noch als Restaurant in Erinnerung ist, stand im Mittelpunkt einer erweiterten Fläche von 162.400 Quadratmetern. 487 bayerische Gemeinden mit 2.407 Ausstellern holten sich das Lob des Landesvaters, denn Prinzregent Luitpold äußerte sich höchst anerkennend über die Fülle der Schaustücke und die großartige Anlage.

Solche Hymnen aus fürstlichem Munde ermutigten die Stadt, zehn Jahre später an eine neue Ausstellung zu gehen, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht gerade günstig waren und manche Kreise befürchteten, es könne eine gewisse Ausstellungsmüdigkeit eintreten.Diese Bedenken wurden jedoch um so leichter überwunden, als eine Heerschau der Industrie in Düsseldorf den Ansporn gab, die bayerische Entwicklung ins rechte Licht zu rücken und damit zu zeigen, daß der Süden nicht zurückgeblieben war.

Vom Ödland zum Park

Es bedurfte jedoch eines dreijährigen zähen Kampfes des 1. Bürgermeisters und Geheimen Hofrats Dr. Ritter von Schuh, der in aller Stille, dafür aber nicht weniger kraftvoll focht, um Nürnberg zum dritten Mal Schauplatz einer Landesausstellung werden zu lassen. Die Münchner hatten nämlich erkannt, welchen Nutzen eine gut organisierte Schau bringen kann.

Als wesentliches Argument gegen Nürnberg wurde vorgebracht, daß Maxfeld für eine weitere Ausstellung viel zu klein sei und auch durch den Ankauf benachbarter Grundstücke nicht vergrößert werden könne. Dr. von Schuh aber hatte vorgebaut, so daß er solchen Argumenten mit einem geschickten Schachzug entgegentreten konnte. Auf seinen Auftrag hin war um die Jahrhundertwende das Ödland zwischen der Peterskirche und dem Dutzendteich mit Müll und Sand aufgefüllt worden. Danach wurde es zu einem Park umgestaltet.

Wohlgerüstet konnte der Oberbürgermeister zur Audienz beim Prinzregenten fahren. Er trug die Pläne der Ausstellung fix und fertig bei sich, besaß eine Liste der Voranmeldungen, Kostenvoranschläge, Skizzen der Gebäude und ihrer Innenausstattung, die Geländegestaltung war ebenso festgelegt wie die Gartenanlagen in dem großzügig erweiterten Projekt. Als Ritter v. Schuh dies alles vor dem Herrscher ausbreitete, da bekam er nicht unerwartet zu hören: „Das ist alles sehr gut und schön und findet mein volles Einverständnis. Aber das Maxfeld ist doch viel zu klein. Schließlich soll alles größer werden als 1882 und 1896!“

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© Helmut Beer

Die Antwort des Stadtoberhauptes kam wie aus der Pistole geschossen und es entspann sich folgender Dialog: „In Maxfeld wollen wir die Ausstellung auch gar nicht halten, Königliche Hoheit.“ – „Nicht? Ja, wo denn dann?“ – „Im Luitpoldhain, Königliche Hoheit!“ – „Luipoldhain? Ja, haben Sie denn in Nürnberg einen Luitpoldhain?“ – „Wir haben das Ausstellungsgelände bereits vorbereitet; es war früher das Ödland zwischen Peterskirche und Dutzendteich.

Die vier Nummernweiher wollen wir auch mit hereinnehmen. Und nun möchten wir untertänigst bitten, zu genehmigen, daß wir das Gelände nach unserem allverehrten Landesvater Luitpoldhain nennen dürfen.“ Diese Überraschung verfehlte ihre Wirkung auf den Prinzregenten nicht. Nürnberg war die Ausstellung sicher. Dr Ritter von Schuh hatte sie für seine Stadt gerettet.

Schulkinder mußten jubeln

Am 12. Mai 1906 um 9 Uhr traf „Seine Königliche Hoheit“ Prinz Ludwig, der nachmalige König Ludwig III., mit dem Hofzug in Nürnberg ein, um im Auftrag seines hochbetagten Vaters die III. bayerische Landesausstellung zu eröffnen. Im Festtagsstaat erwarteten ihn am Bahnhof der Bürgermeister, Geheimrat Dr. Ritter von Schuh, an der Spitze der städtischen Kollegien, der Generalität, der Vorstände der Behörden und leitenden Herrn der Wirtschaft. Die jüngste Tochter des Stadtoberhauptes (sie war eines von fünf Kindern) trug einen Willkommensgruß vor, überreichte einen Blumenstrauß und wurde mit einem fürstlichen Kuß auf die Stirne belohnt.

Danach zog der Prinz durch das Königstor in die Stadt ein, die über alle Toppen geflaggt und geschmückt war. Auf der Burg wurden ihm die Ehrengäste vorgestellt, ehe sich die Wagenkolonie in Richtung Luitpoldhain in Bewegung setzte. Der Karawane voran ritt eine Ehreneskorte des 1. Chevauleger-Regiments mit Musik. Im vierspännigen Hofwagen saß Prinz Ludwig in der Uniform eines Generalobersten neben dem Stadtoberhaupt. Es folgte erneut eine Abteilung der Ehreneskorte, der sich erst die Honoratioren anschlossen. Am Schluß des Zuges ritten Schutzleute in Paradeuniform.

