14. November 1965: Hausschmuck mit Phantasie

14.11.2015, 07:00 Uhr
14. November 1965: Hausschmuck mit Phantasie

© Christa-Sabine Schenk

Allein die Tatsache, daß diese „Zellen aus Beton“ – abgerundete Gemeinschaften also – an der Peripherie der Stadt entstehen, begründet diesen Hang nicht. Ihn bewirkt viel eher das Zusammenspiel von Architektur „in Stein“ und Architektur „in Grün“. Das Tüpfelchen aufs i bildet der besondere künstlerische Schmuck.

Durch das Tempo unserer Zeit wird es vielen Hastenden gar nicht erst klar, wie sehr gerade diese Werkkunst am Bau – sie trägt den Stempel unserer Epoche – imstande ist, das sonst so kühle Einheitsbild neuerer Wohnsilos zu unterbrechen. Mehr als 30 Künstler sorgen in Nürnberg für das „besondere Etwas“ an den Gebäuden.

14. November 1965: Hausschmuck mit Phantasie

© Gerardi

Brunnen, Figuren, Reliefs, Keramikarbeiten sind in der unterschiedlichsten Ausführung ebenso anzutreffen wie Skulpturen, Wandmalereien, Glasmosaiks und freie Plastiken. Sie alle erfüllen das Schmuckbedürfnis, das es seit Beginn der Menschheit gibt. Was in der Prähistorie galt – archaische Höhlenzeichnungen sind überliefert –, trifft auch heute weiter zu: die „Behausung“ wird geschmückt. Dabei hat weder die persönliche Neigung noch die Initiative des Bauplaners nachgelassen.

Das Ringen um die jeweilige Aussagekraft – erst in 30 Jahren vielleicht werden Stil und Bedeutung gemessen werden können – trägt der Künstler. Im Gespräch mit dem Architekten, der ihm Fassade, Treppenhaus oder Innenhöfe des Projektes „offeriert“, werden Ideen wach und Vorstellungen reif. Entscheidend ist, daß die Architektur eines Hauses oder Häuserkomplexes den Schmuck „verträgt“, daß sie das „von Haus aus“ Schöne mit einer Zutat unterstreicht. „Denn Kunst am Bau“, so bemerkt dazu Architekt G. G. Dittrich, „ist Freude am Spiel oder Spiel mit Freude“.

„Spielend“ geht das Werk der Nürnberger Maler und Plastiker deshalb freilich nicht vonstatten, denn neue Techniken werden von ihnen verlangt. Für das – übrigens seit dem 14. Jahrhundert geübte – Sgraffito, das in vielen Varianten in der Stadt zu sehen ist, ist der erforderliche Edelputz zu teuer geworden. „Wenn man an die Bauunterhaltslasten denkt, empfehlen sich immer stärker die gemauerten oder verlendeten Wände“, sagt dazu Baudirektor Otto Peter Görl. Der stahlharte Beton ist als billigeres Element in den Vordergrund gerückt, und die Künstler müssen fräsen und ritzen oder durch eine Negativschalung aus Holz, Ton oder Gips ein Relief nachträglich an der Fassade anbringen.

Bisher ist es üblich, daß 2 v. H. der Bausumme für künstlerischen Schmuck an Staatsbauten aufgewendet werden. Bei städtischen Gebäuden erhöhte sich dieser Betrag – durch einen Stadtratsbeschluß im letzten Jahr – von 0,5 v. H. auf 1 v. H. Von einer Kommission der städtischen Kunstsammlungen werden Alternativvorschläge gemacht, an zwei oder drei Künstler wird der Wunsch herangetragen, ihre Entwürfe einzureichen und schließlich wird entschieden . . . Seit 1950 sind 74 solcher Einzelaufträge an Künstler vergeben worden.

Den Auftrag erhält beileibe nicht derjenige, der schon „solch einen Namen“ hat, sondern jener, der die Aufgabe im Sujet, in der Thematik und so sinnvoll löste, daß sich die Ausführung in das Baugefüge harmonisch einfügt. Immer wieder sind andere Elemente bestimmend, mal ist es der „Durchbruch zur Farbe“, mal die formale Gestaltung. Auf „Briefmarken“ wird kein Wert gelegt. Die Werkkunst am Bau, stets Ausdrucksform eines Zeitgeschmacks, hält heute nichts mehr von der Bauzier des Mittelalters, der marinierten Strenge in der Neuzeit oder von der Pseudoromantik des 19. Jahrhunderts. Als nach dem Krieg im Wohnungsbau die Quantität vor der Qualität rangierte, hatte sich noch kein neues „künstlerisches Bild“ entwickelt. Erst um 1955, als durch die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt an der Rothenburger Straße eine Wohnanlage großen Stils entstand, rückten die Künstler an die Front und entfalteten mutige Ideen.

Dieser „Nürnberger Versuch“ galt vor zehn Jahren als Wagnis. Die WBG konstruierte sozusagen einen Modellfall dafür, wie Baufronten und Baukörper in sich „verlebendigt“ werden können. Inzwischen hat sich dieses gelungene Experiment fortentwickelt, wenn auch die zunehmende Verschuldung der Städte den Künstlern Sorge macht. Dabei ist längst klar, daß die meist farbenprächtige Beigabe – ob bei Schulbauten oder Wohnsiedlungen – die Phantasie der Ein- und Ausgehenden beschwingt.

So sehr das Schmuckbedürfnis an öffentlichen oder modernen Mietbauten floriert – von Eibach bis Wetzendorf, Ziegelstein bis Langwasser sind die Zeugnisse künstlerischer Aussage zu finden –, so wenig stößt es gegenwärtig noch bei den privaten Bauherren auf Gegenliebe. Nur vereinzelt sind an neuen Einfamilienhäusern Keramikarbeiten aus farbigen glasierten Platten, behauene Natursteine oder gar freistehende Plastiken zu finden. Verständlich ist das Argument der Hausbesitzer, die wir befragten: „Das Bauen allein ist schon kostspielig genug – und es wird immer teurer, als daß wir uns noch ein ,Extra´ leisten könnten!“

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