15. Januar 1966: Den "Ehedoktor" schon gemacht

15.1.2016, 07:00 Uhr
15. Januar 1966: Den

© Kammler

Liebe, das gemütliche Zuhause, erhöhte Konzentration, seelische Ausgeglichenheit, geistige Zusammenarbeit mit dem Partner und nicht zuletzt der Wunsch nach Kindern: das sind die Gründe für den Gang zum Traualtar gewesen, durch den sie – so versichern jedenfalls die Verheirateten – an menschlicher und geistiger Reife gewonnen haben.

Der Lernende werde ruhiger, überlegter und zielbewußter. Er erkenne die Verantwortung, die er zu tragen hat. Nun ist auch der Ehestand nicht zuletzt ein Finanzproblem. In vielen Fällen muß deshalb das für den Lebensunterhalt unentbehrliche Kleingeld durch harte Arbeit beider Eheleute verdient werden. Auch bei der Wohnungssuche haben verheiratete Studenten mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden. „Selbst ist der Mann“, heißt deshalb die Parole der Mutigen. Wie sie es schaffen, schildert dieser Bericht.

Unterm Dach – juchhe! – hat es sich der 24jährige Student der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Hans Peter Pohl zusammen mit seiner gleichaltrigen Frau Gunhilde gemütlich gemacht. Die Wohnung in der Bismarckstraße ist klein, gerade Platz genug für die beiden und ihren 15 Monate alten Sohn Michael. Aber sie kostet nichts, Gunhildes Vater hat sie zur Verfügung gestellt. Deshalb steht Hans Peter Pohl auch finanziell besser als so mancher seiner verheirateten Kommilitonen. Der junge Studiker hat es besonders günstig „erwischt“. Seine Frau muß nicht zur Arbeit, denn sie hilft im Haushalt ihrer Eltern mit und so ist man eine große Familie.

Mit guten Vorsätzen, Ersparnissen und der Abfindung eines Leutnants der Reserve gründete Hans Peter vor knapp zwei Jahren seinen Hausstand. Er stand damals gerade am Anfang des Studiums. „Ich habe geglaubt, Studium und Ehe vereinbaren zu können. Es ist mir gelungen“, erklärt der junge Vati. Zwar ist er weit mehr eingespannt als seine Altersgenossen im Hörsaal – Lernen, Arbeiten – aber er hat Spaß an seinem Leben.

Keine großen Sprünge

Er erhält vom Staat allmonatlich eine finanzielle Unterstützung, die sich zum Teil auch nach seinen Leistungen richtet. Und dann verdingt er sich an den Wochenenden als Kraftfahrer eines Fuhrunternehmers. Das Geld reicht gerade. „Große Sprünge aber können wir nicht machen“, sagt Frau Gunhilde. Doch sie besitzt Geduld und wartet auf die Zeit nach dem Studium ihres Mannes, wo es ihnen sicher besser gehen wird. Der 24 Jahre alte Baldur Popp und seine um ein Jahr jüngere Frau Heidi kannten sich schon, als sie noch zur Schule gingen. Jetzt drückt nur noch Baldur die harte Bank des Lernenden. Heidi steht vor den Bänken. Sie ist Lehrerin und verdient so gut, daß ihr Mann ohne das Gefühl, studieren zu „müssen“, arbeiten kann. Auch er lernt an der Wiso-Fakultät, im zweiten Semester.

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Baldur Popp ist ein „Spätberufener“. Er arbeitete vor seinem Studium als Fernsehtechniker beim Bayerischen Rundfunk. Vor eineinhalb Jahren heiratete er seine Verlobte Heidi, die damals an der Pädagogischen Hochschule studierte. Nach sechs Monaten ließ er sich immatrikulieren. Neben dem Studium warten jetzt auf den 24jährigen die verschiedensten Hausarbeiten. Er muß abspülen, putzen, staubsaugen. Er macht es mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen, denn er ist glücklich. „Meine Frau und ich lieben uns. Das war auch der Grund, warum wir geheiratet haben. Den Gefahren eines ledigen Studenten bin ich nicht mehr ausgesetzt. Ich sitze abends brav zu Hause.“ Das Lernen fällt ihm nicht schwer. „Ich bin innerlich ausgeglichen und kann mich konzentrieren. Außerdem unterstützt mich meine Frau Lehrerin mit guten Ratschlägen“, sagt er.

