15. November 1966: Zwei Stunden Brandt

15.11.2016, 07:00 Uhr
15. November 1966: Zwei Stunden Brandt

© Ulrich

Beim folgenden Empfang im Foyer scharten sich auch Wirtschaftsführer um den vermeintlich kommenden Mann, die früher einen Bogen um ihn zu machen pflegten. Weil es Brandt bei diesem Blitzbesuch in Nürnberg brandeilig hatte, glich er zwei Stunden lang dem berühmten Opern-Figaro, der alles auf einmal tun soll: er wurde mehr denn je gefragt, mußte Hände schütteln, Autogramme geben und vor dem holländischen Fernsehen Rede und Antwort stehen.

Die Auffahrt des „Regierenden“ war standes-, aber auch wahlzeitgemäß: ein Wagen der Landpolizei rauschte vor seiner schwarzen Limousine her, Autos mit Lautsprechern folgten. Willy Brandt bleib in der folgenden Stunde kaum Zeit, den Löffel zum Munde zu führen, so prasselten die Fragen der Journalisten auf ihn ein. Brandt brachte nicht allzu viel Brandneues, denn der SPD-Vorsitzende wollte – wie es schien – die Türe zu keinem der möglichen Koalitionspartner zuschlagen, am allerwenigsten aber über seine etwaige Rolle in einer neuen Regierung reden.

Zum Empfang für die Spitzen des öffentlichen Lebens kam Willy Brandt mit der Verspätung, mit der er schon von Lauf nach Nürnberg gekommen war. Jeden möglichen Ärger darüber nahm er jedoch mit der überraschenden Frage: “Kennen Sie die Gemeinsamkeit zwischen dem Abgeordneten Franz Joseph Strauß und dem Bürgermeister von Berlin?“ und der ebenso überraschenden Entgegnung: „Beide kommen manchmal zu spät“ die Spitze. Doch solche Ausflüge ins Humorvolle bleiben angesichts der ernsten politischen Lage selten.

Der SPD-Vorsitzende hielt es lieber damit, den Standpunkt seiner Partei in drei Punkten klar zu umreißen: „Verständigung über den Inhalt der Politik, nicht über Äußerlichkeiten. Schaffung der personellen Voraussetzungen für eine stabile Regierung; keine unerlaubten und unnötigen taktischen Verzögerungen, damit nicht aus einer Partei- und Regierungskrise eine Staatskrise erwächst.“

Brandt betonte immer wieder, daß für seine Partei die Sachfragen vor den personellen Problemen stehen. Beifall holte er sich mit seiner Bemerkung, die Bundesregierung müsse es sich angewöhnen, zu den Staatsbürgern wie zu erwachsenen Menschen zu sprechen, sie müsse eine nüchterne, anspruchsvolle Politik betreiben, die Schwierigkeiten nicht verschweigt.

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