14. September 1966: Vorhang auf im Musentempel

14.9.2016, 12:46 Uhr
14. September 1966: Vorhang auf im Musentempel

© Ulrich

Der Musentempel gleicht seit acht Tagen einem Bienenhaus. Sechs Premieren für Aufführungen der verschiedensten Kunstgattungen stehen auf dem Spielplan. Sie werden in ausreichenden Räumen gleichzeitig einstudiert. Nur ein "Generalstabsplan" macht möglich, daß alles reibungslos klappt.

Das Hämmern und Rattern, das Bauarbeiter um das sinnvoll ausgeklügelte Erweiterungsgebäude verursachen, hält noch ein Weilchen an. Es bildet gegenwärtig die "Musik" für die rund 600 Angehörigen des Theaters, die dennoch froh sind, daß ihre eigentliche Alltags-Kulisse verbessert wird.

Am Richard-Wagner-Platz nichts Neues? Keineswegs. Lauter Individualisten, vom Fieber der künstlerischen Vollendung gepackt, hängen ihre ganze Kraft zunächst ans "Vorspiel", das zu Theaterereignissen heranreifen soll. Überall im Labyrinth des Opern- und Schauspielhauses sind die Avantgardisten aller Schattierungen im Gange, Nürnbergs Ruf als Pflegestätte der Kunst zu erneuern und anzuheben.

Sanften Paukenschlägen gleich folgt nacheinander Echo um Echo: am 16 September die Premiere des "Fliegenden Holländer", am 17. September des "Graf von Luxemburg", am 18. September mit "Hamlet", am 24. September mit dem Western "Wind in den Zweigen des Sassafras", am 28. September mit "Die Tage des Menschen sind wie der Wind". Aber auch bei der Premiere am 1. Oktober des "Vetter aus Dingsda" im Stadttheater in Fürth wird es am reichlich vorhandenen "Wind" auch nicht fehlen.

14. September 1966: Vorhang auf im Musentempel

© ulrich

Bis der Beifall von den 3500 (hoffentlich häufig vollbesetzten) Sitzplätzen aufbrandet - so viele errechnen sich aus Opernhaus, Schauspielhaus, Kammerspielen und Fürth -, vergehen also noch einige Tage. In der Theaterschreinerei fällt Sägemehl zu Haufen, in der Malerwerkstatt werden die Spritzkübel schier nicht leer, und in der Maskenbildnerei, der Arno Häfner vorsteht, drehen versierte Fachkräfte unentwegt Locken und Löckchen, schnitzeln Bärte und stutzen Backenbärte.

Weit über 200 Perücken wurden mühselig geknüpft, auf Rollen gedreht, onduliert und zurechtfrisiert, das geht nur so - wie‘s Brötchenbacken. Allein das Ballett rund um den Herrn Grafen von Luxemburg braucht gleich drei Haar-Ganituren . . . Und geschminkt werden müssen die vielen Jünger der Muse ja auch!

Apropos Ballett: sieben "Neuzugänge" sind zu verzeichnen, und das aus 30 Spitzentänzern zusammengesetzte Ensemble ist wieder komplett. Aber selbst die Tatsache, daß der international bekannte Solotänzer Paul Bierck engagiert werden konnte - das Probieren und Neueinstudieren bleibt unvermeidlich. An jedem Tag, auch samstags und sonntags, wird acht Stunden lang hart trainiert.

"Um die Geschmeidigkeit wieder zu erreichen - nach der Sommerpause nämlich -, konnten die Damen und Herren in den ersten Tagen vor Gliederschmerzen kaum mehr laufen!", sagt Ballettmeisterin Hildegard Krämer. "Der Muskelkater verursachte nur noch eine einziges Stöhnen!"

Diese Leistungssportler unterscheiden sich wiederum von den Kostümbildnern. Sie schaffen auf ihre Weise regelrecht Mammutarbeit, um die Entwürfe - auf dem Papier - zu verwirklichen. Spitze, Samt und Seide, Fell und andere Acessoires stehen ihnen zur Verfügung. Phantasie und Wissen sind Trumpf, vor allem bei Margret Kaulbach (kurz "Kauli" genannt), die als Chefkostümbildnerin mit langer Berufserfahrung gegenwärtig kaum mehr weiß, wo sie, von mehr als 40 Händen assistiert, zuerst zulangen soll.

Der Zeitdruck hinter den Kulissen ist der unerbittlichen Diktator. Und die Trägerin der jeweiligen Roben auf der Bühne muß zufriedengestellt sein. Bei den Dekorations- und Beleuchtungsproben geht es nicht minder "rund" zu. Operetten-Oberspielleiter Kurt Leo Sourisseaux hat ein unbestechliches Auge. Doch die Vorbereitungen klappen wie am Schnürchen - auch im nagelneuen Ballettsaal und auf der neuen Probenbühne, die Original-Maße hat und wo gegenwärtig der "Babier von Sevilla" gewissermaßen Einstand feiert.
 

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