Finanziell geht es beiden recht ordentlich. Neben dem Lehrergehalt Heidis bekommt Baldur eine staatliche Beihilfe und während der Semesterferien den Lohn für harte Handarbeit. Herr und Frau Popp haben sich am Stresemannplatz eine nette Wohnung eingerichtet und leben wie andere Bürger auch. „Das Leben ist für mich zu einem Paradies auf Erden geworden, seitdem ich verheiratet bin“, erklärt der 29jährige griechische Student Panagiotis Mandikas, der Vorlesungen an der Wiso-Fakultät hört und nebenbei noch Politische Wissenschaften studiert. Er ist seit 1961 in Nürnberg und drei Jahre lang mit seiner 25jährigen Frau Renate verheiratet. Tino (2 Jahre) und Katja (9 Monate) heißen ihre Kinder. Die Familie übernahm in der Fürther Straße die große Wohnung von Renates Eltern. Finanzielle Sorgen kennen sie nicht, weil sie von Eltern und Schwiegereltern unterstützt werden.

Panagiotis studiert im siebten Semester und ist in den drei Ehejahren zu „einem anderen Menschen geworden“, wie er selbst sagt. Als er 1961 in Nürnberg ankam, nahm ihn das Leben der westlichen Großstadt gefangen. Er ging aus und sah sich um, auch im Nachtleben. „Und das nicht selten“, gesteht er. „Jetzt habe ich zu mir gefunden. Ich habe erkannt, daß es Werte für einen Mann gibt, die er nicht findet, wenn er ledig ist.“ Das Studieren fällt dem Griechen leicht, weil er nicht abgelenkt ist. Denn neben dem Lernen gibt es für ihn nur die Familie. Die ist keine Ablenkung für ihn. Deshalb erklärt er, Studium und Familie lasse sich vereinbaren. Die Ehe sei sogar förderlich, um das berufliche Ziel zu erreichen. Sie verpflichte.

Kennengelernt haben sich Panagiotis und Renate beim Tanzen. Es war Liebe auf den ersten Blick, denn drei Monate nach diesem Tanz wurde zur Hochzeit aufgespielt. „Wenn ein Mann ein Mädchen sieht und weiß, daß er dieses Mädchen heiraten muß, um glücklich zu sein, dann kann man nichts dagegen tun“, meint der 29jährige. Ein Student sei schließlich ein junger Mensch wie jeder andere.

Auch in der Studentenehe Hartmann verdient die Frau die „Brötchen“. Peter, 27 Jahre alt, ist Student am Ohm-Polytechnikum und will Tiefbauingenieur werden. Seit vier Jahren ist er mit der Textilgestalterin Ingrid verheiratet. Zwei Kinder haben sich eingestellt. Das jüngste, Verena, ist gerade 23 Tage alt. Sohn Stephan wird drei Jahre. Die Familie wohnt in einer großen Wohnung in der Humboldtstraße. Auch sie hat kaum finanzielle Sorgen, zumal Peter Hartmann in den Semesterferien arbeitet und ebenfalls eine staatliche Unterstützung erhält.

Die Ehe beeinträchtigt das Studium von Peter Hartmann nicht. Während seine Frau im Geschäft ist, sitzt er zu Hause hinter seinen Büchern. Sohn Stephan wird derweilen in einem Kinderhort beaufsichtigt. Um Verena kann sich gegenwärtig noch die Mutter selbst kümmern. „Und in einem halben Jahr habe ich ja meine Prüfung hinter mir. Dann sieht alles anders aus. Dann brauch' ich auch nicht mehr so viel im Haushalt zu tun.“

Hausarbeit als Ausgleich

Gegenwärtig muß der 27jährige zwischen Studierzimmer und Küche pendeln. „Die Wohnung soll in Ordnung sein und meine Frau kommt nicht immer dazu“, sagt er. Die Hausarbeit sieht er als gesunden Ausgleich zu Studium an. Er meint, sie sei nützlicher und vor allem gesünder, als beispielsweise Bierchen zu trinken. Er ist gerne Student und Familienvater.

