14. Oktober 1965: Kommt Fritz in den Kindergarten?

14.10.2015, 07:00 Uhr
14. Oktober 1965: Kommt Fritz in den Kindergarten?

© Gerardi

Von wie vielen Altersgenossen sie darum beneidet werden, besagt keine Statistik. Es läßt sich auch schlecht schätzen; denn in manchen dichtbesiedelten Stadtteilen müssen Eltern ihre Kleinkinder schon lange vor dem dritten Geburtstag anmelden oder vormerken lassen.

Wie lang solche Wartelisten werden, liegt im Ermessen der Leiterin. Gelegentlich kommen Fristen bis zu einem Jahr vor, ein halbes Jahr ist durchaus keine Seltenheit. Und doch findet man immer wieder Kindergärten, in denen das Angebot an Plätzen sich mit der Nachfrage deckt. Grundsätzlich darf jeder Bub und jedes Mädchen zwischen drei und sechs Jahren in einem Kindergarten aufgenommen werden; es sei denn, das Kind ist krank, körperbehindert oder entwicklungsgehemmt. Für solche Fälle gibt es Sonderkindergärten.

Neue Kindergärten kommen hinzu

Nürnberg besitzt 102 dieser segensreichen Einrichtungen, die den Müttern entweder die Berufstätigkeit möglich machen oder ihnen zumindest einen allein der Hausarbeit vorbehaltenen Vormittag garantieren. Jährlich verlängert sich diese Liste um ungefähr acht, von denen fünf die Stadt baut und unterhält. Die freien Träger planen ebenfalls acht Kindergärten. Heuer dürften jedoch insgesamt nur acht hinzukommen, weil drei alte aufgelassen werden und dafür Ausweichquartiere nötig sind.

Die meisten der 102 Gärten gehören zu einer evangelischen Kirchengemeinde: es sind genau 42 mit 2.866 „Sollplätzen“. Die katholische Kirche unterhält 26 mit 1917, die Stadt 24 mit 1.377 Plätzen. Auf das Konto der Arbeiterwohlfahrt gehen drei Kindergärten, in denen 97 Buben und Mädchen aufgenommen werden können, ebenfalls drei mit allerdings 206 Plätzen sind in Betrieben eingerichtet, vier haben private Spender, die für 162 Kinder aufkommen. Das BRK und die Steinerschule haben je einen Kindergarten für insgesamt 108 Schützlinge bauen lassen.

Alle diese Häuser sind sowohl vormittags als auch nachmittags offen, aber nicht überall werden die Kinder über Mittag dabehalten. In den städtischen wärmt man die mitgebrachten Portionen auf, in einigen kirchlichen aber gibt es ganze Mahlzeiten – trotz Personalmangels und trotz des erstaunlich geringen Essenspreises von beispielsweise 60 Pfennig im Kindergarten St. Johannis. Dafür bleiben dort von einer 132köpfigen Schar auch gleich 80 Buben und Mädchen zu Tisch da.

Probleme mit den Eltern

Wieviel Geduld, Verständnis, Nervenkraft und Phantasie nötig sind, damit eine „Tante“ oder „Kinderpflegerin“ den langen Tag mit Dutzenden von lärmenden, lachenden, weinenden und spielenden „Wackerlas“ durchzustehen vermag, kann sich jede Mutter denken. Doch oft genug müssen sich Schwestern, Tanten und Leiterinnen über mangelnde Einsicht „ihrer Mütter“ beklagen

Da werden die Buben und Mädchen in aller Herrgottsfrühe lange vor der Öffnungszeit hergebracht, da meckert man über zu hohe Beiträge oder über die Wartezeiten. „Es ist schon vorgekommen, daß Eltern ihren Sprößling eines Tages unangemeldet, aber mit dem Butterbrottäschchen um den Hals hier ablieferten und sehr ungehalten waren, als wir ihn nicht gleich dabehalten haben“, erzählt Schwester Gertrud, die Leiterin vom evangelischen Kindergarten St. Johannis.

Von angespannter Personal- oder Finanzlage ist in den Betriebskindergärten weniger zu spüren. Oft locken die Unternehmer ihre Angestellten mit gut geführten Einrichtungen, in denen es für wenig Geld Mahlzeiten und für dreißig Schützlinge je eine Tante und eine Helferin gibt – und die arbeiten dort unter Bedingungen, von denen anderswo ihre Kolleginnen noch nicht einmal zu träumen wagen. Dabei können sich die Jugendämter über Nachwuchsmangel bei Kindergärtnerinnen oder Kinderpflegerinnen nicht beklagen; und auch für kirchliche Kindergärten reicht der Bedarf noch gerade so eben aus.

Vom verlockenden Beispiel Schweden, dem Land mit den vielfältigen sozialen Einrichtungen, ist man hierzulande noch weit entfernt. Doch auf innerdeutsche Verhältnisse übertragen, kann Nürnberg sich mit seinen Kindergärten durchaus sehen lassen.

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