Auf der ganzen Strecke standen Schulkinder Spalier, die dem hohen Gast zujubeln durften. Dafür wurden sie später mit einem Lebkuchen in Größe eines Schulbuches belohnt. Der Prinz erhielt für seine Gattin Therese einen Lebkuchen überreicht, den ihm zwei Jungfrauen in alter Tracht mit einem Weihespruch darbrachten. Diese Spezialität war 80 Zentimeter lang, mit Früchten, Nüssen und Mandeln verziert, trug das Bild der Burg und die beiden Stadtwappen, dazu noch eine Inschrift aus Zuckerguß.

Bei einem Rundgang durch die Ausstellung sah sich „Seine Königliche Hoheit“ auch in den beiden Gebäuden der Stadt Nürnberg um, die einmal der Verwaltung – angefangen bei den Betriebswerken über die Gesundheitspflege bis hin zum Schulwesen – gewidmet waren, zum anderen einen historischen Rückblick mit Kunstwerken des heimischen Gold- und Silberschmiedehandwerks, sowie Altären, Statuen und Gemälden sakralen Charakters boten; Zimmer aus verschiedenen Jahrhunderten rundeten das Bild ab. Die Bauten der Stadt waren ebenso wie die übrigen Hallen malerisch in den großen Park mit einer Gesamtfläche von 600.000 Quadratmetern verteilt.

Voll angemehmer Eindrücke, zu denen auch die großartige Festbeleuchtung des Luitpoldhains zählte, reiste der Prinz am Abend nach Neumarkt ab, um jedoch schon am 29. Mai desselben Jahres noch einmal für mehrere Tage ganz inkognito und privat wiederzukehren. Er wohnte bei Bürgermeister von Schuh auf dem Egidienplatz 27, gleich neben dem Pellerhaus. Bei den Besichtigungen verschiedener Industriebetriebe und städtischer Einrichtungen wurde Ludwig von seinem Adjutanten und Kammerdiener Engel begleitet, den er „mein guter Engel“ zu nennen pflegte.

Die organisierten Besuche genügten aber dem Prinzen nicht, so daß er sich eines Tages den jüngsten Sohn des Bürgermeisters zur Seite nahm und zu ihm sagte: „Höre mal, Christian, du mußt mich führen und mir manches zeigen!“ – „Aber Königliche Hoheit, das kann doch mein Vater viel besser.“ – „Nein, das ist es nicht. Dein Vater zeigt mir immer die modernsten Betriebe mit den besten Einrichtungen für die Arbeiter, die neuesten Krankenhausbauten und die jüngsten Siedlungen. Ich will aber auch das älteste Schulhaus, den rückständigsten Betrieb und die schlechtesten Wohnungen sehen. Du mußt sie mir zeigen, denn du kennst dich gut aus!“

So zogen sie denn miteinander los, der Prinz und der Gymnasiast, wie Großvater und Enkel in alten abgetragenen Kleidern, „um nicht aufzufallen“, obwohl Engel gewarnt hatte wie immer: „So fallen S' erst recht auf, Kö Hoheit!“ Aber Ludwig setzte seinen Kopf durch und lernte die Kehrseite der Stadt kennen. Über die Geheimausflüge wurde kein Sterbenswörtchen verlautet; nicht einmal der „Stadt-Ober“ erfuhr etwas davon.

Am köstlichsten gestalteten sich die Besuche in alten Wohnungen, für die ein Erlebnis zwischen Hans-Sachs-Platz und Wöhrder Tor spricht. Über eine knarzende Treppe ging der Prinz an der Seite des Gymnasiasten in den dritten Stock eines wackligen Hauses hinauf, wo ihnen auf ihr Klingeln hin eine Frau in unbeschreiblichem Aufzug öffnete und mit der Frage entgegentrat: „Was wollen S' denn?“ Der Prinz: „Ich möchte mich erkundigen, wie sie hier wohnen.“

Da sprudelte es aus der Frau hervor: „Wohnen Sie einmal in so einem Drecksloch. Da kann nur der Rote Hahn helfen!“ Die beiden mußten sich das Lachen verkneifen, weil der Adjutant des Prinzen ausgerechnet Rotenhahn hieß. Gegenfrage und Antwort folgten wie der Blitz dem Donner: „Kann denn nicht dafür gesorgt werden, daß mehr gebaut wird?“ – „Da fehlt das Geld, die in München behalten alles selber, die sorgen nur für sich; dort bauen sie die schönsten Häuser, Museen und Theater, und wir kriegen einen Dreck!“ Als der Prinz vorsichtig forschte, ob denn das Geld nicht gleichmäßig auf Südbayern und Franken verteilt werde, da wurde er barsch fortkomplimentiert, denn die Frau machte ihrem Herzen erneut Luft: „Ich glaub, Sie sind auch einer von denen da drunten oder gar vom Landtag, die überhaupt nicht für unsereinen sorgen. Jetzt machen S' aber, daß sie weiterkommen. Sie halten mich bloß von der Arbeit auf.“ Mit lautem Krach flog die Türe zu.

Das waren die guten alten Zeiten, in denen Nürnberg noch die Erzeugnisse des ganzen Landes zur Schau stellen durfte. Von diesem Glanz sind ihm in der Amtszeit des neunten Oberbürgermeister nach Dr. Ritter von Schuh nur die Spielwarenmesse und einige kleinere Ausstellungen geblieben.

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