Die Meinungen über Studentenehen sind in Universitätskreisen sehr unterschiedlich. Diese Ehen, die zwar keineswegs als Frühehen bezeichnet werden können, weil etwa 70 bis 85 v. H. der Studenten älter als 21 Jahre sind, sind nach Ansicht nicht weniger Professoren übereilt. Man zweifelt daran, ob Familienväter die notwendige Konzentration für den Unterricht aufbringen können. So erklärte Professor Nöbeling in einem Interview mit der Erlanger Studentenzeitung „Informationen“. Die Freizügigkeit des verheirateten Studenten sei weitgehend eingeschränkt. Außerdem würden die ehelichen Verpflichtungen den Studiker zu einem schnellen Abschluß seines Studiums nötigen. Er meinte. „Man kann nicht alles gleichzeitig haben. Man muß wissen, was man will: entweder Ehe oder Studium.“

Der Leiter des städtischen Konservatoriums, Oberstudiendirektor Dr. Robert Seiler, ist der gleichen Auffassung. Er glaubt, daß die Frühreife und die verhältnismäßig baldige Selbständigkeit für viele Studenten ausschlaggebend seien, vor den Traualtar zu treten. „Gäbe es kein so strenges Ehescheidungsgesetz, würden die allermeisten Studentenehen auseinandergehen“, sagt er.

Diese Meinung teilt Professor Dr. Hans Köhler, der Vorstand der Pädagogischen Hochschule, nicht. „Es ist ganz gut, wenn Studenten verheiratet sind, dann haben sie ein Ziel vor Augen. Die Ehe kann für viele durchaus positive Auswirkungen auf das Studium mit sich bringen.“ Dagegen hält es Professor Köhler für unklug, kurz vor einem Examen das Ja-Wort zu geben. Die Doppelbelastung in dieser Zeit sei zu groß.

Daß sexuelle Gründe wesentlichster Antrieb für eine Studentenehe seien, weist man in der Universität zurück. Die Ehe wird nicht zur „Abwehrreaktion gegen sexuelle Nöte“ degradiert. Dafür gibt es zu viele Semesterlieben. Warum auch sollen sich junge Studenten anders verhalten, als die übrigen Altersgenossen? Die 417 in Nürnberg verheirateten Studenten haben zwar ein gewisses Risiko auf sich genommen, als sie sich den goldenen Ring an den Finger stecken ließen, aber sie glauben, daß dieses Risiko durch die Vorteile der Ehe ausgeglichen wird. Sie haben auch nicht leichtfertig gehandelt und sie leben nicht in den Tag hinein. Die meisten haben sich eine finanzielle Grundlage geschaffen, die einmal in harter Ferienarbeit und zum anderen in dem Verdienst des Partners besteht. Nur ein geringer Prozentsatz des akademischen Nachwuchses kann auf großzügige elterliche Hilfe bauen.

Viele Studentenehepaare leben in gemütlichen Wohnungen, die sie zwar lange suchen mußten, weil sie nicht teuer sein dürfen, aber sie können die Miete bezahlen. Trotz Einschränkungen, die sich diese jungen Leute auferlegen müssen, fühlen sie sich glücklich und geborgen und sie hoffen auf die Zeit nach dem Studium, in der sie sich dann all das leisten können, was sie sich jetzt noch versagen müssen.

Der Wunsch nach einem gemütlichen Heim ist das überwiegende Ehe-Motiv für ausländische Studenten. Vor allem die Gäste aus dem Orient fühlen sich fern der Heimat allein und verlassen. Und da ihnen zudem die deutschen Mädchen und deren Mentalität gefallen, „zündet“ es schnell in den Herzen. Wiso-Student Roland Plechatz, der die ausländischen Kommilitonen betreut, meint: „Die Kontaktarmut, hervorgerufen durch die Sprachschwierigkeiten, hindert allerdings so manchen ausländischen Studenten an dem Schritt ins Eheleben.“

Was sagt nun einer der 4.912 ledigen Studenten über seine verheirateten Kommilitonen? „Ich kann erst dann heiraten, wenn ich weiß, was ich verdiene. Kinder würden mich ablenken, die Ungewißheit würde mich krank machen. Und außerdem fühle ich mich als Junggeselle so glücklich, so frei und ungebunden. Kurz: pudelwohl!“, gesteht Adolf Unger, der an der sechsten Fakultät studiert.

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